Luzerner Theater stürzt sich in den Garten

Ein Schauspiel zwischen Gemüsebeeten und Gartenzwergen

Schauspieler Mirza Šakić bei der Gartenarbeit.

(Bild: zvg/Ingo Höhn)

Was mit leichter Gartenarbeit beginnt, endet bei den grossen Fragen des Zusammenlebens. Für das neue Stück «Gärten» hat das Team des Luzerner Theaters tief in der Materie gewühlt. Das Ergebnis ist ab Samstag zu sehen – in einem Gemüsegarten.

Vergessen Sie Vorhang, Parkett und Foyer – und was sie sonst mit Theater verbinden. Dieses Stück spielt draussen. Wetter, Nachbarn und Vögel sind hier genauso Protagonisten wie die Schauspieler. Schauplatz ist ein Gemüsegarten im St.-Karli-Quartier, gut zwanzig Minuten Fussmarsch vom Theatergebäude entfernt.

Hier, zwischen viel Grün und einer Kolonie Gartenzwerge, treffen wir auf die drei treibenden Köpfe hinter diesem Projekt: Ivna Žic (Konzept und Text), Patric Gehrig (Konzept und Einrichtung) und Friederike Schubert (Dramaturgie). Žic, in Wien wohnhaft, arbeitet regelmässig fürs Luzerner Theater, in der Spielzeit 2012/2013 war sie hier Hausautorin, Gehrig kennt man als einen der aktivsten Vertreter der Freien Szene und Schubert gehört seit dieser Spielzeit zur Schauspieldramaturgie.

Am Anfang war die Idee, ein Stück nicht im Theaterraum, sondern draussen im Stadtraum zu spielen. Jetzt über ein Jahr später steht das Ergebnis kurz vor der Premiere: «Gärten – eine Recherche».

Das Produktionsteam hinter dem «Gärten»-Stück: Friederike Schubert (Dramaturgie), Ivna Žic (Konzept und Text) und Patric Gehrig (Konzept und Einrichtung).

Das Produktionsteam hinter dem «Gärten»-Stück: Friederike Schubert (Dramaturgie), Ivna Žic (Konzept und Text) und Patric Gehrig (Konzept und Einrichtung).

(Bild: jwy)

In Gruppen auf Wanderschaft

Das Stück ist in drei Teile gegliedert und startet beim St.-Karli-Schulhaus. Vier Gruppen à zehn Personen nehmen gestaffelt den steilen Weg Richtung Hirschpark in Angriff. Von Stimmen hinter Hecken, Zäunen und Mauern werden sie in die Materie eingeführt.

Man biegt einmal scharf links ab und kommt schliesslich im Garten an. Hier ist das Refugium von vier höchst unterschiedlichen Protagonisten: der romantischen Frau Motte, des jungen Analytikers Columbus, des Naturliebhabers Gusto und des Schrebergarten-Präsidenten Michel. Gemein ist ihnen: Sie sind Gartenexperten.

Rein in die Gemüsebeete

Jeder Charakter führte eine Gruppe durchs Stück, man streift durch Salatbeete und Gewächshäuser. «Man bekommt eine Führung um und durch den Garten», sagt Patric Gehrig. Einige stürzen sich schneller in die Beete, andere sind erst noch Zaungäste. Je nachdem, welcher Figur man zugeteilt wird, erfährt man ein anderes Stück. Man nimmt zwar die anderen wahr und begegnet ihnen, nimmt das Geschehen aber aus der Optik des Gruppenführers wahr. «Und kriegt so eine klare Prägung von der eigenen Figur», sagt Gehrig.

Das Stück

«Gärten – Eine Recherche»: Premiere 20. Mai, 20 Uhr, Gemüsegarten des SAH Zentralschweiz, Reussport 2 Luzern. Die Billettkasse befindet sich beim St.-Karli-Schulhaus, die Premiere ist ausverkauft.

Weitere Vorstellungen bis 14. Juni (Achtung: bei jedem Wetter). Vom 18. Juni bis 10. August macht das Luzerner Theater Ferien.

Im dritten Teil kommen die Gruppen zum Finale zusammen, zum grossen Gartenfest. Das Setting: ein langer Tisch unter einer gemütlichen Laube mit Lampions. Es ist nicht sofort klar, was Requisite und was echt ist. Doch die Gemütlichkeit trügt: «Die Figuren prallen aufeinander und es gibt eine grössere Katastrophe, die dem Abend eine unerwartete Wendung gibt», sagt Ivna Žic.

Kleiner Garten, grosse Metapher

«Gärten» ist durchaus eine physische und naturnahe Erfahrung. Das Stück findet in diesem einen, echten Garten statt, aber: «Wir füllen ihn mit unterschiedlichen Möglichkeiten, über den Garten nachzudenken», sagt Žic. Was zu grundsätzlichen Fragen führt: Wie will man zusammenleben? Wo gehe ich Kompromisse ein und wo setze ich meine Grenzen? «Das sind die Grundthemen, die überspitzt in den vier Figuren zur Geltung kommen», so die Autorin.

«Die Recherche hat über alle Sinne stattgefunden, wir haben hier auch einmal in der Woche gegärtnert.»

Friederike Schubert, Dramaturgin

Der kleine Garten als gross gedachte Metapher des Zusammenlebens und der Nachbarschaft. «Ein Garten ist immens viel», bringt es Gehrig auf den Punkt.

Recherche über alle Sinne

Die Idee zu «Gärten» haben sie zu dritt über 14 Monate hinweg entwickelt. Sie gingen nicht von einem fertigen Stück aus, sondern wählten den Weg der offenen Recherche. Sie trafen sich mit Gartenexperten, beschafften sich Literatur und Filme zum Thema, besuchten die «Giardina» und machten sich auch die Hände schmutzig.

«Die Recherche hat über alle Sinne stattgefunden, wir haben hier auch einmal in der Woche gegärtnert», sagt Friederike Schubert. Das sei wichtig gewesen, um ein Verhältnis zum Spielort aufzubauen. Am Anfang stellten sie sich noch unbeholfen an (abgesehen vom Schauspieler Ladislaus Löliger, der selber Gärtner ist). «Aber letztlich wurde es auch unser Garten», sagt Schubert, «wir wissen nun mehr, von was wir sprechen.»

Darsteller Ladislaus Löliger muss sich nicht verstellen, er ist selber Gärtner.

Darsteller Ladislaus Löliger muss sich nicht verstellen, er ist selber Gärtner.

(Bild: zvg/Ingo Höhn)

Ping-Pong zwischen Spielern und Produktionsteam

Immer stärker hat sich die Recherche zusammen mit den Schauspielern zu einer szenischen Arbeit verdichtet. Ivna Žic nennt es ein Ping-Pong-Verfahren zwischen Spielern und dem Produktionsteam – das Konzept entwickelt sich mit den Figuren und umgekehrt. Die vier Charaktere seien stark aus den Schauspielern selbst entstanden, da war nichts vorgegeben. «Und sie haben sich in vier komplett unterschiedliche Richtungen entwickelt», sagt Žic.

«Wir sind uns bewusst, dass überall Leute durchspazieren können oder sogar ins Stück hineinlaufen.»

Patric Gehrig, Theaterschaffender

Es sei ein sehr lustvolles Stück geworden: «Es tönt jetzt vielleicht verkopfter, als es ist», sagt Žic. «Wenn man sich drauf einlässt, kann man wirklich viel Spass haben», sagt auch Gehrig.

In der freien Wildbahn spielen viele Unbekannten mit: Der Garten verändert sich, die Nachbarschaft lebt und das Wetter macht, was es will. Kurz: Die Realität dringt ins Spiel – seien es Spaziergänger, Geräusche von Kirchglocken oder Flugzeuge. Das soll aber nicht ausgeklammert werden, im Gegenteil: «Wenn man das einfach ins Stück mitnimmt, entstehen schöne Bilder», so Patric Gehrig. «Wir sind uns bewusst, dass überall Leute durchspazieren können oder sogar ins Stück hineinlaufen.»

Der Aufbruch findet ein Ende

Mit «Gärten» findet der Aufbruch zu neuen Orten, den der neue Intendant Benedikt von Peter mit seinem Team vorantreibt, sein Saisonende. «Den Aufbruch zu neuen Räumen, der uns die letzten Monate umgetrieben hat, bringen wir mit der Bespielung dieses Gartens und mit den Begegnungen, die hier stattgefunden haben, zu einem schönen Abschluss», sagt Friederike Schubert.

Auch der Wunsch, eng mit der Freien Szene zusammenzuarbeiten, wird hier mustergültig demonstriert. «Es zeigt, dass das kein Lippenbekenntnis ist und das neue Team im Haus wirklich an einer Zusammenarbeit interessiert ist», so Patric Gehrig, der von Anfang an ins Stück involviert war. Diese Öffnung habe er sich lange vom Luzerner Theater gewünscht: «Das kann für alle eine grosse Chance sein.»

Und Schubert bestätigt: «Es ist die einzige Chance, wie wir es überhaupt machen können in Luzern, nämlich gemeinsam.» Denn es sei nicht so, dass das Luzerner Theater der Freien Szene die Tür öffne. «Es ist genauso das Luzerner Theater, das davon extrem viel profitiert.»

Trailer zum Stück:

 

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