Neuer Film der Zuger Regisseurin Luzia Schmid

Ein persönlicher und kritischer Blick auf die Steueroase Zug

Zu schön, um wahr zu sein: Regisseurin Luzia Schmid kratzt in ihrem Dokfilm an der Zuger Idylle. (Bild: zvg)

Luzia Schmid ist in Zug aufgewachsen. An einer Adresse, die auch Dutzende Briefkastenfirmen verwendeten. In ihrem neuen Dokumentarfilm blickt die Regisseurin auf das Steuerparadies Zug und fragt sich: Wieso stört es hier niemanden, dass der Steuerwettbewerb ungerecht ist?

Zu Hause lagen Filzstifte rum, auf denen «China Warehouse» stand – und darunter ihre eigene Adresse. Zirka 40 Briefkastenfirmen hat ihre Familie beherbergt. Der Vater, Anwalt und Treuhänder, erzählt, wie er täglich neue Gesellschaften gründete, wenn die entsprechenden Leute mit einem Koffer voll Geld nach Zug kamen. Der erste Fernseher: ein Geschenk der Nachbarn, als Dank für die vielen Briefkastenfirmen, die sie vermittelt bekamen.

Die Regisseurin Luzia Schmid ist mitten im Steuerparadies Zug aufgewachsen. In einer Familie, die hautnah miterlebte, wie sich der ehemals verschuldete Kanton zu einem der attraktivsten Wirtschaftsstandorte des Landes entwickelte.

«Der Ast, auf dem ich sitze» heisst der neue Dokumentarfilm, in dem Luzia Schmid einen kritischen Blick auf ihre Heimat und diese Steuerpolitik wirft.

Die Ambivalenz unseres Alltags

«Jedes Mal, wenn ich heimkam, dachte ich: ‹Wow, Zug ist noch einen Zacken grösser, bebauter und teurer geworden›», erzählt Luzia Schmid, die seit 20 Jahren in Köln lebt. Doch wer zahlt eigentlich den Preis dafür?

«Mein Wunsch war es, einen Film zum Thema internationaler Steuerwettbewerb zu machen, der die Ambivalenz spiegelt, in der wir alle leben.» Schon lange treibe sie die Frage um, wieso die Kritik an der Steueroase Zug offenbar ungehört verhallt. «Mich interessiert: Wieso ist es den Zugern – meinen Leuten, von denen ich ja weiss, dass sie nicht schlechter sind als andere – wieso ist ihnen die berechtigte Kritik egal?» 

Der Trailer zum Film:

Eine Frage, die über den Kanton Zug hinausweist. Für die Filmemacherin ist ihre Heimat ein «Role Model», das im grösseren Massstab die Schweiz und die ganze westliche Wirtschafts- und Finanzpolitik prägt.

Brutal ehrlich

Im Film verknüpft sie persönliche Erinnerungen und Erlebnisse mit den globalen Auswirkungen des Steuersystems, auf dem Zugs Erfolg gründet. Das gelingt der mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilmerin durch die geschickt gewählten Protagonisten. Luzia Schmid befragte etwa den «Vater der Tiefsteuerpolitik», den inzwischen verstorbenen alt Regierungsrat Georg Stucky, CVP-Präsident Gerhard Pfister oder alt Regierungsrat Hanspeter Uster. Zu Wort kommen aber auch «normale» Zugerinnen. Und Menschen aus Sambia, darunter eine Ökonomin, die eine andere Perspektive auf die Steueroase Zug haben.

Besonders spannend sind die Gespräche mit ihrer eigenen Familie, insbesondere mit ihrem Vater und ihrer Schwester. Sie vermögen die abstrakte Debatte zur Steuerpolitik auf den Alltag einer «normalen» Familie herunterzubrechen. Und geben, eingebettet in den historischen Kontext, nicht nur einen Einblick in die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons, sondern auch in das Zuger Selbstverständnis.

Vorpremiere Zuger Filmtage

Der 102-minütige Film «Der Ast, auf dem ich sitze» wird am 22. Oktober im Rahmen der Zuger Filmtage als Vorpremiere gezeigt. Im Vorfeld findet im Panorama 24 ein Podium über Steuerpolitik statt, mit Regisseurin Luzia Schmid, Ständerat Peter Hegglin, Finanzdirektor Heinz Tännler und Dominik Gross von Alliance Sud. Ab dem 29. Oktober ist der Film in ausgewählten Kinos zu sehen.

Dabei es ist ein grosses Glück, dass die Protagonisten im Film erstaunlich ehrlich sind. Etwa, wenn Luzia Schmids Schwester, die ehemalige FDP-Fraktionschefin Andrea Hodel-Schmid, sagt: Nicht die Skandale hätten sie gestört, sondern die Schlagzeilen dazu. Die Filmemacherin sagt selber, sie spüre «eine seltsame Faszination ob der Selbstverständlichkeit, mit der dieser Reichtum als etwas wahrgenommen wird, dass man selber erarbeitet hat».

Dankbar ist sie für die Ehrlichkeit ihrer Protagonisten, die sich allesamt auf die Gespräche eingelassen haben – ohne sich zu verstellen oder in ein besseres Licht rücken zu wollen.

«Meine Schwester zum Beispiel hat schon immer Klartext gesprochen und nie diese weichgespülte Politiksprechweise angenommen», sagt Luzia Schmid. «Diese Offenheit schätze ich an den Zugern sehr. Es ist auch ein Zeichen für ihr Selbstbewusstsein.» Sie als Regisseurin versteckt sich übrigens ebenso wenig hinter der Kamera, sondern sie thematisiert auch ihre eigene Rolle.

Die Anekdoten von den Erdbeeren im Winter

Der Filmtitel «Der Ast, auf dem ich sitze» verdeutlicht dies. Er bezieht sich aber nicht nur auf die Situation jedes Einzelnen, der vom Steuerparadies Zug profitiert. Sondern auf das westliche Wirtschaftssystem, das durch den Klimawandel derzeit einen Spiegel vorgehalten bekommt.

Auch dies ein Punkt, der laut Luzia Schmid nicht neu ist, aber viel zu oft verdrängt wird. «Ich erinnere mich an einen Moment in meiner Kindheit, als es Erdbeeren plötzlich das ganze Jahr über im Laden gab. Ich dachte, das werde ich meinerseits mal meinen Kindern erzählen. Denn mir war schon damals glasklar, dass dies nicht ewig weitergehen kann», erzählt die 54-Jährige. «Aber ich war ja nicht intelligenter als die anderen. Also frage ich mich, wieso alle anderen diese Tatsachen beiseite schieben.»

«Wieso sollten die Zuger etwas ändern? Es geht ihnen ja gut.»

Luzia Schmid stellt die moralische Frage und lässt im Film verschiedene Menschen dazu zu Wort kommen. Die Antwort sollen sich die Zuschauer selber aussuchen. «Ich möchte Menschen erreichen, die sich noch nicht entschieden haben, auf welcher Seite sie stehen», sagt die Zugerin. «Sie sollen meiner Recherche folgen, sich verführen lassen, den Argumenten meiner Protagonisten folgen, um dann schliesslich sich selbst – als Teil des Problems – zu entdecken.»

Und welche Antwort hat sie selbst durch die Arbeit am Film gefunden? «Wir haben es uns alle bequem eingerichtet», sagt Luzia Schmid. Ihre Hoffnung, dass sich daran etwas ändert, ist gering. «Das Bankgeheimnis fiel nur aufgrund des grossen politischen Drucks, bei den Steuerprivilegien für Konzerne ist es genauso», sagt sie. «Und wieso sollten die Zuger etwas ändern? Es geht ihnen ja gut.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Karli Marxli
    Karli Marxli, 18.10.2020, 12:26 Uhr

    Stimmt schon: Was man nicht unmittelbar zum Leben braucht, gehört grundsätzlich dem Staat. Ebenso natürlich die Unternehmensgewinne. Komisch ist nur, dass das Steuerparadies Zug die Hochsteuerkantone mitfinanzieren muss – und dazu in der Lage ist. Komisch ist auch, dass Nachkommen der Oberschicht zahlreich im Kulturmilieu tätig sind, das als besonders kapitalismuskritisch bekannt ist. Man/frau kann es sich leisten, die Existenz ist gesichert – und früher oder später kommt die Erbschaft.

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