Drei «Bildzwang»-Künstler machen gemeinsame Sache

Ein Blick hinter die Mauern der Luzerner Kunstfabrik

Künstler Christian Herter vor einer seiner fragilen Holzobjekten im Atelier Bildzwang.

(Bild: jwy)

In einem unscheinbaren Haus an der Reuss befindet sich das Luzerner Atelierhaus Bildzwang. Wir schauten in die Ateliers von drei Künstlern, die gemeinsam in der Kunsthalle beim Bourbaki ausstellen. Es sind drei Materialforscher, die mit ihren Objekten das Scheitern bewusst in Kauf nehmen.

Die Klingel macht ein lautes «Tröööt». Durch ein Tor, über eine gedeckte Rampe, vorbei an Velos und einem Raucherplätzli geht’s ins Atelierhaus Bildzwang. Das unscheinbare Gebäude liegt direkt an der Reuss zwischen Luzern und Reussbühl.

Seit 1987 ist die ehemalige Darmfabrik ein Künstlerhaus, 2007 wurde es von der gleichnamigen Stiftung gekauft und wird heute von einem Verein betrieben. Zwischen Parterre und Dachstock finden 17 Künstler einen günstigen Schaffensplatz, das Gemeinschaftsatelier Annex steht Kunsti-Abgängerinnen zur Verfügung.

Auf jedem Stockwerk verrät ein Plan, wer wo tätig ist. Ganz zuoberst findet man die Ateliers der drei Künstler Christian Herter, Matteo Laffranchi und André Schuler. Obwohl sie hier schon seit Jahren Tür an Tür arbeiten, sich gut kennen und einiges gemeinsam haben, haben sie noch nie zusammengearbeitet.

Bis jetzt: Ab 16. Februar stellen sie gemeinsam in der Kunsthalle aus (siehe Box). Kurator Michael Sutter hat die drei Künstler vor über einem Jahr angefragt. Nun stecken sie in den letzten Arbeiten, einige Objekte sind schon verpackt für den Transport.

Aus Fötzeli wird ein Stuhl

Matteo Laffranchis Raum ist vollgestellt mit Pigmenten, Mustern und Versuchsobjekten – jedoch alles geordnet an seinem Platz. Das Atelier ist zweigeteilt: in einen Bereich für die gröberen Arbeiten und Materialversuche – und einen saubereren Teil, wo die grazileren Objekte stehen oder hängen.

Laffranchi nennt sich Objektkünstler und Materialforscher. Experimente und Kunst finden hier parallel statt. Er rezykliert Restposten wie Karton, Zeitungspapier, Sägemehl, Gips oder Leinentücher. Er presst, rollt oder formt sie und zusammen mit Leim, Kalk oder Zement führt das zu neuen festen Formen.

«Es besteht das Risiko, dass ich es nicht mehr kontrollieren kann.»

Matteo Laffranchi, Künstler

Zeitungspapier rollt und verleimt er zu dünnen, aber stabilen Stangen, die zum Beispiel in ein Skelett münden. Oder er presst «zermanschtes» Altpapier zu einem stabilen Hocker. «Ich wollte schauen, wie viel konstruktive Kraft im Material liegt», sagt er und setzt sich drauf.

Er sitzt auf einem Hocker aus Altpapier: Matteo Laffranchi in seinem Atelier.

Er sitzt auf einem Hocker aus Altpapier: Matteo Laffranchi in seinem Atelier.

(Bild: jwy)

Körperliche Konstrukte

Die Materialtests bilden die Grundlage für seine Objekte, wie sie in der Kunsthalle stehen und hängen werden. Oft ist ihnen nicht mehr anzusehen, welche Grundmaterialien drinstecken – Holz, Tuch, Gips, Karton, Zement. «Es sind recht komplexe, aufgeschichtete Konstrukte, ich staune immer wieder, wie kompakt sie letztlich sind», sagt Laffranchi.

In der Tat wirken seine surrealen Objekte organisch, leicht und lebhaft. «Sehr stark körperlich», sagt der ehemalige Restaurator, der heute auch als Kunstdozent arbeitet. Man sieht den Skulpturen das komplexe technische Prinzip nicht mehr an.

Ausstellung in der Kunsthalle

Gruppenausstellung «Herter-Laffranchi-Schuler»: Kunsthalle Luzern: Samstag, 16. Februar, bis Sonntag, 24. März 2019. Vernissage: Freitag, 15. Februar 2019, 19 Uhr.

Christian Herter (seit 2002), Matteo Laffranchi (seit 2010) und André Schuler (seit 2004) haben ihre Ateliers im Bildzwang. Alle drei setzen sich mit plastischen und skulpturalen Objekten auseinander, jedoch ist die gemeinsame Ausstellung eine Premiere.

Er dirigiere nur die Rahmenbedingungen, lasse sich dann vom Experiment in Bezug auf die Materialien leiten. «Das Machen ist für mich entscheidend, mit dem Risiko, dass ich es nicht mehr kontrollieren kann», sagt er und lacht. Das Vorgehen sei riskant, aber befreiend. Und es führt immer wieder dazu, dass er ganze Objekte zertrümmert. Aus einer Ecke guckt ein geköpfter Truthahn hervor – Ausschussware.

Laffranchi schätzt den Austausch im Bildzwang: «Früher hatte ich die Tendenz, im stillen Kämmerlein zu arbeiten.» In diesem Haus kommt er in Kontakt mit anderen Künstlern. «Es öffnet meinen Blick immer wieder», sagt er in seinem Tessiner Dialekt.

Fragile und prekäre Skulpturen

Wo Matteo Laffranchis Atelier aufhört, fängt Christian Herters Raum an. Der erste Eindruck: chaotischer, wilder, weniger aufgeräumt. «Matteo hat sicher mehr Ordnung», sagt er lachend.

Das momentane Durcheinander sei auch den vielen Ausstellungen geschuldet, die anstehen. «Ich habe zu wenig Platz und komme gar nicht zum Aufräumen.»

Herter arbeitet mit Papier, Karton, Holz und Farbe – viel entsteht aus der Improvisation heraus. Zwei grosse Holzobjekte in einem fragilen Gleichgewicht stehen mitten im Raum. Mit Schraubzwingen sind sie fixiert. «Das prekäre Moment interessiert mich», sagt der Künstler.

«Spontane Einfälle nenne ich ‹Zoing›.»

Christian Herter, Künstler

Als Kontrast dazu hängen an der Wand dutzende Miniaturen, die er «Chromosomen» nennt. Von denen gibt es bereits rund 140, jedes ist fein säuberlich fotografiert und dokumentiert. «Sie waren einst als Modelle für grössere Objekte gedacht, mit der Zeit haben sie sich verselbständigt», sagt er. Sie dienten als Inspiration für die zwei grossen Skulpturen.

Auch Herter verwertet Alltagsmaterialien, Fundgegenstände und Ausschussware: abgerissene Plakate aus Paris, Holz vom Restposten einer früheren Arbeit. «Der Rest gibt mir wieder Impulse für die nächste Arbeit», sagt Herter.

Blick in Christian Herters Arbeit, einige Objekte werden in der Kunsthalle zu sehen sein.

Blick in Christian Herters Arbeit, einige Objekte werden in der Kunsthalle zu sehen sein.

(Bild: jwy)

Ein Bildhauer ohne fixen Stil

Christian Herter, der an verschiedenen Schulen unterrichtet, nennt sich Bildhauer und Handwerker-Künstler. In einer Ecke liegt der «Maschinenpark» aus Sägen, Bohrern und anderem. Hinter dem fragilen Holz liegen gegossene Betonelemente. Der Künstler holte eine in Bronze gegossene Kniescheibe hervor und zeigt geschichtete Papierarbeiten.  

«Mich interessieren verschiedenste Arten von Skulpturen», sagt er. Er sei kein Stilist, vieles ändere sich im Schaffensprozess wieder, bis kurz vor Ausstellung. «Es muss im Fluss und in Bewegung sein», sagt er. Sein Schaffen sei ein «Dominosystem»: Das eine ergibt sich aus dem anderen.

Spontane Einfälle nennt er «Zoing», wie in der Comicsprache – auch der Wortwitz ist Teil seiner Kunst.

Architektur und Musik

Herter hat einen architektonischen Blick auf die Kunst. Ihn interessiert, wie sich die Sicht auf das Objekt verändert, wenn man es umrundet. Themen der Stabilität und Fragilität treiben ihn um.

Und öfters denkt man an Improvisationsmusiker, wenn Herter von Flow und Findungsprozessen spricht. «Der Zufall ist ein wichtiger Teil. Die Nicht-Kontrolle ist ein Mittel, um auf eine neue Formenfindung zu kommen – wie man es im Jazz kennt», sagt er.

Für gewisse handwerkliche Arbeiten sei er zu ungeduldig, gibt er zu. Es muss schnell gehen, weshalb er mit Vorliebe zur Spraydose greife.

Styropor wird speckig

Eine Tür weiter: Das «kleine, bescheidene Reich» von André Schuler liegt auf dem gleichen Stockwerk. An der Wand hängen reliefartige Objekte, zusammengesetzt aus scheinbaren Alltagsgegenständen.

Auch Schuler verfremdet Material: Ausgangslage für die aktuellen Arbeiten ist Styropor, das letztlich mit Gips übergossen wird. Mit seiner Farbigkeit und Struktur erinnert es an Wachs und erhält eine erstaunliche «Speckigkeit».

«Es ist wie Humus: Dreck, aber mit viel Potential.»

André Schuler, Künstler

Im Moment streicht der Künstler eine wolkenartige Skulptur blau an. «Die Idee war, eine Art Rauchschwade zu materialisieren, die ja sonst immer flüchtig ist», sagt er – ein bewusster Widerspruch. Die ästhetische Reduktion und die feine Prise Humor findet man auch in den Arbeiten der beiden anderen Künstler.

Der Künstler André Schuler mit seinen Styropor-Gips-Objekten, die bald in der Kunsthalle zu sehen sein werden.

Der Künstler André Schuler mit seinen Styropor-Gips-Objekten, die bald in der Kunsthalle zu sehen sein werden.

(Bild: jwy)

Scheitern mit Potential

Ganze Kübel und Säcke voller Styroporteile hortet Schuler in seinem Atelier. «Es ist sehr schön leicht und es gibt schöne zerfressene Elemente», sagt er und lacht.

Fragmente formt er zu einem «Klumpen», und erst wenn das Arrangement für ihn stimmt, übergisst er das Ganze mit Gips und fixiert so das Werk.

Der Künstler hat vor zwei Jahren angefangen, bildhauerisch mit Styroporteilen und Farbe zu arbeiten. «Das war für mich eine ganz neue Art.» Auch bei ihm fügen sich Restmaterialien zu etwas Neuem, Abfall werde produktiv und bekomme so einen Wert.

Mit diesem eigentlich «armen Material» sei die Hemmschwelle klein und man könne etwas wagen. Oder Ideen wieder verwerfen: «Dann zerbreche ich die Objekte und arrangiere sie neu.» Dieses Spiel habe trotz Scheitern etwas Produktives. «Es ist wie Humus: Es ist zwar Dreck, aber mit viel Potential.»

Das Scheitern und Zertrümmern gehört dazu, es sei ein Dialog und eine prozesshafte Arbeit. Er vergleicht die Reliefs mit Malerei auf einer leeren Leinwand, die sich erst nach und nach ergibt.

«Ich könnte durchaus noch ein Jahr weiterarbeiten», sagt er, die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen. «Aber ich bin froh, wenn das jetzt mal wegkommt.» Er blickt in sein vollgestelltes Atelier. «Ich habe mir schon lange vorgenommen, mal radikal zu räumen.»

Mehr Bilder aus den Ateliers in der Galerie:

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