Packende Geschichten über das Zuger Réduit

Ein beklemmender Besuch im filmreifen Bunker

Der Eingang der Philippsburg in Unterägeri.

(Bild: Laura Livers)

Im Zuge des europäischen Tag des Denkmals öffnete die «Militärhistorische Stiftung Zug» die Türen zur Philippsburg in Unterägeri. Ein beklemmender Rundgang unter die Erde und zurück in politischen und militärischen Realitäten des Zweiten Weltkriegs.

Das Réduit National ist der Stoff für Legenden. Bereits im 18. Jahrhundert wurde über den Bau einer Alpenfestung diskutiert, 1886 begann der Bau der ersten Festung am Alpübergang zum Gotthard. Mit der Machtübernahme Hitlers und dem Aufschrecken Europas nach dem Polenfeldzug 1939 wurde unter General Guisan die Réduitlösung entworfen: Der strategische Rückzug der Truppen ins Réduit, welche fortan die Nord-Süd-Achse, insbesondere das Gotthardmassiv, zu bewachen und notfalls zu zerstören hatten.

Während im Geschichtsunterricht vor allem von den Bunkern im und ums Gotthardmassiv gesprochen wird, vergisst man schnell, dass Zug geografisch auf dem Weg von Norden her Richtung Süden liegt und somit zur Verteidigungslinie des Réduits gehörte.

Gestern geheim – heute Kultur

Ganz bestimmt nicht vergessen hat dies die MHSZ, die Militärhistorische Stiftung Zug. Unter dem Motto «Gestern geheim – heute Kultur» lud die Stiftung diesen Samstag zu einer Führung durch die Philippsburg ein. Benannt nach dem Menzinger Alt-Bundesrat Philipp Etter (1891-1977), war die Philippsburg der wichtigste Bunker im Ägerital, denn dort befand sich die Telefonschaltzentrale.

«Die Infanterie zog ihre eigenen Telefonleitungen von ihrem Standort zum FAK (Feldanschlusskasten), der sie direkt mit der Philippsburg verband – und somit mit sämtlichen Standorten im Ägerital», erzählt Sepp Born von der Militärhistorischen Stiftung Zug. «Das Abhören durch feindlich Gesinnte wurde so, im Vergleich zum Funkverkehr, erschwert. Gleichzeitig konnte so eine Leitung natürlich mit einer einfachen Zange durchtrennt werden.»

Die Besucher der Führung stehen dick eingepackt auf einem schmalen Wanderweg am Hang und schmunzeln. Durch den Regen ist der Weg zu einem Hindernissparcours geworden und die Gruppe bewegt sich trotz gutem Schuhwerk und Regen eher gemächlich dem Weg entlang.

Geschichtslektion mit Sepp Born im Mannschaftsraum.

Geschichtslektion mit Sepp Born im Mannschaftsraum.

(Bild: Laura Livers)

Eine kleine Festung

Zu erreichen ist die Philippsburg über eine steile Holztreppe, die gleichzeitig als Brücke fungiert. «Mit der Errichtung des Reduits wollte General Guisan erreichen, dass wenigstens ein Teil unseres Territoriums «schweizerisch» bleiben würde», erzählt Sepp Born.

Durch die grosse Stahltüre eingetreten, folgen die Besucher den engen Gängen voller Memorabilien – Bajonette, Schaufeln, Gasmasken und Militärdecken. Die Philippsburg ist eingerichtet wie ein interaktives Museum: Im Essbereich steht eine Schüssel mit Plastikäpfeln, in der Schiessscharte eine MG 51 mitsamt Schiesskolben-Kühlsystem und Gasmasken und im Mannschaftsraum reihen sich scheinbar bezugsbereite Militärbetten aneinander.

Während fast zwei Stunden werden die Besucher durch den Bunker geführt und bekommen bis ins Detail erklärt, wie das Leben der Soldaten während der Mobilmachung von 1941 wohl ausgesehen hat.

10’000 Mann aus Zug

«Die Reduitstellung im Kanton Zug, die ausschliesslich die Berggebiete umfasste, wurde von vielen verschiedenen Truppen belegt», sagt Born. «Berechnungen haben ergeben, dass sich bei Vollbestand gegen 10’000 Soldaten im Raum Menzingen, Unterägeri, Oberägeri und Zugerberg aufgehalten hätten.»

An der Wand hängt eine grosse Karte, welche die einzelnen Schussradien der Bunker aufzeigt. Daraus wird ersichtlich, dass bei einem Einfall der Wehrmacht die Gegenden Ennetsee (Rotkreuz, Cham Hünenberg), Steinhausen, Stadt Zug und Baar als erste und vermutlich kampflos gefallen wären.

Angriffsplan der deutschen Wehrmacht von 1940.

Angriffsplan der deutschen Wehrmacht von 1940.

(Bild: Laura Livers)

Abschreckung als Waffe

«Der grösste Streitpunkt der Réduitlösung war natürlich die Aufgabe des dichtbesiedelten Mittellandes zu Gunsten der Alpen», erzählt Born weiter. «Aber noch heute zeigt sich, dass dichtbesiedeltes Land tendenziell gemieden wird, respektive schwer einnehmbar ist, denn in jedem Zimmer könnte sich ein Widerstandskämpfer verstecken.»

«Diese Stützpunkte waren zu Spitzenzeiten mit knapp 10’000 Soldaten bestückt, die allesamt aus der Region Zug stammten.»

Sepp Born, MHSZ

Und da die Wehrmacht sehr wohl gewusst habe, dass Reservisten ihre Waffe zu Hause gelagert haben, hoffte man, dass die Kombination aus schwer bewaffneten Zivilisten in den Städten und schwer bewaffneten Soldaten auf dem Land und in den Bergen als Abschreckung genügte.

Ein schaler Nachgeschmack

Die Luft im Bunker ist leicht schimmlig. Tageslicht gibt es nicht, und mit der Kälte, welche die Hosenbeine hochkriecht, wird einigen langsam mulmig zu Mute. Gleichzeitig erstickt das sich anbahnende Unwohlsein auch die aufkeimenden politischen Debatten, denn: Wer über den zweiten Weltkrieg und die Rolle der Schweiz spricht, muss der Vollständigkeit halber auch die dunklen Kapitel erwähnen.

Namentlich: Die Korporationspolitik, unter anderem von Philipp Etter propagiert, und die Kollaboration mit dem dritten Reich, mit der sich die Schweiz durchs Wegschauen an den Gräueltaten beteiligt hatte. So aber bleibt den Besuchern die Wahl, sich an den Diskussionen zu beteiligen oder wieder ins Freie zu treten und tief durchzuatmen. Die meisten wählten Letzteres und stapften den rutschigen Weg zur Strasse hoch, zurück ins Dorf, über dem mittlerweile die Sonne schien.

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