«Driften»-Regisseur Karim Patwa

Eher keine Medienhure

Der Filmemacher und Fotograf Karim Patwa wohnt derzeit in Marseille. (Bild: zvg)

Der Schweizer Film «Driften» geniesst internationale Aufmerksamkeit. Und gerade erst räumte Sabine Timoteo den Schweizer Filmpreis für die beste Darstellerin ab. Der Regisseur, Karim Patwa, geniesst derweil seine Zeit in Marseille. zentral+ hat den Filmemacher, der in Luzern seine Filmemacher-Ausbildung absolvierte, ausgefragt.

Karim Patwa ist Anfang dieses Jahres ausgewandert. Deshalb erwischen wir ihn nur per Skype. «Oversexed and underfucked» ist sein Status – wir lassen uns nicht beirren, wollen aber selbstverständlich wissen, was das bedeuten soll.

Patwa erklärt: «So viel wird nur noch über Bilder kommuniziert. Darauf sehen die Leute extrem geil und sexy aus. Nur das ist wichtig.» Es gehe nur um den Schein und nicht darum, was denn tatsächlich hinter der Fassade stecke. «Oft sind dann genau die Leute mit dem heissesten Erscheinungsbild eigentlich wahnsinnig asexuell», findet Patwa.

Neue Stadt, neue Eindrücke

Seit Januar lebt Patwa nun in Marseille. Weshalb Marseille, wollen wir wissen. «Weshalb nicht?», antwortet Patwa. «Das Raue des Klimas gefällt mir, und das Licht ist fantastisch», schwärmt er. Das Meer geniesse er sehr. Ausserdem sei Marseille klimatisch sehr veränderlich, und so seien auch die Leute. «Vor ein paar Tagen war Karneval, es war wie in einer Waschmaschine. Mehlschlachten, die französische Fahne wird verbrannt, alles ist in Aufruhr.» 

Er erlebe die neue Stadt und Umgebung sehr bewusst, nehme sie mit allen Sinnen war. «Das kann man hier so richtig. Man spürt die Sinnlichkeit. Es ist nicht alles so reglementiert wie in der Schweiz.»

Voraussehen hilft

Doch bereits im Juni wird er wieder unterwegs sein. «Seit einigen Jahren mache ich immer im Frühsommer eine Velotour. Dieses Jahr von Athen nach Tallinn. Das sind ein paar Tausend Kilometer per Velo. Patwa betont: «Die Touren sind keinerlei esoterische Selbstfindungs-Trips.» Es handle sich aber auch nicht um ein berufliches Projekt.

«Es geht darum, Sport zu machen, sich und seinen Körper zu spüren. Und auch alle Sinne zu brauchen.» Dasselbe wie er auch gerade in Marseille tue. «Es geht darum, die Umgebung ungefiltert wahrzunehmen und neue Menschen, die anders ticken, zu treffen.»

Patwa hat ein Auge für die Hintergründe und er betreibt auch den Aufwand, sie zu finden. Wie bei seinem Film «Driften».

Zum Film kam Patwa durch die Fotografie. Der Regisseur des Schweizer Erfolgfilms hat seine Filmemacher-Ausbildung in Luzern an der HSLU absolviert. Dabei wohnte er eine Weile in der Luzerner Industriestrasse.

Die Fotografie hat er jedoch nicht aufgegeben. «Beim Fotografieren muss man das Geschehen praktisch voraussehen können.» Patwa fotografiert zu einem grossen Teil analog, was den Fokus noch viel mehr auf den richtigen Moment lege. «Wenn jemand beispielsweise auf etwas wartet, muss ich voraussehen können, wann er reagiert, wo ich stehen muss und in welchem Moment die Bewegung einsetzt, um DAS Bild zu erhalten.»

Bewegung spielte auch in seinem ersten abendfüllenden Kinofilm «Driften» eine grosse Rolle.

Das zentrale Thema des Films sei jedoch nicht das Rasen. «Es ist die Thematik von ‹Schuld und Sühne›, die im Mittelpunkt steht. Aber dieses Thema muss man heute im Film punkiger, rockiger und visueller umsetzen können.» Und da passte das Rasen wie die Faust aufs Auge.

Mit Tunern abhängen

Die Arbeit an seinem Film «Driften» war von viel Recherchearbeit geprägt. Ein Film, der sich mit dem Schicksal eines Rasers auseinandersetzt, der ein kleines Mädchen überfahren hat. «Ich habe mich mit Tätern und Opfern getroffen, war im Milieu unterwegs – auch mit Tunern, die nichts mit Unfällen zu tun hatten. Ich wollte damit auch die Sprache dieser Szene lernen. Und welches Verhältnis ein Tuner zu seinem Auto hat.» Im Auto wird zum Beispiel nicht geraucht, hat Patwa gelernt. Das ist Ehrensache.

«Driften» - Der Film

Robert (Max Hubacher) will ein neues Leben beginnen. Seine Sucht nach dem Rausch der Geschwindigkeit hatte ihn ins Gefängnis gebracht. Jetzt hat er seine Strafe abgesessen und ist fest entschlossen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Er kehrt zurück ins Haus seiner Eltern und kann eine Ausbildung anfangen.

Alles läuft gut. Bis er Alice (Sabine Timoteo) trifft. Schicksalshaft fühlen sich die um Jahre ältere Englischlehrerin und Robert voneinander angezogen. Doch je intensiver die Beziehung wird desto mehr wirft die Bekanntschaft Robert aus der Bahn. Alte Schuldgefühle machen sich bemerkbar und auch seine ehemaligen Kollegen setzen ihn unter Druck. Seine Vergangenheit holt ihn ein und droht, alles zu zerstören.

 

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Der 47-jährige Regisseur selbst habe sich nie gross in einer Szene bewegt. «Natürlich wurde ich von der Jugendkultur der 80er auch stark geprägt, aber mir war immer wichtig, dass man auf eine kritische Art sich selbst ist.» Deshalb fände er vor allem die Mischformen zwischen den verschiedenen Szenen und Jugendbewegungen spannend.

Doch Patwa trennt lieber zwischen dem Film und seiner eigenen Geschichte. «Der Film soll seine Eigendynamik haben, sich selbst erklären. Es soll um die Sache gehen, nicht um mich», findet er.

Die Vision nicht verlieren

Ist Patwa ein Perfektionist? «Klar.» Das müsse er sein. Vor allem in bestimmten Bereichen. «Die Schauspielerführung ist mir sehr wichtig. Dabei geht es jedoch um den Feinschliff und die Details.»

Man müsse sich manchmal aber auch zurücklehnen und nur zuschauen können. «Ich muss vertrauen können. Das geht, solange ich merke, dass alle in dieselbe Richtung steuern.» Während der Arbeiten habe sich das Team auf das Drehbuch verlassen können. Doch man müsse als Regisseur trotzdem immer darauf achten, dass die ursprüngliche Vision nicht in der Hintergrund rücke. «Beziehungsweise muss man die Vision immer wieder nach vorne holen und sich treu bleiben.»

Zum Thema «sich selbst treu bleiben» hakten wir doch noch nach. Nach 20 Jahren als Filmemacher steht Patwa nun plötzlich im internationalen Rampenlicht. «Bisher war es gar nicht so heftig, von Rummel kann nicht die Rede sein», sagt Patwa. Er halte sich in der Öffentlichkeit auch eher zurück. «Die einen machen sich gerne zur Medienhure, andere sind da eher kritisch und picken sich die Rosinen heraus. Ich bin eher letzteres.»

Woran er jetzt gerade arbeitet, verrät er nicht. «Es wird wieder ein Psychodrama, ist aber noch nicht spruchreif.»

 

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