Respektlose Zuger Gesellschaft

«Du alte Schachtel, halt mal den Mund»

Die Grünliberale Kantonsrätin Michèle Kottelat möchte den Respekt zurück. Und fordert die Regierung auf, was zu unternehmen. (Bild: Archiv)

Die Kantonsrätin Michèle Kottelat will mehr Respekt in der Gesellschaft. Und findet, die Zuger Regierung soll das einrichten. Bitte was? Haben wir gedacht. Und nachgefragt.

Haben die nichts Besseres zu tun? Das war die Reaktion, die auf unserer Redaktion rumgeisterte. Die Zuger Grünliberalen haben ein Postulat eingereicht, in dem sie feststellen, dass in unserer Gesellschaft der gegenseitige Respekt fehlt. Deshalb fordern sie vom Zuger Regierungsrat, er soll prüfen, ob mit einer Respektkampagne dagegen vorgegangen werden könnte.

Sonst noch alle Tassen im Schrank? Haben wir insgeheim und etwas respektlos gedacht. Und haben dann doch bei der Postulats-Autorin Michèle Kottelat angerufen. Und gefragt: Soll der Zuger Regierungsrat die neue moralische Instanz für den gesellschaftlichen Respekt werden? Das Gespräch allerdings fängt Michèle Kottelat gleich selber an.

Michèle Kottelat: Finden Sie die Idee jetzt auch doof oder was?

zentral+: (überrascht) Sind die Reaktionen bis jetzt so negativ, dass Sie das fragen?

Kottelat: Ein Lokalradio fand die Idee schon etwas abstrus.

zentral+: Aber jetzt mal ernsthaft: Der Staat soll für mehr Respekt in der Gesellschaft sorgen? Ist dieser nicht der völlig falsche Kanal für dieses Anliegen?

Kottelat: (aufgebracht) Man muss ja mal irgendwo anfangen! Die meisten Leute haben einfach resigniert. Dabei ist es ganz klar, dass der Respekt in unserer Gesellschaft fehlt.

zentral+: Das ist zumindest eine etwas diffuse Ansicht. Klingt nach Stammtischspruch: Der Respekt fehlt einfach in der Welt, schlimm.

Kottelat: Klar klingt das nach Stammtischspruch. Aber es ist einfach wahr. Sehen Sie, ich war etwas zu jung für die 68er, aber ich habe die Entwicklung miterlebt. Damals hat man uns Kindern eingebläut, man müsse Ehrfurcht vor den Leuten haben. Vor Leuten, die wir nicht als ehrenhaft empfunden haben. Vor dem Herrn Oberst, vor dem Herrn Pfarrer. Meiner Mutter hat man Frau Doktor gesagt obwohl nur mein Vater doktoriert hat. Das hat man in der Zwischenzeit zum Glück geändert. Aber gleichzeitig hat man auch etwas anderes abgeschafft. Den Respekt.

zentral+: Wie meinen Sie das?

Kottelat: Früher hat die Religion bestimmt, was gut war und was nicht. Es ist wunderbar, dass wir von vielen Fesseln befreit worden sind. Aber leider ist uns der Respekt zusammen mit der falschen Ehrfurcht verloren gegangen. Wir haben uns zu Recht gegen die falschen Autoritäten aufgelehnt. Und haben dabei leider angefangen, uns gegenseitig nicht mehr zu respektieren.

zentral+: Und jetzt soll der Regierungsrat als moralische Autorität herhalten?

Kottelat: (lacht) Auf keinen Fall. Aber er könnte eine Kampagne starten, so wie man das mit der Kampagne für mehr Zivilcourage gemacht hat. Das ist für mich etwas sehr ähnliches – und das ist sehr gut angekommen.

zentral+: Wo finden Sie denn, fehlt der Respekt?

Kottelat: Überall, das zieht sich durch vieles durch. Das Litteringproblem etwa, dass man die Bierflasche liegenlässt, weil man fürs Gegenüber keinen Respekt hat: Ist mir egal, ob die Wiese für andere verdreckt ist. In der Schule, wenn Lehrer von Eltern respektlos behandelt werden. Aber auch im Bus, wenn ältere Menschen sich gar nicht mehr getrauen, nach einem Platz zu fragen. Oder Leute mit Krücken nicht mehr reinkommen, weil die Leute sich so schnell hineinquetschen.

zentral+: Wie kann denn eine ganze Gesellschaft respektlos werden?

Kottelat: Die meisten Leute haben keine schlechten Absichten. Sie achten sich einfach nicht mehr, sie denken nicht darüber nach, was ihr Verhalten bei anderen auslöst. Sie haben aufgehört, an die anderen zu denken.

zentral+: Und da wollen Sie eine gesellschaftliche Tendenz wie diese per Postulat verändern? Der Vorstoss kommt mir ein wenig so vor, wie wenn sich Senioren über das laute Kindergeschrei beschweren.

Kottelat: Gehört mein Vorstoss für Sie in die 60+ Kategorie?

zentral+: Er hat zumindest einen ähnlich nostalgischen Tonfall. Früher war alles besser. Das ist doch einfach nicht wahr.

Kottelat: Das ist wirklich nicht wahr. Aber darum geht es auch nicht. Ich glaube nicht, dass das eine nostalgische Vorlage ist. Es ist aber schon eher eine Kottelat-Idee als ein typisches grünliberales Anliegen. Ich merke einfach, wenn ich im Bus laut werde, weil jemand sich respektlos verhält, dann finden das die Leute gut. Und wenn mir einmal jemand sagt, du alte Schachtel, halt mal den Mund, dann ist mir das schlicht egal. Alles schon vorgekommen. Ich bin eine Kämpferin, kapitulieren ist nicht mein Ding. Man muss etwas unternehmen. Und jetzt schauen wir mal, was daraus wird.

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