Ein Phänomen, das oft in kleinen Kantonen auftritt

Doppelrolle des Baarer Gemeindepräsidenten sorgt für Unmut

Der Baarer Gemeindepräsident Walter Lipp vor seinem Gemeindehaus. Es ist nicht sein einziger Arbeitsplatz. (Bild: zvg / AURA / Emanuel Ammon)

Kann man für die kantonale Verwaltung arbeiten und die einzelnen Gemeinden in bestimmten Belangen überprüfen und gleichzeitig als Oberhaupt eines Zuger Gemeinderats fungieren? Was mancherorts für kritische Stimmen sorgt, ist durchaus üblich und auch legitim, stellt der Experte fest. Sofern bestimmte Regeln eingehalten werden.

Walter Lipp arbeitet seit zwei Jahren beim Kanton Zug als Grundbuch- und Notariatsinspektor. Zu den Aufgaben dieses Inspektorats gehört, so erklärt die zuständige Generalsekretärin Séverine Feh, «die Unterstützung der gemeindlichen Notariate und des Amtes für Grundbuch- und Geoinformationen. Der Notariatsinspektor ist auch zuständig für die Durchführung von Inspektionen, die Behandlung von Beschwerden, die Erteilung und Löschung von Beurkundungsbefugnissen und die Prüfung von Zusammenarbeitsverträgen unter den Gemeinden sowie weiteres.»

So weit, so unspektakulär. Nur kennt man Walter Lipp hauptsächlich in seinem Amt als Gemeindepräsident von Baar, in welches der ehemalige Gemeindeschreiber 2018 gewählt wurde. Eine Gemeinde überprüfen und diese gleichzeitig führen? Das klingt schwer nach Interessenskonflikt. Was wiederum bei zentralplus-Lesern für Unverständnis sorgt.

Ein typisches Phänomen in kleinen Kantonen

Es sei nicht unüblich, dass Menschen in der kleinen Schweiz und insbesondere in kleinen Kantonen wie Zug mehrere Mandate übernehmen, erklärt Andreas Abegg, Professor für öffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW. «Es ist ein häufiger Konflikt, der immer wieder zu reden gibt», sagt er auf Anfrage. Entsprechend seien klare Ausstandsregeln nötig, die in Fällen wie diesem zum Zuge kämen.

Abegg verweist auf die allgemeinen Prinzipien im Verwaltungsverfahren. Diese regeln, wann eine Person in den Ausstand zu treten hat. «Betrifft Lipps Arbeit beim Kanton Zug die Gemeinde Baar, ist es für ihn zwingend, in den Ausstand zu treten. Diese Aufgaben muss er seinen Kollegen überlassen.» Tue dies Lipp, sei das Doppelmandat unproblematisch.

Eine Anfrage bei Walter Lipp bestätigt Abeggs Aussage: «Die Frage nach der Vereinbarkeit meines Präsidialamts mit der Arbeit beim Kanton haben wir uns natürlich vorgängig ebenfalls gestellt. Aus diesem Grund ist klar definiert, dass alle Belange, welche Baar und Neuheim betreffen, von meiner Stellvertreterin übernommen werden.» Er selber trete in den Ausstand, «oft weiss ich auch gar nichts von denjenigen Geschäften, in welchen es um die beiden Gemeinden geht, da sie direkt an meine Kollegin geleitet werden».

«Ich kann die Arbeit für die Gemeinde Baar sehr gut von jener für den Kanton unterscheiden.»

Walter Lipp, Baarer Gemeindepräsident und Kantonsangestellter

Die Regelung gilt auch für Neuheim, weil sich die beiden Gemeinden in verschiedenen Angelegenheiten zusammengeschlossen haben und beispielsweise auch das Notariat von Neuheim seit einem Jahr in Baar geführt wird.

«Bei den anderen Gemeinden sehen wir kein Problem in meiner Tätigkeit. Ich kann die Arbeit für die Gemeinde Baar sehr gut von jener für den Kanton unterscheiden», sagt Lipp.

Sind die Kollegen trotzdem kritisch gegenüber Lipps Gemeinde?

Einen potenziell heiklen Punkt erkennt Andreas Abegg in der vorliegenden Situation dennoch: «Reicht es, wenn Lipp in den Ausstand tritt? Erledigen seine Kollegen beim Kanton die Arbeiten in Baar und Neuheim gleich kritisch, wie sie das bei den anderen Gemeinden machen, obwohl sie wissen, dass ihr Kollege in Baar Gemeindepräsident ist?» Dieser rechtfertigt sich: «Die Gemeinde Baar wird behandelt wie jede andere. In der heutigen Gesellschaft kann man es sich nicht leisten, einen Ort zu bevorteilen», sagt er mit Überzeugung.

Das Amt des Gemeindepräsidenten wird in Baar auf ein 80-Prozent-Pensum geschätzt. Dafür erhält er rund 150'000 Franken pro Jahr. Beim Kanton arbeitet Lipp gemäss eigenen Angaben 30 Prozent. Auf die Frage, ob er mit diesem Zusatzpensum seinen Aufgaben für die Gemeinde Baar mit ihren bald 25'000 Einwohnern gerecht wird, sagt er: «Eigentlich ist man 24 Stunden lang Gemeindepräsident, man wird einfach im Rahmen eines 80-Prozent-Pensums entschädigt. Letztlich muss die Arbeit getan werden. Ob ich meinem Job gerecht werde, entscheiden indes die Wählerinnen und Wähler.»

Und weiter: «Ich jedenfalls werde mich nächstes Jahr gerne wieder zur Wahl aufstellen lassen und nehme dieses ‹Mitarbeitergespräch der Bevölkerung› sehr gerne wahr. Das Amt des Gemeindepräsidenten gefällt mir nämlich ausserordentlich gut.»

Nähe zu den Gemeinden ist dem Regierungsrat wichtig

Zurück zu Lipps Stelle beim Inspektorat: Warum hat man Walter Lipp 2019 überhaupt für diesen Job in Erwägung gezogen, wo man sich der Problematik doch bewusst war? «Mir ist wichtig, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Nähe zu den Gemeinden haben. Diese bringt Lipp als ehemaliger Gemeindeschreiber zweifellos mit. Er versteht die Anliegen der Gemeinden und kennt die Praxis. Ebenfalls verfügt er über viel Erfahrung und hat die entsprechende Ausbildung dafür», erklärt Andreas Hostettler, der zuständige Regierungsrat.

Ausserdem sei man damals, 2019, mit der Problematik konfrontiert gewesen, dass es sich einzig um ein Restmandat von 20 bis 30 Prozent gehandelt habe. «Wir waren daher froh, jemanden zu finden, der überhaupt so ein kleines Pensum übernehmen wollte», erklärt Hostettler weiter.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 14.09.2021, 14:03 Uhr

    70%+30% ergibt auch 100%.
    Dem entsprechend kann Mann ihn auch Entlöhnen und damit die anderen Löhne anpassen und wenn das Volk mit der Leistung nicht zufrieden ist,muss es Ihn ja auch nicht wählen.

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