Wie «Bier-Idee» mit Social Media zur Lawine wurde

«Doppelradler»-Hype führte in Luzern zu Polizeieinsatz

David Schurtenberger in den Räumen des Luzerner Biers, wo die «Doppelradler-Bier-Idee» entstand.

(Bild: jav)

Im vergangenen Sommer wurde aus einem Scherz des «Luzerner Biers» ein viraler Hype. Die kleine lokale Brauerei lief auf dem Zahnfleisch, konnte kaum noch alle internationalen Anfragen und Bestellungen beantworten und musste schliesslich sogar die Polizei einschalten.

Blicken wir zurück auf das Spiel Schweiz–Serbien an der diesjährigen WM. Die Schweizer Nati-Spieler Xhaka, Shaqiri und Lichtsteiner zeigen den Doppeladler, die Schweiz feiert den Sieg. Wenig später dreht der Wind: Eine Diskussion über Doppelbürgerschaft und Identifikation entbrennt. Viele Leute fühlen sich provoziert und beleidigt.

In diesem ganzen medialen Rummel postet David Schurtenberger, Mitgründer und Geschäftsführer des Luzerner Biers, ein Foto auf Facebook. Darauf zu sehen ist das «Doppelradler»-Bier – die Etikette eine abgewandelte Form des hauseigenen Logos.

Mit Begeisterung und Wut

Ein Scherz, der viral geht. So sehr, dass der 49-jährige Geschäftsführer nach kurzer Zeit verkündet, er mache ernst und werde nun doch einige Kisten mit der «Doppelradler«-Etikette produzieren. Anfragen, Mails und Kommentare überschwemmen die kleine Firma mit den drei Festangestellten und acht Stundenlöhnern, die im Luzerner Tribschenquartier ansässig ist. Es sind zum grössten Teil positive Reaktionen, die Schurtenberger erreichen, aber auch wüste Mails und Drohungen sind darunter.

Dass die Aktion auch provoziere und viele kontroverse Reaktionen auslösen könne, sei zuvor diskutiert worden, sagte Schurtenberger damals (zentralplus berichtete). Man wolle aber nicht auf diesen Zug aufspringen, sondern das Gegenteil erreichen. «Mit dem Wortspiel und dem Scherz wollen wir etwas Luft aus dieser aufgeladenen Diskussion nehmen», so Schurtenberger.

zentralplus: Wenn wir heute zurückblicken, scheint das mit dem «Luft rausnehmen» ja nicht ganz so gut funktioniert zu haben?

David Schurtenberger: (Lacht.) Ja. Der Schuss ging nach hinten los. Es scheint, dass wir eher noch mehr Luft reingepumpt haben. Trotzdem glaube ich, dass wir durch unsere Haltung und den Sprachwitz vielleicht ein paar Leute zum Denken angeregt haben.

zentralplus: Sie hatten mit Reaktionen gerechnet, aber nicht damit, dass der Scherz so viral gehen würde. Diese Masse an Reaktionen hat Sie kalt erwischt?

Schurtenberger: So ist es. Wir hatten das Bild auf unserer Facebook-Seite gepostet. Die war damals nicht sonderlich gut besucht – wir haben vielleicht zweimal wöchentlich einen Hinweis auf einen Anlass oder etwas Witziges gepostet – für Freunde, Partner, Fans. In sehr guten Momenten erhielten solche Posts vielleicht 60 bis 80 Likes. Wir haben deshalb beim «Doppelradler»-Bild zwar damit gerechnet, dass es innerhalb unserer kleinen Community polarisieren würde, aber wir haben nicht mit dem Social-Media-Effekt gerechnet. Wir waren vielleicht wirklich zu naiv.

«Als uns telefonisch konkret gedroht wurde, wurde mir dann wirklich unwohl.»
David Schurtenberger, Geschäftsführer Luzerner Bier

zentralplus: Wie viele Reaktionen gab es denn tatsächlich?

Schurtenberger: Die Posts hatten über 5’000 Likes, unzählige Kommentare und auch auf anderen Kanälen kamen schnell Reaktionen. Ich habe mehr als 600 Mails zum «Doppelradler» erhalten. Schnell wurde es uns zu viel. Zwar waren bestimmt 98 Prozent der Reaktionen positiv. Doch es gab auch negative Kommentare. Vor allem Schweizer Wutbürger, die uns ihre Empörung mitteilen mussten, und auch ein paar wenige serbische Staatsangehörige, die sich provoziert fühlten.

zentralplus: Die negativen Reaktionen scheinen teils heftig ausgefallen zu sein – offenbar wurde sogar die Polizei eingeschaltet. Was war da los?

Schurtenberger: Es waren nur ein paar wüste Mails. Auch die gehen einem nahe. Doch als uns telefonisch konkret gedroht wurde, wurde mir dann wirklich unwohl und ich fragte bei der Polizei nach. Während des ersten Rampenverkaufs war dann eine Patrouille in der Nähe.

Er würde es heute nicht mehr tun, sagt Schurtenberger heute über den WM-Scherz.

Er würde es heute nicht mehr tun, sagt Schurtenberger heute über den WM-Scherz.

(Bild: jav)

zentralplus: Wie viele «Doppelradler» wurden dann schliesslich verkauft?

Schurtenberger: Die 100 Kisten, die wir produzieren konnten, waren innerhalb kürzester Zeit reserviert. Wir mussten immer wieder Leute bei der Rampe enttäuschen, da es keine weiteren «Doppelradler» mehr gab. Mehr war nicht möglich – es war ein sehr guter Sommer und wir hatten schlicht nicht mehr Kapazität zu der Zeit.

zentralplus: Wie viel mehr, schätzen Sie, hätten Sie verkaufen können?

Schurtenberger: Ich würde bescheiden schätzen: Ungefähr das Dreifache unserer gesamten Jahresproduktion. Wir hatten Anfragen aus der ganzen Welt – aus Kanada, den USA, aus Norwegen, Australien. Es war eindrücklich. Nach Albanien und in den Kosovo hätten wir sattelschlepperweise exportieren können. Und könnten noch immer. Und das, obwohl sich der Hype auf den sozialen Medien nach ein paar Wochen wieder völlig beruhigt hatte.

«Wir wollten auf ein Thema mit Sprachwitz reagieren und kein politisches Statement setzen.»

zentralplus: Und weshalb exportieren Sie nicht heute sattelschlepperweise?

Schurtenberger: Uns wurde die Geschichte zu politisch. Wir wollten auf ein aktuelles Thema mit etwas Sprachwitz reagieren und kein politisches Statement setzen. Unser Ziel ist es nicht, nur noch Bier für eine Szene, für eine Nationalität oder eine Partei zu brauen. Zudem habe ich durchaus Verständnis dafür, dass sich Menschen provoziert fühlten.

Das «Doppelradler».

Das «Doppelradler».

(Bild: Patrick Lehmann)

zentralplus: Würden Sie es trotzdem nochmals genauso machen?

Schurtenberger: Nein. Und zwar, da wir niemanden bevorzugen und niemanden vor den Kopf stossen wollen. Natürlich ist mir politisch die eine Seite lieber als die andere, aber wir machen hier keine Politik, sondern Bierkultur.

zentralplus: Doch Sie schliessen nicht grundsätzlich aus, zu einem anderen Thema mal wieder einen Scherz zu wagen?

Schurtenberger: Das werden wir bestimmt wieder tun. Wir werden aber auch länger über mögliche Auswirkungen und Reaktionen sprechen und vorsichtiger auswählen.

zentralplus: Die Geschichte hatte doch bestimmt auch ihre guten Seiten?

Schurtenberger: Natürlich. Das Positive überwiegt klar. Denn wir konnten vielen Leuten eine Freude machen. Ein junger Mann kaufte beispielsweise eine Kiste, die er seinem Vater im Urlaub in den Kosovo brachte. Dieser hatte ihn überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht, da im Kosovo Zeitungen und Fernsehen über uns berichtet hatten.

zentralplus: Jede Werbung ist gute Werbung. Hat sich das bewahrheitet?

Schurtenberger: Bestimmt. Wir haben zwar auch ein paar Kunden verloren. Doch mehrheitlich wurde sehr positiv über uns gesprochen. Zudem sind vielleicht ein paar neue Kunden auf uns aufmerksam geworden. Vorsichtig ausgedrückt würde ich sagen: Es hat uns bestimmt nicht geschadet.

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