35 Jahre prägte Zugs Stadtpräsident die Politik

Dolfi Müller: «Die Zuger Linke kann in den nächsten vier Jahren nur eins tun»

Bald ist die Ära Dolfi Müller vorbei. Nur noch bis Ende Monat regiert der SP-Mann die bürgerlich geprägte Stadt Zug.

(Bild: wia)

Ende Jahr verlässt ein Mammut die Stadtzuger Politbühne. Mehr als 35 Jahre lang prägte Dolfi Müller Zug mit. Zum Abschluss lieferte Müller zentralplus Antworten darauf, warum eine SVP-Initiative für ihn zum Segen wurde und weshalb er der Linken nun inbrünstig rät, schampar unbequem zu sein.

Hier ist jemand definitiv noch im Amt. In Dolfi Müllers historischem Büro ist einen Monat vor seinem Weggang nichts zu spüren. Bunte Klarsichtmappen stapeln sich nach einem unergründlichen System, an den Wänden hängt viel Kunst, sein Pult ist übersät mit Dokumenten, mit Büchern. Im Januar übernimmt Karl Kobelt das Zepter des Zuger Stadtpräsidenten. Um aufzuräumen, bleibt noch etwas Zeit. Dolfi Müller weist auf die bisher einzige einigermassen freigeräumte Ecke des Pults und wir setzen uns.

zentralplus: Dolfi Müller, eine der wohl ersten Abstimmungen, welche Sie nicht mehr als Stadtpräsident miterleben werden, ist jene über die SVP-Parkraum-Initiative. Sind Sie froh?

Dolfi Müller: Ein wenig. Das Thema Parkplätze beschäftigt uns nun bereits seit den Achtzigern. Zwischenzeitlich hatten wir eine Art Parkplatzfrieden mit der Einigung auf den Bebauungsplan Post. Linke und Bürgerliche einigten sich darauf, dass zwar die Umgebung des Postplatzes von Privaten bebaut werden darf, der untere Postplatz jedoch freigespielt wird. Man kann da schon fast von einem historischen Kompromiss reden. Mit der Abstimmung «Ja zu Gewerbe und Läden in der Altstadt» vom letzten Herbst wurde dieser nach zehn Jahren wieder gekippt.

«Schützengrabenpolitik führt uns nicht weiter. Und diese Gräben sind nun wieder aufgegangen …»

zentralplus: Ich höre da raus, dass Sie sich also durchaus freuen, sich endlich nicht mehr mit diesem ewigen Thema befassen zu müssen.

Müller: Nun ja. Schützengrabenpolitik führt uns nicht weiter. Und diese Gräben sind nun wieder aufgegangen … Irgendwann hat man keine Lust mehr darauf.

zentralplus: Älteren Medienberichten zufolge waren Sie bereits früher als Gemeinderat dafür bekannt, den Kompromiss zu suchen. Womöglich ein Attribut, das Ihnen massgeblich dabei geholfen hat, als Linker zum Stadtpräsidenten gewählt zu werden?

Müller: Die Lust am politischen Kampf ist mir zwar nie ganz abhanden gekommen. Doch ist es in dieser kleinen Stadt besser, wenn man die Schützengräben zuschüttet. Ich bin nie ideologisch aufgetreten, sondern eher resultatorientiert. Und wohl auch mit einem gewissen Charme. Was mir dagegen nicht liegt, ist Verbissenheit … Dieses Parkplatzthema wird etwa viel zu verbissen thematisiert.

zentralplus: Inwiefern hat sich die Zuger Linke während Ihres politischen Lebens verändert?

Müller: Als ich in den Siebzigern in die SP kam, gabs eine Trennlinie durch die Partei. Da waren zum einen die Gewerkschafter, welche eine klassische Büezerpartei suchten, und zum anderen die eher akademisch intellektuellen Spät-68er. Zweitere wollten gestalterisch in die Politik eingreifen. Und irgendwann lernte man – auch ich – dass kommunale Politik mit Ideologie wenig zu tun hat. Ich glaube, heute ist die Linke pragmatischer als damals. Ich würde zu behaupten wagen, dass diese fundamentale, ideologische Linie mittlerweile eher von den Alternativen aufgenommen wurde. Mit ihrer heutigen Linie macht es sich die SP nicht nur einfach.

zentralplus: Inwiefern?

Müller: Wer sich mit klaren Botschaften äussert, hat es einfacher. Wir leben in einer Zeit, in welcher der Begriff des Kompromisses negativ besetzt ist. In einer Welt, in der wir häufig männliche Leaderfiguren haben, welche ein einfaches Weltbild verkaufen. Das ist parteipolitisch leider ein Erfolgsmodell.

zentralplus: Könnte Ihr Mangel an ideologischem Denken mitunter ein Grund sein, warum Sie es nie über die kommunale Politik hinaus geschafft haben, wie beispielsweise Jo Lang?

Müller: Ich habe die Karriere nie gesucht. Ich hatte keinen Lebensplan, mit 55 Bundesrat zu sein. Der GGR war für mich ein Ort, wo ich mich ausleben konnte und persönlich viel gelernt habe. So etwa, eine Meinung zu haben und diese möglichst gekonnt zu vertreten. Die Kommune ist der Ort, wo wir unsere Lebenswelt gestalten. Dort spüren wir, wie gut oder schlecht unsere Politik ist.

«Die Linke im Kanton Zug kann jetzt nur noch eins tun. Schampar unbequem sein.»

zentralplus: Was hat sich generell in der Zuger Politik verändert in der Zeit, in der Sie sich darin bewegten?

Müller: Der Majorz hat sich zu einer Mehrheitsbeschaffungsmaschine der CVP und FDP entwickelt. So ist im Stadtrat ab Januar noch eine linke Stadträtin, die Kantonsregierung ist gänzlich bürgerlich. Damit wird die Bevölkerung nicht korrekt wiedergegeben. Da sind bei mir die Zeichen auf Sturm! Die Linke im Kanton Zug kann während der nächsten vier Jahren deshalb nur eins tun. Mit Helmut Hubachers Worten gesagt: Schampar unbequem sein.

zentralplus: Wie?

Müller: Indem sie das Referendum ergreift. Etwa bezüglich Bau- und Planungsgesetz, beim Denkmalschutzgesetz oder auch bei der geplanten ZVB-Busgarage mitten in der Stadt. Diesen Ball müssen wir nun spielen. Ausserdem wird es an der CVP liegen, bei Zeit und Gelegenheit auf den dritten Sitz im Regierungsrat zu verzichten. Und zwar freiwillig.

zentralplus: Schampar unbequem sein, das klingt gut und recht. Doch wird die Linke in Zug vielerorts nicht als geschlossene Einheit wahrgenommen.

Müller: Natürlich ist das nicht gut. Die Verantwortung liegt bei den Linken. Jammern über die CVP bringt uns nicht weiter, das ist klar. Wenn man etwas verändern will, ist es alternativlos, dass man besagte Referenden nun gemeinsam ergreift. Soviel Überlebenswillen haben beide linken Parteien. Schauen Sie sich etwa das Referendum zu den Sparmassnahmen an. Dort haben SP und ALG erfolgreich zusammengearbeitet. Schlicht, weil das Thema wichtig genug war.

zentralplus: Was kann die SP in der Stadt Zug besser machen?

Müller: Sie müsste eine Spur profilierter werden. Zwar macht es Sinn, dass die SP in der Alltagspolitik weiterhin den Kompromiss sucht. Wenn man uns diesen jedoch nicht zugesteht, müssen wir uns halt wie gesagt mit Referenden wehren. Wenn das die SP in den nächsten vier Jahren nicht macht, dann war sie halt nicht schampar unbequem. Das ist die einzige Strategie, die noch funktioniert.

«Zum grossen General eigne ich mich nicht.»

zentralplus: Die Adventszeit ist auch die Zeit, in der der Samichlaus kommt. Da wird reflektiert, was hat man gut gemacht, was weniger. Ich möchte von Ihnen wissen, was Sie in Ihrer Zeit als Stadtpräsident gut gemacht haben.

Müller: Ich glaube, da gibt es drei Dinge. Ein Stadtpräsident muss manchmal ein Visionär sein. Das ist mir gelungen mit dem Stadttunnel, aber auch mit der ganzen Crypto-Valley-Geschichte. Weiter braucht ein Stadtpräsident Rückgrat. Gerade etwa, wenn’s um eine Volksinitiative geht. Drittens ist wohl eine meiner Stärken die Selbstironie. Ich verbeisse mich nicht, ich nehme mich nicht immer todernst.

zentralplus: Natürlich wollen wir nun auch wissen, was Ihnen nicht gelungen ist.

Müller: Ich war in der Anfangszeit wohl zu kompromissbereit. Ich habe damals etwas zu sehr auf Fachleute gehört. – Auch wenn das jetzt wieder positiv klingt. – Ich habe eine Zeit gebraucht, um zu merken, dass ich wirklich im Führerstand bin. Das gelang mir in der ersten Hälfte meiner Amtszeit weniger. Ich wurde damals wohl als der freundliche Stadtpräsident wahrgenommen. Zum grossen General eigne ich mich zwar auch heute noch nicht.

Sogar ins japanische Fernsehen schaffte es Dolfi Müller vor wenigen Jahren. Der Grund: Zug als erfolgreicher Wirtschaftsplatz.

Sogar ins japanische Fernsehen schaffte es Dolfi Müller vor wenigen Jahren. Der Grund: Zug als erfolgreicher Wirtschaftsplatz.

(Bild: Screenshot Youtube)

zentralplus: Das klingt, als hätten Sie sich immer besser in Ihre Rolle eingelebt und würden es auch nicht bereuen, so lange im Amt gewesen zu sein.

Müller: Nein. Ich bin der SVP unglaublich dankbar, dass sie mir mit ihrer Fallschirm-Initiative noch einmal vier Jahre im Stadtrat geschenkt hat.

«Die letzten vier Jahre waren wirklich ein phänomenaler Lauf.»

zentralplus: Sie sprechen von jenem Vorstoss, der dazu führte, dass man den Stadträten ihre Abgangsentschädigungen massiv kürzte.

Müller: Genau. Dadurch war für mich klar, dass ich nicht mit 60 Jahren aufhören würde, sondern erst vier Jahre später. Das waren die mit Abstand besten vier Jahre für mich. Mit dem Crypto Valley haben wir eine Chance bekommen, die andere Städte so nicht hatten. Ob der Bitcoin steigt oder fällt, hat damit nichts zu tun. Uns geht es um Blockchain. Ich wurde diesbezüglich nach Rio eingeladen, London und Prag. Nur nach Prag bin ich dann effektiv gereist. Die Kosten wurden vom Veranstalter und mir selbst getragen. Weiter hatten wir den Bürgermeister von Seoul hier, einer Millionenstadt! Mit diesem Thema haben wir ein Signal gesetzt. Die letzten vier Jahre waren wirklich ein phänomenaler Lauf.

zentralplus: Was waren Ihre politischen Höhepunkte?

Müller: Sicher, als die Renovation der Galvanik nach dem Brand mit über 60 Prozent angenommen wurde. Gerade, weil sie doch ein alternativer, ja fast chaotischer Ort ist. Auch das Ja zum Kauf des L&G-Gebäudes war ein Highlight. Und natürlich die Eröffnung der Bossard-Arena. Das war ein emotionaler Kick sondergleichen, als ich da auf dem Eis stand. Und die negativen Momente …

zentralplus: Genau.

Müller: Die Ablehnung des Stadttunnels durchs Volk. Dass wir nun mit zweitrangigen Ersatzmassnahmen eine Verkehrsentlastung erreichen müssen. Es sind vielfach Notlösungen, die nun umgesetzt werden. Etwa die Aufwertung der Alpenstrasse mit ihren Kirschbäumen. Das sage ich, ohne damit die Arbeit des Bauamtes abzuwerten. Doch der Stadttunnel hätte uns freigespielt für die Stadtentwicklung.

zentralplus: Was werden Sie vermissen?

Müller: Das gute Stadtratsteam. Die guten Leute hier im Präsidialdepartement. Vielleicht auch die vorgegebene Struktur. Freiheit ist immer auch eine Herausforderung. Doch das werde ich dann sehen.

zentralplus: Was werden Sie nicht vermissen?

Müller: Irgendwelche Cüplipartys. Ich mag sowieso keine Cüpli. Ausserdem Stehpartys. Und dieses durchgetaktete Leben. Es ist zwar nicht so schlimm wie bei einem Bundesrat, geht aber schon in die Richtung. Ich freue mich darauf, einfach einmal sinnloses Zeug zu tun und sich treiben zu lassen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Stefan W. Huber
    Stefan W. Huber, 07.12.2018, 06:00 Uhr

    Danke Dolfi für dein leidenschaftliches Engagement! Ich werde Deinen freien, pragmatischen Geist und deine messerscharfen, humorvollen Voten wirklich vermissen!

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