Lozärner Fasnacht: Startschuss für Gästival

«Do you like Fasnacht?» – «No, I love it!»

Mit Vollgas durch die Lozärner Fasnacht: Shan Chu Yin (rechts) aus Malaysia mit ihrem Gastgeber. (Bild: zvg)

Die Fasnacht ruft zum Rollentausch auf. Für die diesjährige Fasnacht hat sich der Autor viel vorgenommen – und eine Asiatin an die Lozärner Fasnacht eingeladen. Gästival live, sozusagen. Ganz im Zeichen des Zentralschweizer Projekts, das 2015 zum Jahr der Gastfreundschaft erklärt. Ein subjektiver Erfahrungsbericht als Nachruf auf die fünfte und schönste Jahreszeit.

«Ich kann die verrückten Tage kaum erwarten», freut sich Shan Chu Yin am Vorabend vom Schmutzigen Donnerstag. Soeben ist sie in Luzern angekommen. Die 25-jährige Malaysierin aus Klang im Westen von Kuala Lumpur ist nicht zum ersten Mal in der Schweiz. Über Weihnachten 2014 war sie zusammen mit einer Freundin drei Tage bei mir zu Gast. Zwischen Fondue-Essen und Schlittelplausch sind wir auf Fotos von der Lozärner Fasnacht gestossen. Shan und ihre Freundin waren sofort fasziniert vom fasnächtlichen Treiben in den Gassen der Luzerner Altstadt, vom farbenfrohen kreativen Chaos. «Das will ich auch mal erleben!» 

Ein mutiger Entscheid

Gesagt, getan. Und so trifft man sich erneut in der Leuchtenstadt am Vierwaldstättersee. Gelebte Gastfreundschaft, einmal mehr. Ein mutiger Entscheid. Nicht wegen Luzern. Sondern wegen der Fasnacht. Einem ausländischen Gast von der anderen Seite der Welt das närrische Treiben zuzumuten, birgt nicht nur für einen eingefleischten Fasnächtler wie mich ein gewisses Risiko. Fasnacht ist schön, aber auch streng. Vom Urknall bis zum Aschermittwoch sind es doch einige lange Tage und Nächte. Kalte Tage und Nächte, aber immerhin soll das Wetter gut sein. Als Strassenfasnächtler werden wir die meiste Zeit draussen verbringen, uns vom Treiben und Lärmen mitreissen lassen. Hält mein Gast das durch?

Nach dem Nachtessen werden die letzten Vorbereitungen für den Urknall getroffen. «Gwändli» parat legen, «Grende» anpassen, Zubehör anbringen. Mit «Rennfahrer» haben wir uns für ein schnelles Sujet entschieden. Schon jetzt geht die Vorfreude mit Shan durch. Wir wühlen uns im Keller durch alte Sujets des inzwischen beachtlichen Fasnachtslagers, bewundern alte «Grende». Das Fasnachtsfieber kündigt sich an. Vorfreude ist die schönste Freude.

Startschuss zum «Grand Prix Lucerne»

Am nächsten Morgen ist in Luzern nichts wie sonst. Eine Stadt im Ausnahmezustand. Wir mischen uns ins Getümmel. Urknall, «Fötzeliräge», «Brüele» und Orangenfangen. Die einzigartige Atmosphäre auf dem Kapellplatz hat uns fest im Griff. Shan findet den Moment der Momente unbeschreiblich schön. «Awesome!» Selbstverständlich wird alles mit der ultragrossen digitalen Spiegelreflex-Kamera festgehalten. «I want to capture every moment.» So viel Erinnerung muss sein. Und weil das Fotografieren mitten im Fasnachtstreiben einer echten Herausforderung gleichkommt, sind auch Go-Pro-Kamera und iPhone mit Weitwinkelobjektiv-Clip und «Selfie-Stick» Einsatz. Damit lässt sich auch unter widrigsten Bedingungen noch ein akzeptables «Selfie» schiessen.

«That’s living art and culture at its best!»

Shan Chu Yin, Studentin aus Malaysia

Fasnacht heisst Maskentreiben, intrigieren, spielen, geniessen. Genau das tun wir. Ab in die Gasse, Motor an und los geht’s mit «Gässle». Die ersten Kurven nehmen wir mit Leichtigkeit. In den engen Häuserschluchten heulen die Motoren und hornen die Guuggen. Gefahren wird wie wild, gehupt auch. Ab und zu erschweren Fasnachtswagen die Überholmanöver. Farbige, gförchige und fantastische «Grende» säumen die Strassen. Eine schönere Kulisse kann man sich nicht vorstellen.

«Es Kafi am Pischterand»

Im Rausch der Geschwindigkeit vergisst Shan gar den Hunger. Immerhin sind wir jetzt schon seit vier Stunden wach. «We need more fuel!» Ein kurzer Boxenstopp drängt sich auf. «Let’s go for a Kafi Schnaps», fordert mein malaysischer Gast. Nach einem Frühstück an der Wärme und einem ersten Kafi Schnaps mit Vreni Schneider geht es in die zweite Runde. Shan mimt den «Racer» mit soviel Freude und Hingabe, dass Kinderaugen leuchten und die Fotoapparate «ziviler» Besucher blitzen.

«Everything is so incredible amazing», frohlockt die Grafik-Design-Studentin, die derzeit nahe London ein Austauschsemester absolviert. Alles sei so unglaublich kreativ, lebendig und fantasievoll. «That’s living art and culture at its best!»

Echte und «falsche» Touristen

Nicht selten treffen wir auf echte und «falsche» Touristen. Chinesen, Japaner, Engländer, Deutsche aber auch inländische Gäste aus Zürich und Basel. Als Touristen verkleidete Luzerner Fasnächtler hat es an der Fasnacht immer wieder gegeben. Dieses Jahr aber beteiligen sich unzählige Fasnächtler an der Mitmachaktion des Gästivals.

Verschiedene Fasnachtsgruppen haben sich dem Thema angenommen, wie zum Beispiel die «Saunafäger», die als genussfreudige Wintergäste unterwegs sind. Auch einige Kult-Ur-Fasnächtler, Familien- und Kindergruppen bereichern die Tourismushochburg, unter anderem als Safari-Touristen und Reisegruppen, eine davon sogar mit eigenem Reisebus.

Tourismus à discretion

Chinesische Reisegruppen sind auf Einkaufstour im Schmuck- und Uhrengeschäft. Japaner fragen: «Where is the Lion Monument?» Und alle schiessen sie unzählige «Selfies» von sich vor malerischen Kulissen. Übergewichtige Amerikaner in Shorts, weissen Socken und Turnschuhen watscheln über die Kapellbrücke. Charakterstarke «Grende» und «Gwändli», die gängige Klischees bedienen. Ein spannender Rollentausch.

«Rüüdig verreckt!»

Natürlich darf ein gewisser Grundwortschatz an der Fasnacht nicht fehlen. Ohne Ausdrücke wie «Kafi», «Zwätschge», «Träsch» und selbstverständlich «Hoi metenand», «Bitte» und «Danke» wird es schwer. «Säg mol Chuchichäschtli», tönt es. Lustige und erfrischend herzliche Situationen, die für etliche Lacher sorgen. «Rüüdig verreckt!»

«Oh, I lost my Asian tool.»

Shan Chu Yin

Nicht einmal eine arg beschädigte Digitalkamera und ein verlorener «Selfie-Stick» können die Stimmung trüben. Als Shan den Verlust bemerkt, meint sie lachend: «Oh, I lost my Asian tool.»

Unglaubliche Gesichter 

Herzliche Gastfreundschaft erlebt Shan, die bis vor kurzem die Lozärner Fasnacht nur vom Hörensagen kannte. Überall steht die exotische Shan im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Überraschung bei der Demaskierung ist riesig. Kaum einer erwartet unter dem Rennhelm grosse dunkle Mandelaugen. Noch weniger rechnet der typische Fasnächtler mit einer chinesischen Malaysierin, die nebst Malaysisch auch Mandarin, Kantonesisch und Englisch beherrscht. Schon gar nicht erst die asiatischen Touristen! Ganz stolz und selbstbewusst präsentiert sich die Südostasiatin als echte Luzerner Fasnächtlerin, selbstverständlich immer mit «Grend». «Do you like Fasnacht?» – «No, I love it!»

Und als wäre ihr das Fasnachtsvirus in die Wiege gelegt worden, fachsimpelt sie mit Kult-Ur-Fasnächtlern über Sujets und Ideen. Einfach unglaublich. Einmal mehr zeigt sich, dass Kreativität, Spass und Lebensfreude keine Grenzen kennen. Fasnacht total!

Für einen besonderen Höhepunkt sorgt – wie so oft an der Fasnacht – der Zufall. Die spontane Kafi-Runde mit Chinesischen Tourismus-Studenten ist vielleicht der Anfang internationaler Freundschaften. Eben: pure Gastfreundschaft, erlebbar an der Lozärner Fasnacht wie sonst wohl nirgendwo. Das haben auch die Chinesen nicht erwartet. Shan hat an den verdutzten Touristen ihre helle Freude. «Come on, let’s take a «Schnupf» together», ruft mir Shan zu. Na dann: «Priis!»

 

Sind Sie auch schon mit ausländischen Gästen an die Fasnacht? Wie haben Ihre Gäste und Sie die fünfte Jahreszeit erlebt?

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