Flohmarkt Luzern startet diesen Samstag

Dinosaurier Jürg Sidler ist seit 40 Jahren unter lauter «Wilden»

Monoalbum und Leuchtvase: Jürg Sidler verkauft Musik aus den 60ern und Mobiliar aus den 80ern.

(Bild: hae)

Am Luzerner Flohmarkt gibt es ab Samstag wieder für jeden etwas: Kleider für die Studentin, Bücher für den Rentner, Schallplatten für den Sammler. Seit Anfang dabei und damit der grosse Dinosaurier ist der Luzerner Jürg Sidler. Er steht jeweils schon morgens um 6 Uhr bereit.

Die Beatles-Platte ist 55 Jahre alt, die Pilzköpfe sind auf dem Cover noch artige Jungs, und Jürg Sidler hat die Schallplatte in Plastik eingeschweisst. Er hält das musikalische Liebhaberstück liebevoll in der Hand, mit der anderen zeigt er eine knallrote Design-Glasvase aus den 80er-Jahren. «Für solche Dinge lebe ich, und ich verkaufe sie ab Samstag wieder jede Woche mit Freude an der Reuss.»

«Wie in anderen Städten auch fühlte sich ein Quartier abgeschnitten von der Stadt.»

Jürg Sidler

Der 67-jährige Luzerner ist der einzige Verkäufer, der von Anfang an am Luzerner Flohmarkt dabei ist. Seit 40 Jahren, als eine Initiative des damaligen Kleinstadt-Quartiervereins den Verkauf von Gebrauchtwaren im Sommer lanciert hatte. «Wie in anderen Städten auch fühlte sich ein Quartier abgeschnitten von der Stadt», erinnert sich Jürg Sidler.

1978 war auch das Jahr, als die Stadt Luzern ihr 800-Jahr-Jubiläum feierte, der Handwerkermarkt sich neu präsentierte und die Migros-Brücke bei der Schiffswerft gebaut wurde. Die Stadt war auf dem Sprung in die Moderne.

Spielsachen, Bücher, Dekoartikel: Der Flohmarkt hat für jeden etwas zu bieten.

Spielsachen, Bücher, Dekoartikel: Der Flohmarkt hat für jeden etwas zu bieten.

(Bild: hae)

Modern war damals die Tradition der sogenannten Broquantes bereits in der Westschweiz und im Tessin, angelehnt an die grossen Flohmärkte der Metropolen Paris, London oder Rom. Auf riesigen Plätzen mit den wunderschönen Namen Porte de Clingnancourt, Portobello Road oder Porta Portese verkaufen seit jeher Tausende von Händlern alles nur Erdenkliche: von Krempel über Antikes, Ramsch und Trouvaillen, Neues wie Altes.

Fürstengewänder mit Flöhen

Ob hippe Hosen in Rom, signierte Schallplatten in London oder zarte Glaswaren in Paris – wen das Flohmarktfieber einmal erwischt hat, der wird süchtig. Während die Märkte im Mittelalter für den Weiterverkauf fürstlicher Gewänder (mit dem einen oder anderen Floh darin, deshalb der Name!) entstanden, reicht auf heutigen Flohmärkten das Angebot von gebrauchten Haushaltsgeräten über Möbel und Kunst bis hin zu Kleidung und Elektrokleinteilen. Und oft verliert man sich hoffnungslos zwischen den vielen Läden.

Schnäppchenjagd: Wer früh kommt, hat die besten Chancen auf eine Trouvaille.

Schnäppchenjagd: Wer früh kommt, hat die besten Chancen auf eine Trouvaille.

(Bild: hae)

Dahingegen präsentiert sich der Luzerner Flohmarkt mit seinen maximal 60 Ständen (siehe Box) schön übersichtlich, an einer einmaligen Lage an der Reuss und innert 20 Minuten abzulaufen. «Einzigartig bei uns in Luzern ist, dass viele Menschen es geniessen, nach dem Bummel über den Gemüse-, Früchte- und Brotmarkt auch noch über unseren Flohmarkt zu schlendern», freut sich Jürg Sidler. Er kennt die meisten Märkte der Schweiz, war er doch früher jahrelang auf diversen anderen Flohmärkten unterwegs, auch unter der Woche. Und im Winter auch im mediterranen Lugano.

Jürg Sidler arbeitet gerne an der Reuss, auch «weil ich hier Kundschaft aus der ganzen Welt empfange: von Grönland bis Südafrika, von Chile bis Kasachstan». Da sei es auch wichtig, ein paar Sprachen zu können.

«Josi Meier, die erste Ständeratspräsidentin, kam immer wieder gerne für einen Schwatz vorbei.»

Jürg Sidler, der bunte Hund des Luzerner Flohmarktes

Der Verkäufer berichtet auch von prominenten Kunden: Akris-Modechef Albert Kriemler erstand einen antiken Opalin-Aschenbecher, der Basler Stararchitekt Pierre de Meuron ein zwölfteiliges Gio-Ponti-Silberbesteck, der verstorbene Gotthard-Sänger Steve Lee viele alte Rockscheiben. «Und die Luzernerin Josi Meier, die erste Ständeratspräsidentin, kam bis zu ihrem Tod 2006 immer wieder gerne für einen Schwatz vorbei.»

Online-Ansturm auf 60 Flohmarktplätze

Diesen Samstag startet wieder der traditionsreiche Flohmarkt der Stadt Luzern an der Unteren Burgerstrasse und am Reusssteg. Neu können die 60 Standplätze online ausgewählt und reserviert werden, allerdings braucht es sehr viel Geduld. Die Mai-Flohmärkte sind zudem bereits ausgebucht. Bisher mussten sich die Verkäufer bereits Anfang Jahr für die Termine der ganzen Saison eintragen. Dies hat jeweils zu vielen kurzfristigen Annullierungen und Änderungswünschen geführt. Ein Tagesstandplatz von 7 bis 16 Uhr kostet 23 Franken.

Jürg Sidler ist der bunte Hund des Luzerner Flohmarktes. Er sagt: «Vom Junkie bis zum Bundesrat prüfte die ganze Kundenbandbreite meine Ware.» Sidlers adrett aufgeräumter Stand bildet am Flohmarkt in der Tat eine Ausnahme, finden sich doch hier kaum Schnäppchen, sondern auserlesene Gebrauchs- und Dekorationsgegenstände aus Silber oder Glas. Und eben, gesuchte und sehr seltene Vinylpressungen. Dafür kauft er von Privaten ganze Sammlungen auf.

«Wilde» legen alles wild auf den Tisch

Der Grossteil der Luzerner Stände wird aber von Gelegenheitsverkäufern bestritten, die allenfalls ein- oder zweimal im Jahr an die Reuss fahren. «Wilde» heissen diese Standverkäufer, weil sie wild alles auf den Tisch legen, was sie bei der Entrümpelung des Kellers oder Estrichs gefunden haben: Kleider, Schuhe, Küchengeräte, Bücher, Spielsachen und vieles mehr.

Keller entrümpelt: Esther Schmid (links) mit ihrer Schwester Rita.

Keller entrümpelt: Esther Schmid (links) mit ihrer Schwester Rita.

(Bild: hae)

So wie Esther Schmid aus Buchrain: «Im letzten Jahr habe ich mit meiner Schwester an einem sonnigen Samstag rund 700 Franken umgesetzt. Wir wurden Kleider und Möbelchen los, die schon lange vor sich hin staubten.» Sie wird auch heuer wieder dabei sein, konnte bislang aber noch keinen Platz reservieren, weil die Stadt-Website bei ihren zahlreichen Versuchen immer wieder abstürzte.

Schnäppchen ganz früh morgens

Manch ein Besucher träumt vom Schnäppchen. Deshalb gehen die günstigen Stücke ganz früh morgens um 6 Uhr weg: Eine Stunde vor offiziellem Verkaufsstart kommen die professionellen Händler, reissen den Verkaufenden oft die Trouvaillen aus den Bananenkisten. Just bevor diese überhaupt wissen, was sie für einen Preis für die wertvolle Ming-Vase oder das antike Blechspielzeug vom Grossvater machen sollen.

Doch für die meisten Bummler ist der Weg das Ziel und das gemütliche Schlendern kommt vor dem schnellen Kauf. Und das Handeln, ja, gar das minutenlange Feilschen ist ihnen manchmal schon die halbe Miete bei einem Flohmarktbesuch.

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