Buch über Polfahrt in «eine verrückte Gegend»

Diese Frau holt einen Krienser Pionier aus der Vergessenheit

Autorin, Historikerin und Reiseführerin: Sandra Walser.

(Bild: hae)

Der Krienser Hans Beat Wieland dokumentierte vor 123 Jahren als Pionier den arktischen Archipel Spitzbergen. Die Historikerin Sandra Walser begab sich auf seine Spuren und rekonstruierte im Buch «Auf Nordlandfahrt» Wielands Reise. Es gibt einen Maler zu entdecken, der oft mit Ferdinand Hodler verglichen wird.

Im Sommer 1896 steuert ein kleines Dampfschiff von Hamburg aus den Rand der damals bekannten Welt an: Spitzbergen, ungefähr auf halber Strecke zwischen dem norwegischen Festland und dem Nordpol gelegen. 45 Herren und 7 Damen befinden sich an Bord. Sie gehören zu den ersten Polartouristen überhaupt. 

Mit dabei ist auch der junge Schweizer Künstler Hans Beat Wieland (1867–1945), der eigentlich so gar nicht in die illustre Gesellschaft passt. Ihm liegt wenig an Champagner, Frack und Dekolleté. Sein Interesse gilt vielmehr der Erkundung der Landschaft, in der er viele Parallelen zu seiner Heimat entdeckt – wandernd, malend, schreibend. Er resümiert: «Eine verrückte Gegend.»

«Donnerwetter, das Leben!», hält Wieland in seinem Tagebuch fest, als er in Hamburg das 60 Meter lange Schiff «Erling Jarl» besteigt. Zugleich staunt er über das «Unechte», wie er seiner Abneigung gegen zur Schau getragenen Reichtum und aufgesetzte Fassade Ausdruck verleiht. 

Seekrankheit hat Demokratisches 

Wie freut ihn dann bei der langen Überfahrt in den Norden, dass «die Seekrankheit etwas Demokratisches an sich hat: Sie lässt alle sich gleich aufführen, ein Genieren gibt’s nicht mehr.» Und bei all dem Wellengang und Erbrechen kalauert Wieland: «Alles muss raus, alles, nur der Humor nicht.»

«Einsam, furchtbar einsam und ernst – meine eigentliche Lieblingslandschaft.»

Hans Beat Wieland, Krienser Künstler

Endlich in Spitzbergen angelangt, stellt der Zeitzeuge Wieland sehr viel Ähnlichkeit mit dem Gotthardgebiet fest und findet so die Heimat in der Ferne. Der lange in Kriens wohnhafte Wieland schreibt: «Einsam, furchtbar einsam und ernst – meine eigentliche Lieblingslandschaft.» Dennoch rügt er sich einmal selber: «Das verfluchte Vergleichen!» 

«Einsam, furchtbar einsam und ernst – meine eigentliche Lieblingslandschaft.», schrieb der Krienser Maler Wieland.

«Einsam, furchtbar einsam und ernst – meine eigentliche Lieblingslandschaft.», schrieb der Krienser Maler Wieland.

(Bild: zvg)

Spitzbergen als grosse Hauptinsel hat sich heute als Bezeichnung für die gesamte von Norwegen verwaltete Inselgruppe Svalbard (wörtlich übersetzt: kühle Küste) eingebürgert. 400 Inseln beherbergen auf der Fläche von 61’000 Quadratkilometern (1,5-mal die Fläche der Schweiz) derzeit rund 2’500 Einwohner.

Spitzbergen ist geprägt von Gebirgen, Tieflandebenen, kargen Tälern und einer zerklüfteten Küste mit Fjorden. Die Temperatur beträgt im Tagesschnitt minus 7 Grad, das Gebiet ist zu 60 Prozent vergletschert. Eine scheinbar garstige Gegend.

Lesung der Reiseführerin und Autorin

Autorin Sandra Walser (42) arbeitet als freischaffende Historikerin. Seit zehn Jahren ist sie auch als Referentin für Polargeschichte und Fotografin auf touristisch genutzten Expeditionsschiffen in den nord- und südpolaren Gebieten unterwegs. Das Buch «Auf Nordlandfahrt» (Verlag NZZ Libro) ist ihre zweite Publikation. 2010 hat sie mit «Freeze!» ein mittlerweile vergriffenes Handbuch für Amateur-Fotografen veröffentlicht, die eine Reise in die Polargebiete planen. Lesung: Dienstag, 28. Mai 2019, 19.30 Uhr, Teiggi Kriens, in der Krienser Buchhandlung Buch und Kaffee.

Was war es, das Hans Beat Wieland umtrieb? Fernweh? Abenteuerlust? Pioniergeist? «Wohl von allem ein wenig», mutmasst Sandra Walser, die 2016 auf die Erinnerungsstücke Wielands gestossen ist und sich dann über zwei Jahre lang eingehend mit ihm und seiner Nordlandfahrt befasst hat. Sie fügt an: «Zudem waren so genannte Nordlandfahrten, Schiffsreisen nach Norwegen im ausgehenden 19. Jahrhundert total en vogue.»

Prächtig bebildertes Buch

Walsers sorgfältig recherchiertes und prächtig bebildertes Buch lädt zu einer lustvollen Entdeckungsreise entlang der legendären Hurtigruten-Strecke und weiter Richtung Eismeer ein. Mit ansteckender Begeisterung führt die Autorin in eine faszinierende Zeit, in der der (Arktis-)Tourismus noch jung und wild war. In eine Zeit, in der weisse Flecken auf der Landkarte zu grossen Geschichten Anlass gaben.

Wieland, ein Maler von der Grösse Hodlers, geriet in Vergessenheit.

Wieland, ein Maler von der Grösse Hodlers, geriet in Vergessenheit.

(Bild: zvg)

Und auch zu kleinen: Etwa entdeckt der spätere Wahlkrienser Wieland seine grosse Liebe zu Norwegen. Bei München, wo er zur Zeit seiner Entdeckungsfahrt lebt, baut er sich und seiner Familie ein Holzhaus im norwegischen Stil. Seine Bilder atmen einen Naturalismus, der Dokumentarcharakter hat. Sie sind von akribischer Detailtreue und brauchen den Vergleich zum grossen Ferdinand Hodler nicht zu scheuen.

«Wer den Wal hat, hat die Qual.»

Hans Beat Wieland

Doch Wieland ist kein Romantiker: Etwa stösst er sich an den rauen Sitten der Walfänger auf der nordnorwegischen Insel Skoroya, als er Riesenleiber toter Wale – meist Finnwal mit bis zu 27 Metern Länge und rund 70 Tonnen Gewicht – verrotten sieht. Wieland: «Wer den Wal hat, hat die Qual.» 

Doch schon Tage später ist er wieder hin und weg, Wieland lässt sich von der Landschaft verzaubern, die «so lockend und geheimnisvoll ist, als hätten wir in ein Feenland geschaut». Und dann lernt er Salomon A. Andrée (1854–1897) kennen, den schwedischen Ballonfahrer, der von Spitzbergen aus dem Nordpol erobern will. Der Schweizer schwärmt: «Was für ein Prachtskerl: kühnes Gesicht, Adlernase, blaue, helle Augen, energischer Ausdruck – das ist ein Mann!» 

Ein Bild des Krienser Malers Wieland zeigt sein Schiff nahe des Packeises.

Ein Bild des Krienser Malers Wieland zeigt sein Schiff nahe des Packeises.

(Bild: zvg)

Und Wieland bestaunt dessen Ballon «Örnen» und den neuzeitlichen Wasserstoffgasapparat, den er illustriert. Ob so viel Naturburschigkeit kann Wieland nur konstatieren: «Wie lächerlich wir uns eigentlich in unseren Lackschuhen und weissen Westen ausnahmen, so mitten in dem Allerheiligsten der Natur.»

«Das alles fand zu einer Zeit statt, in der das Wort ‹Tourist› gerade erst Einzug in den Sprachgebrauch fand.»

Sandra Walser, Reiseführerin und Autorin

Die Leidenschaft packt Wieland im hohen Norden, und Autorin Walser schreibt: «Den Künstler zerreisst es fast, so stark ist er emotional involviert. Am liebsten würde er jedes Detail festhalten.» Diesen Zustand kennt auch Walser selber sehr gut. Sie arbeitet mehrere Monate im Jahr als Polarguide und Fotografin. «Die Polargebiete haben eine ganz eigene Magie, die mich in den Bann zieht – heute noch genauso wie bei meiner ersten Arktisreise 2004.»

Walser hat ein Handbuch für Amateur-Fotografen veröffentlicht, die eine Reise in die Polargebiete planen.

Walser hat ein Handbuch für Amateur-Fotografen veröffentlicht, die eine Reise in die Polargebiete planen.

(Bild: zvg)

«Die Fahrt des Schiffes ‹Erling Jarl› fand zu einer Zeit statt, in der das für uns so geläufige Wort ‹Tourist› gerade erst Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch fand», erklärt Walser. Tatsächlich hatten bis dahin Fahrten in den hohen Norden hauptsächlich der Ausbeutung gegolten: Walprodukte sowie Eisbären- und Polarfuchsfelle gingen von Spitzbergen aus um die Welt.

«Touristenland der Zukunft»

«Heute sind viele Gebiete Spitzbergens Naturpark. Flora und Fauna sind geschützt – und der Tourismus streng reglementiert», erklärt Sandra Walser. Spannenderweise bezeichnete Wieland vor über 120 Jahren die Inselgruppe als «Touristenland der Zukunft».

Diese Voraussage ist eingetroffen: 2018 besuchten 63’000 Reisende allein auf dem Seeweg die unwirtliche, aber faszinierende Naturlandschaft um den 78. Nordgrad. «Der Polartourismus boomt und steht daher sicherlich vor der grössten Herausforderung seiner Geschichte. Da ist es besonders anregend, durch die Augen Wielands ganz an den Anfang der Entwicklung zurückblicken zu können», erklärt Walser. 

Wahrlich: In Spitzbergen finden heute noch viele das «Allerheiligste der Natur».

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