Barbara Gysel, Zuger Stadtpräsidenten-Kandidatin

«Die Wirtschaft sollte der Gesellschaft dienen, nicht umgekehrt»

Barbara Gysel will Dolfi Müller beerben.

(Bild: mam)

Als neue Zuger Stadtpräsidentin würde Barbara Gysel dafür sorgen, dass die Stadt nicht zum reinen Reichen-Biotop wird. Nicht die Verbesserung des Wirtschaftsstandorts ist nach ihrer Ansicht das grösste Problem. Sondern, dass die Bewohner von Zug sich das Leben in der Stadt immer weniger leisten können.

zentralplus: Sie wollen im Herbst nicht nur Stadträtin, sondern gleich auch noch Stadtpräsidentin werden. Warum?

Barbara Gysel: Ganz einfach: Die SP hat das Stadtpräsidium in Zug inne. Wir wollen den Sitz verteidigen.

zentralplus: Ist die Stapi-Kandidatur taktischer Natur, um Ihre Wahl in den Stadtrat zu befördern?

Gysel: Alle Stadtratsparteien kandidieren fürs Präsidium. Für die Partei, die mit Dolfi Müller den Stapi stellt, wäre es unglaubwürdig, nicht anzutreten. Das hat die Parteiversammlung aufgrund der Ausgangslage einstimmig beschlossen. Bevor wir nominierten, waren schon vier Personen aus anderen Parteien aufgestellt. Klar, wenn sich nur zwei Leute fürs Amt bewerben würden, dann hätte sich die Lage anders dargestellt.

zentralplus: Welche Rückmeldungen haben Sie auf ihre Stapi-Kandidatur bekommen?

Gysel: Sehr viel positive.

zentralplus: Einzelne Kommentatoren fragten sich, warum die SP nicht die Kandidatur von Vroni Straub (CSP) zur Stadtpräsidentin unterstützt?

Gysel: Wir wollen, dass eine linke Frau Stadtpräsidentin wird. Das ist sonnenklar. Das Geschlecht ist zwar nicht das einzige Kriterium, aber die Frauen sind in der Stadtregierung untervertreten und deshalb setzen wir uns auch dafür ein. Sollte es zu einem zweiten Wahlgang kommen, werden wir die Situation neu beurteilen.

Unerwarteter Geldsegen für die Stadt Zug: Dank einem Millionengeschäft fällt die Jahresbilanz für 2015 äusserst erfreulich aus.

Stadt Zug: Für Barbara Gysel ein globales Dorf.

(Bild: zvg)

zentralplus: Sie sind seit Jahren in der kantonalen Politik tätig, haben sich aber auch schon national engagiert. Was bedeutet Zug als Ort für Sie?

Gysel: Zug ist mein Zuhause, aber es ist auch ein faszinierender Ort – eine Art globales Dorf. Es gibt hier sehr viel Pioniergeist und Fortschritt auf der einen Seite, Stichwort Crypto Valley. Auf der andern Seite kennt man sich persönlich, man verschliesst sich anderen gegenüber nicht. Es gibt kurze Wege und es herrscht eine Machermentalität, mit der man auch soziale Fragen vorantreiben kann. Genau deswegen ist es so spannend, die Zukunft von Zug mitzugestalten.

Das ist Barbara Gysel

Barbara Gysel (41) ist die älteste Tochter eines schweizerischen Bauern und einer liechtensteinischen Lehrerin. Sie ist Kulturmanagerin und Politologin. Beruflich ist sie Mitglied der Geschäftsleitung bei Kinderschutz Schweiz und leitet den Bereich Programme. Gysel ist seit 10 Jahren Präsidentin der SP Kanton Zug, und bereits in dritter Legislatur Stadtzuger Kantonsrätin. Sie ist auch im Vorstand der städtischen SP und seit 2014 Gemeinderätin in Zug. Ihr WWF-Engagement pflegt sie seit Teenager-Jahren als Kopräsidentin; aktuell ist sie Präsidentin vom WWF Zug. Ausserdem engagiert sie sich im Vorstand zahlreicher weiterer Organisationen. Barbara Gysel ist ledig und wohnt in der Stadt Zug.

zentralplus: Wie wollen Sie das tun?

Gysel: Meine Motivation in der Politik ist es, auch den sozial Schwächeren eine Stimme zu geben. Das ist wichtig für den sozialen Kitt in Zug, wo die Lebenskosten sehr hoch sind. Wie heisst es so schön in der Präambel der Bundesverfassung: die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen. Als Stadtpräsidentin möchte ich zur Balance in der Gesellschaft von Zug beitragen.

zentralplus: Wie unterscheiden Sie sich von Dolfi Müller und den andern Stapi-Kandidaten?

Gysel: Vielleicht stehe ich der Crypto-Valley-Blockchain-Bitcoin-Thematik nicht ganz so enthusiastisch gegenüber wie die bisherigen Mitglieder des Stadtrates. Zwar glaube ich an den Fortschritt und lehne die Technologie nicht ab, aber ich habe mir eine gewisse Skepsis bewahrt.

zentralplus: Ihre Konkurrenten um das Amt des Stadtpräsidenten sind alle schon in der Stadtregierung, Sie sind eine Legislativ-Politikerin. Ein Nachteil?

Gysel: Im Gegenteil, es ist auch ein Vorteil. Bisher war ich gesetzgeberisch in der Legislative tätig. Da spürt man parlamentarisch und ausserparlamentarisch, wo der Puls der Bevölkerung schlägt. Ich werde schon jetzt als Sachpolitikerin geschätzt. Daher kann frischer Wind ja nur gut tun. Die übergeordnete Rolle der Stadtpräsidentin könnte ich gerade deshalb gut übernehmen, weil die bisherigen viel stärker in ihren Departementen verankert sind.

«In einer Demokratie ist jede und jeder ersetzbar.»

zentralplus: Die bisherigen Stadträte nimmt man immer über Kollegialentscheide wahr, Unterschiede sind schwer zu bemerken. Manchmal wirken die Stadträte sogar austauschbar. Da haben Sie es doch leichter mit einem klaren Profil?

Gysel: Ich teile Ihre Ansicht nicht. Ich finde, die Stadträte unterscheiden sich stark voneinander. Aber vielleicht kommt es auch darauf an, wie nah man dem politischen Geschehen steht. Von wegen Austauschbarkeit: In einer Demokratie ist jede und jeder ersetzbar – gerade in einer Exekutive. Das muss so sein, damit unser System funktioniert. Aber es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, der mich nachdenklich macht.

zentralplus: Welchen?

Gysel: Immer mehr Leute verlieren das Vertrauen in unsere Einrichtungen. Das hat damit zu tun, dass es zu vielen Skandalen in Wirtschaft und Politik gekommen ist. Auch im Lokalen – denken wir etwa an die Affäre um den FDP-Stadtrat Ivo Romer. Sowas enttäuscht die Leute. Sie interessieren sich weniger für das öffentliche Leben und die Politik.

zentralplus: Die bürgerlichen Stapi-Kandidaten finden alle, dass der Wirtschaftsstandort Zug stärker gefördert werden müsse. Sie finden, man habe dies ein wenig vernachlässigt. Einverstanden?

Gysel: Überhaupt nicht. Wir pushen und fördern den Wirtschaftsstandort schon die ganze Zeit nach Kräften. Die Wirtschaft sollte der Gesellschaft dienen, nicht umgekehrt. Seit etwa zehn Jahren werden wir uns auch im Alltag bewusst, dass das Wachstum und der wirtschaftliche Erfolg seine Schattenseiten haben.

zentralplus: Was meinen Sie damit konkret?

Gysel: 2008 stellte die Credit Suisse in ihrer Analyse des frei verfügbaren Einkommens eine grosse Veränderung fest. Lange lagen wir in Zug beim frei verfügbaren Einkommen auf Platz fünf – und innerhalb von nur zwei Jahren sind wir auf Platz 18 abgerutscht. Das ist kein Hirngespinst, sondern das sind Fakten, die wir im Alltag spüren. Schauen Sie mal, wie preisgünstige Wohnungen in der Stadt Zug definiert werden. Die Zahlen sind sehr hoch, wenn man sie einem schweizerischen Medianlohn gegenüber stellt.

zentralplus: Das klingt jetzt aber sehr technisch.

Gysel: Mag sein. Aber die Schattenseiten des Wachstums bestehen darin, dass die Lebenskosten angestiegen sind und Normalverdiener enorm belasten. Es bleibt vom Lohn wenig übrig, man kann sich das Leben in Zug kaum mehr leisten. Ausserdem hat sich auch die Bevölkerung innerhalb von 35 Jahren fast verdoppelt – das hat natürlich ebenfalls grosse Auswirkungen.

«Ein attraktiver Standort heisst, dass er attraktiv für die Menschen ist, die in Zug beheimatet sind.»

zentralplus: Was soll man also tun?

Gysel: Die grossen Herausforderungen lauten: Wie gehen wir mit den Grünflächen um, die verblieben sind? Wie kann man sicherstellen, dass Familien in Zug wohnen bleiben können, wie kann man etwa die Kinderbetreuung organisieren? Man kann doch nicht einfach immer weiterwachsen, ohne Infrastrukturen anzupassen. Ein attraktiver Standort heisst, dass er attraktiv für die Menschen ist, die in Zug beheimatet sind.

Preisgünstiger Wohnungsbau: Die vom Regierungsrat als  Beispiel herangezogene Überbauung Roost in der Stadt Zug.

Überbauung Roost: In Sachen sozialer Wohnungsbau steht die Stadt Zug noch in den Kinderschuhen.

(Bild: PD)

zentralplus: Und wo kommen zum Beispiel die günstigen Wohnungen her?

Gysel: Dazu bedarf es Taten. Schöne Worte alleine reichen nicht. 1981 hat die SP die städtische Initiative für 400 preisgünstige Wohnungen lanciert – und gewonnen. Seither hat man sich verschiedentlich bemüht. Dennoch: Gemessen an den Ergebnissen haben wir beim preisgünstigen Wohnungsbau noch viel vor uns. Ein Problem in Zug ist, dass wir keine Baulandreserven haben, die man den Wohnbaugenossenschaften zur Verfügung stellen kann. Ein Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand auf Bauland würde helfen. Daran arbeiten wir. Aber so etwas hängt massgeblich von den bürgerlichen Parteien ab, die in den Parlamenten die Mehrheit haben. Die stehen in der Pflicht.

zentralplus: Als Stadtpräsidentin würden Sie aber auch bürgerliche Wähler vertreten.

Gysel: Das würde ich gern. Das Schöne an der politischen Kultur in Zug ist, dass alle noch miteinander reden können. Man kennt sich. In einer Regierung geht es darum, zusammenzusitzen und Lösungen zu finden. Das kann ich gut und tue es auch gerne.

Die Stadt Zug wächst nach innen: Verdichtung ist in den nächsten Jahren angesagt.

Boomtown Zug: Die Grünflächen werden weniger.

(Bild: mbe.)

zentralplus: Lassen wir die Politik mal beiseite: Man sagt, Sie reisen gern.

Gysel: Das stimmt, auch wenn meine Reichweite begrenzt ist. Ich fliege in der Regel nicht, um meinen okölogischen Fussabdruck überschaubar zu halten. So beschränke ich mich eben auf Zugfahrten innerhalb von Europa.

zentralplus: Welches ist Ihre Lieblingsstadt?

Gysel: Ausser Zug, meinen Sie? Ich war privat oft in London – immer mit der Bahn. Und ich hatte beruflich häufig in Berlin zu tun. Deswegen kenne ich diese Städte am besten. Aber eigentlich mag ich es, Neues zu entdecken – wie kürzlich in Strassburg. Ich liebe es, nachts durch unbekannte Quartiere zu spazieren.

«Auch Hitler war Vegi.»

zentralplus: Und Sie kochen?

Gysel: Ich bin keine Meisterköchin, tue es es aber sehr gern. Wobei ich mein Chili con Carne, für das ich bekannt bin, selber nicht esse, weil ich mich vegetarisch ernähre. Dazu sei gesagt: Mir ist es zuwider, wenn sich jemand vegetarisch ernährt und sich deswegen als «Gutmensch» fühlt; auch Hitler war Vegi. Ich respektiere Carnivore, denn wir sollten Ideologien nicht überhöhen. Es gibt leider eine Tendenz der Ideologisierung der Lebensstile.

zentralplus: Sie sind Politoligin, haben aber zuvor eine Ausbildung zur Kultumanagerin gemacht. Was interessiert Sie an Kultur?

Gysel: Mich interessiert das Zusammentreffen von Kulturen und Vielkulturalität, wenn Sie so wollen: einerseits zwischen Ethnien, Religionen und Nationen, anderseits auch verschiedene Lebenskulturen. Ich stamme selbst aus einer Familie mit Bauernhof und habe gleichzeitig den akademischen Weg gewählt. Zur Zeit meiner Ausbildung gabs noch kaum Ausbildungen im vielkulturellen Bereich, also bin ich Kulturmanagerin geworden. Was natürlich auch das betriebswirtschaftliche Management umfasst.

zentralplus: Sie sind im Zuger Kantonsrat, im Grossen Gemeinderat der Stadt Zug. Sie sind erwerbstätig und arbeiten daneben in sehr vielen Organisationen mit. Wann kommen Sie eigentlich zum Schlafen?

Gysel: (Lacht) Naja, manchmal kommt der Schlaf zu kurz. Aber ich komme auch mit wenig aus. Das, was ich tue, macht mir Spass, und es wird mir nicht aufgezwungen. Es stiftet Sinn und ist gesellschaftswirksam.

Das Zuger Seefest 2015 lockt 20’000 Besucher an die Seepromenade.

Zug soll als Standort attraktiv für die Menschen sein, die hier beheimatet sind, sagt Gysel.

(Bild: mbe)

zentralplus: Wenn Sie Stadtpräsidentin werden wollen, müssen Sie erst in den Stadtrat gewählt werden. Und da konkurriert Eliane Birchmeier mit ihnen. Die FDP hat auch eine Frau aufgestellt.

Gysel: Die FDP hat sie als Zweite neben den amtierenden Stadtrat gestellt. Hätte die FDP hingegen die weibliche Kandidatin als Stadtpräsidentin nominiert, hätte ich es als reale Frauenförderung beurteilt. Aber ich glaube, es geht nicht in erster Linie um eine Frauenwahl, es geht um noch mehr bürgerliche Dominanz im Stadtrat. Aber ich bin überzeugt: Auch die FDP-Wählenden unterstützen demokratische Vielfalt. Wir brauchen eine angemesse Vertretung von Leuten, die sich darum sorgen, dass die Stadt und ihre Gesellschaft nicht aus den Fugen gerät – und dass sie lebenswert bleibt.

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