Luzern stimmt über «Steuererhöhungen vors Volk» ab

«Die Regierung hat Angst vor dem Volk»

SVP-Fraktionschef Guido Müller will das Volk automatisch über Steuererhöhungen abstimmen lassen.

(Bild: Montage les)

Die Regierung sei verwaltungshörig, nehme ihre Führungsaufgabe nicht wahr und habe keinen Plan B: SVP-Fraktionschef Guido Müller teilt in unserem Interview ordentlich aus. Für ihn ist klar, dass einzig das Volk entscheiden soll, ob es eine Steuerfusserhöhung will oder nicht.

Am 27. November stimmt das Luzerner Volk über die SVP-Initiative «Steuererhöhungen vors Volk» ab. Die SVP will jede Steuerfusserhöhung einem obligatorischen Referendum unterstellen. Die Regierung, der Kantonsrat und alle Parteien ausser der SVP lehnen das Anliegen ab.

In der Budgetsession im Dezember entscheidet der Kantonsrat jeweils über den Steuerfuss. Worum geht’s da? Die Einkommens-, Vermögens- und Unternehmenssteuern sind in den Steuergesetzen festgelegt. Diese werden mit dem Steuerfuss multipliziert. Aktuell liegt dieser bei 1.6 Einheiten. Die Regierung beantragt nun eine Erhöhung auf 1.7 Einheiten. Dies ist politisch sehr umstritten und die SVP hat bereits ein Referendum angekündigt, sollte die Erhöhung vom Kantonsrat abgesegnet werden.

zentralplus: Guido Müller, die SVP verlangt mit ihrer Initiative, dass das Volk über jede Steuerfusserhöhung abstimmen kann. Warum braucht’s das?

Guido Müller: Die Möglichkeit des fakultativen Referendums ist in der Kantonsverfassung vorgesehen. Wir sind der Meinung, dass in dieser wichtigen Frage des Steuerfusses, von der ein Grossteil der Bevölkerung direkt betroffen ist, das Volk mitbestimmen soll. Es geht um ein demokratisches Recht – wir wollen das fakultative zu einem obligatorischen Referendum umwandeln.

zentralplus: Aber es besteht heute schon die Möglichkeit, ab einem Steuerfuss von 1.6 Einheiten ein Referendum zu ergreifen. Und sind wir ehrlich, tiefere Steuern sind angesichts der finanzpolitischen Situation keine Option.

Müller: Das ist aber nicht die Frage. Jetzt will die Regierung den Steuerfuss zum zweiten Mal um eine Zehntelseinheit – nun von 1.6 auf 1.7 Einheiten – erhöhen. Und mittlerweile sind auch alle Parteien ausser der SVP dafür. Wir wehren uns. Ob wir Recht haben oder die anderen, zeigt sich nur, wenn wir eine Volksabstimmung durchführen.

«Jeder der Angst hat vor dieser Abstimmung, geht davon aus, dass das Volk eine Steuererhöhung ablehnt.»

zentralplus: Für ein fakultatives Referendum braucht es 3000 Unterschriften. Das ist doch ein Klacks. 1969 hat man die Grenze von 4000 auf 3000 gesenkt, zwei Jahre später das Frauenstimmrecht eingeführt – und es durften fortan doppelt so viele Menschen unterschreiben. Zudem wächst die Bevölkerung ständig. Ihre Initiative braucht es doch gar nicht.

Müller: Es geht uns nicht um die Zahl. Darüber kann man immer diskutieren. Jeder, der schon mal Unterschriften gesammelt und sich den Hintern abgefroren hat, weiss, dass es nicht so einfach ist. Es braucht viel Zeit. Bei einem Referendum gegen den Steuerfuss ist der Zeitpunkt zudem sehr ungünstig. Das Referendum kann erst ergriffen werden, wenn die Debatte abgeschlossen ist und das Resultat im Kantonsblatt publiziert wurde. In diesem Jahr wird das wohl der 17. Dezember. Innerhalb von 60 Tagen müssen Referendumsbögen erstellt und Sammelaktionen und die Beglaubigung der Unterschriften durchgeführt sein. Man gerät mitten in die Weihnachts- und Neujahrszeit. Und die Fasnacht fällt manchmal auch noch in diese Zeitspanne. Das erschwert das Sammeln von Unterschriften.

zentralplus: Hat sich denn die heutige Festlegung des Steuerfusses durch den Kantonsrat – auch vom Volk gewählt – nicht bewährt?

Müller: In der Verfassung steht, man kann gegen den Steuerfuss das Referendum ergreifen. Und wir wollen nichts anderes, als dass der Schritt mit dem Unterschriftensammeln wegfällt und man obligatorisch darüber abstimmt. Dann kann das Volk sagen, ob es eine Steuererhöhung will oder nicht. Jeder, der Angst hat vor dieser Abstimmung, geht davon aus, dass das Volk eine Steuererhöhung ablehnt.

«Alle Politiker nehmen für sich in Anspruch zu wissen, was das Volk will.»

zentralplus: Das beantwortet meine Frage nicht. Die SVP liebäugelt stets mit tieferen Steuern. Ist die Initiative nicht einfach ein weiterer SVP-Versuch, dieses Ziel zu erreichen?

Müller: Das ist nicht der Inhalt der Initiative. Alle Politiker nehmen für sich in Anspruch zu wissen, was das Volk will. Fragen wir es – nur so können wir spüren, was die Mehrheit fühlt. Die Bevölkerung wird nach folgendem Prinzip urteilen: Wenn sie denkt, heute schon zu viel für die staatlichen Leistungen zu bezahlen, wird sie die Steuererhöhung ablehnen. Und wenn sie sagt, der Staat bringt mir so viel und ich bin bereit, meinen Beitrag zu leisten, dann stimmt sie zu. Es geht nur um das.

zentralplus: Die Verknüpfung in der aktuellen finanzpolitischen Situation liegt allerdings auf der Hand. Auch wenn Sie nur das fakultative durch ein obligatorisches Referendum ersetzen wollen.

Müller: Sie blenden etwas aus: Auf eidgenössischer Ebene existiert genau der von uns verlangte Mécano: Das Volk muss zu jeder Erhöhung der Mehrwertsteuer befragt werden. Das Volk muss auch zu Änderungen bei der Bundessteuer befragt werden – ohne Diskussion. Gemeinden haben die Gemeindeversammlungen, wo das Volk entscheidet. Einzig beim Kanton entscheidet «nur» der Kantonsrat. Wir dürfen keine Angst vor dem Volk haben. Auch jene, die unsere Initiative ablehnen, sollten sich dies auf die Flagge schreiben.

An der Delegiertenversammlung der SVP Luzern stellt Guido Müller die Argumente für die Initiative vor. In der Mitte sitzt SVP-Präsident und Nationalrat Franz Grüter, links der Sekretär der SVP Luzern Richard Koller.

An der Delegiertenversammlung der SVP Luzern stellt Guido Müller die Argumente für die Initiative vor. In der Mitte sitzt SVP-Präsident und Nationalrat Franz Grüter, links der Sekretär der SVP Luzern Richard Koller.

(Bild: zvg)

zentralplus: Sie scheinen trotzdem mit der aktuellen Situation unzufrieden zu sein.

Müller: Die Problematik unseres Systems ist doch folgende: Nur wer keine Steuern zahlt, dem kann es egal sein, wie hoch die Steuern sind. Und wenn einmal über die Hälfte der Bevölkerung keine Steuern mehr bezahlt, dann wird die andere Hälfte immer mehr dran glauben müssen. Wir wollen, dass die Bürger selber bestimmen können, ob sie bereit sind, dem Kanton in der finanziellen Not zu helfen oder nicht. Wir haben momentan ein sehr akutes Problem – dieses müssen wir überstehen. Wenn die Bevölkerung mitfinanzieren will, soll sie. Wenn die Bürger meinen, das Fass ist voll, werden sie die Erhöhung ablehnen.

zentralplus: Die Gegner Ihrer Initiative argumentieren, es mache keinen Sinn, die Bevölkerung nur über die Einnahmeseite bestimmen zu lassen, nicht aber über die Leistungen.

Müller: Es geht weder um das eine noch um das andere. Man entscheidet nur über die Erhöhung des Steuerfusses. Bei vielen Punkten, auch auf der Einnahmeseite, hat das Volk nichts zu sagen. Etwa bei durch das Konsolidierungspaket «KP17» generierten Mehreinnahmen wegen Steuergesetzrevisionen oder der Erhöhung der Motorfahrzeugsteuer. Gegen jede dieser Erhöhungen müsste einzeln das Referendum ergriffen werden. Diese Steuern werden jeweils mit dem Steuerfuss multipliziert. Und über diesen Umrechnungsfaktor wollen wir das Volk entscheiden lassen.

Hinweis: Wer wissen will, wie das mit dem Steuerfuss genau funktioniert – hier lang: Steuererhöhung: So trifft es Private und Firmen.

zentralplus: Budget und Steuerfuss sind eng miteinander verknüpft. Lehnt das Volk eine Steuererhöhung ab, weiss man gar nicht warum.

Müller: Darum geht es nicht, denn das Volk erteilt der Politik damit einen anderen Auftrag. Nämlich, dass die Regierung und die Verwaltung ein neues Budget präsentieren müssen, in welcher die Position Einnahmen tiefer ist und trotzdem die Vorgaben der Schuldenbremse einhält. Dann muss man auf der Ausgabenseite kompensieren. Diese Aufgabe hat das Parlament heute schon. Um dieses Problem kommen wir auch in Zukunft nicht herum. Wir sind überzeugt, dass wir, wenn wir in der aktuellen Situation einfach die Steuern erhöhen, in der nächsten Debatte die genau selbe Diskussion auf höherem Niveau wieder haben werden. Wir wollen ein Ende der Spardiskussion und ein Massnahmenpaket, das Bestand hat und sichert, dass wir aus dem Dilemma finden.

«Nachher wäre klar: Es gäbe eine Abstimmung und man könnte vorausplanen.»

zentralplus: Müsste man nach der Budgetdebatte im Dezember automatisch eine Volksabstimmung durchführen, würde es doch wegen der Verzögerung jedes Jahr während mehreren Monaten zu einem budgetlosen Zustand kommen. Ist das nicht gefährlich?

Müller: Das stimmt schlichtweg nicht. Jetzt ist die Gefahr viel grösser. Denn jeder könnte bei einer Erhöhung das Referendum ergreifen. Alleine die Ergreifung des Referendums führt zu einem budgetlosen Zustand, unabhängig davon ob das Referendum überhaupt jemals zur Abstimmung kommt. Nachher wäre klar: Es gäbe eine Abstimmung und man könnte vorausplanen. Sprich: den Budgetprozess früher durchführen und Ende November zeitgleich zum nationalen Abstimmungstermin entscheiden. Die Regierung hat Angst vor dem Volk als Stolperstein. Dabei wäre das die Legitimation ihrer Politik. 

«Regierung und Verwaltung haben sich verselbstständigt und nehmen nicht einmal den Parlamentswillen ernst.»

zentralplus: Würde der Budgetprozess vorverlegt, wären wesentliche Zahlen, wie etwa die NFA-Gelder, noch nicht bekannt. So argumentiert die Regierung. Fürchten Sie keine Ungenauigkeiten?

Müller: Jaja, das sagt der Finanzdirektor. Schauen Sie, ich habe Ihnen die Daten mitgebracht, wann welcher Kanton sein Budget bekannt gibt.

Die anderen Kantone wissen genau gleich wenig. Trotzdem präsentieren sie ihr Budget viel früher – Luzern nicht. Wenn Regierungsrat Schwerzmann Recht hätte, müssten seine Budgets viel genauer sein.

zentralplus: Also liegt das Problem bei Marcel Schwerzmann?

Müller: Ich erinnere mich an früher, als ich noch unter dem alten Finanzdirektor Kurt Meyer Präsident der Planungs- und Finanzkommission (PFK) war. Wir hatten immer wieder Dispute. Seine Antwort, was er machen würde, falls das Budget abgelehnt würde, war immer dieselbe: Dann bringen wir halt ein anderes. Jeder, der langfristig plant, hat einen Plan B. Die heutige Regierung nicht. Regierung und Verwaltung haben sich verselbstständigt und nehmen nicht einmal den Parlamentswillen ernst. Beispiel: Der Kantonsrat lehnte die frühere Übernahme der Sozialhilfedossiers für Asylbewerber durch die Gemeinden ab. Stinkfrech hat die Regierung dies im KP17 drin gelassen. So kann es nicht weitergehen, deshalb wollen wir das Volk entscheiden lassen.

zentralplus: Im Dezember findet die Budgetdebatte statt. Dort wird möglicherweise die Erhöhung des Steuerfusses auf 1.7 Einheiten beschlossen. Die SVP hat bereits das Referendum dagegen angekündigt. Sowohl die SVP wie auch die Luzerner Regierung lassen verlauten: Das Volk habe schon oft finanzpolitische und soziale Verantwortung übernommen. Das liegt doch immer im Auge des Betrachters.

Müller: Nur haben wir keine Angst vor dieser Frage. Die Regierung hat Angst, dass das Resultat anders sein könnte, als sie sich das wünscht. Das Volk hat vielleicht nicht immer «Recht», aber Volksentscheide sind zu akzeptieren. Dank unserer direkten Demokratie haben wir etwa die tiefsten Mehrwertsteuern. Stellen Sie sich vor, man würde diese Entscheide den Politikern überlassen. Wir hätten Verhältnisse wie in der EU. Das Schweizer Volk greift regulierend ein. In der EU entscheiden nur die Parlamente. Ich glaube, viele Schweizer Politiker würden sich leider solche Verhältnisse wünschen.

«Ich kann aber nicht auf mir sitzen lassen, dass man uns wiederholt andichtet, wir würden mit Geld um uns werfen.»

zentralplus: Welche Chancen geben Sie der Initiative? Bei der landesweiten SVP-Volksinitiative «Volkswahl des Bundesrates» sollten auch die Volksrechte gestärkt werden. Diese hat aber fürchterlichen Schiffbruch erlitten und wurde nicht einmal von jedem vierten Stimmbürger befürwortet.

Müller: Das war ein anderes Thema. Die direkte Betroffenheit war natürlich viel kleiner. Es kann mir piepegal sein, ob der Bundesrat Huber, Meier oder Müller heisst. Bei den Steuern ist es den Leuten nicht egal, wie hoch die Steuerrechnung ausfällt.

zentralplus: Es fällt auf, wie offensiv die SVP Werbung insbesondere mit Plakaten macht. Wie viel investiert die Partei?

Müller: Das können Sie selber ausrechnen. Ich kann aber nicht auf mir sitzen lassen, dass man uns wiederholt andichtet, wir würden mit Geld um uns werfen. Viel geht bei uns mit Eigenleistungen, unsere Leute stellen Plakate und investieren viel Zeit. Wenn man, wie die FDP, mangels Freiwilligen nur APG-Plakate stellen kann, dann geht’s ins Geld. Dann würde es sechsstellig.

«Man jammert nur die ganze Zeit, was alles nicht geht.»

zentralplus: Trotzdem: Würden Sie Ihre Ressourcen nicht besser für die Abstimmung über die Steuerfusserhöhung im nächsten Jahr schonen?

Müller: Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Initiative gute Chancen haben. Dann erübrigt sich alles weitere, weil in unserem Initiativtext steht, die Änderung tritt unmittelbar nach Annahme in Kraft. Der vom Kantonsrat beschlossene Steuerfuss für 2017 würde meiner Meinung nach also schon dem obligatorischen Referendum unterstehen. Wenn die Regierung vorausdenken würde, hätte sie das berücksichtigt.

zentralplus: Marcel Schwerzmann hat durchblicken lassen, dass die Regierung bezüglich der Steuerfusserhöhung von sich aus ein Referendum beantragen könnte.

Müller: Was soll das? Erst sagt er, unsere Initiative würde einen langen budgetlosen Zustand provozieren und Budget und Steuerfuss kann man nicht voneinander trennen. Jetzt liebäugelt er damit, selber das Referendum zu beantragen. Das ist sehr widersprüchlich.

zentralplus: Korrekterweise muss man anfügen, dass Marcel Schwerzmann von der SVP zur Wahl empfohlen und sicher auch von vielen SVP-Wählern gewählt wurde.

Müller: Das kann sein. Ich weiss nicht, woher seine Stimmen kommen. Bis anhin machte er gute Finanzpolitik. Ich stelle einfach fest, dass die Regierung in der jetzigen Konstellation sehr verwaltungshörig ist. Sie nimmt ihren Job nicht wahr – die Führungsaufgabe. Das ist in der Privatwirtschaft anders. Wenn der Chef kommt und sagt, man muss zehn Prozent sparen, dann sitzt man mit den Leuten zusammen, sammelt Ideen, erhöht vielleicht die Arbeitszeiten oder sagt, ein Mitarbeiter ist ein «fauler Siech», den schicken wir, dafür können wir die anderen behalten. Beim Kanton macht man so etwas nie. Man jammert nur die ganze Zeit, was alles nicht geht.

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