Reportage aus Luzerner Aktzeichnen-Kurs

Die Kunst, den Nackten gerecht zu werden

Die beiden Modelle mussten jeweils minutenlang dieselbe Position halten. (Bild: jav)

Nackte fremde Menschen zu zeichnen, ist nicht einfach. Vor allem, wenn man zuletzt in der Schule gezeichnet hat. Im Crashkurs des Kunstmuseums ging es jedoch erstaunlich einfach von der Hand. Doch der Blick wanderte plötzlich ganz anders über die nackten Menschenkörper.

Ganz konzentriert in das Programm des Luzerner Kunstmuseums, und plötzlich bleibt der Blick an einer Veranstaltung hängen. «Crashkurs Aktzeichnen» steht da. Für Anfänger und Virtuosen. Ein einmaliges Angebot des Museums im Rahmen der Ausstellung «Von Angesicht zu Angesicht». Keine Frage, das muss ausprobiert werden.

Der spontane Ausflug wurde zu einem interessanten Erlebnis, welches jedoch die Aktzeichnen-Szene aus «Titanic» ihrer Erotik komplett beraubte.

Schüchterne Ankunft

Brigit Meier, Kunstvermittlerin am Luzerner Kunstmuseum, hat zwei Aktmodelle organisiert und neun Personen sind zum Kurs erschienen. Nicht nur die Teilnehmer, auch die Leiterin ist gespannt. «Man weiss nie, was kommt. Da wir den Kurs ohne Anmeldung durchführen, macht man sich schon seine Gedanken», so Meier. Aber meist seien diese völlig unbegründet. So auch an diesem Abend.

Meier führt uns als Erstes durch die Ausstellung und in den Raum mit den Akten. Nach einigen Einführungen geht es weiter in den Raum für Kunstvermittlung. Ein Mann und eine Frau stehen, bereits in Decken gehüllt, bereit.

Die Modelle lassen die Decken fallen, stellen sich auf die kleine, improvisierte Bühne. Zwei Heizstrahler an den Seiten geben etwas Wärme ab. Die Modelle sind locker, obwohl gerade die Frau das erste Mal als Aktmodell vor einer Gruppe von Leuten steht. Es gibt keine Lernziele, Meier wird uns nicht korrigieren oder kritisieren. Es soll ein Versuch sein. Spontan und ohne Druck.

«Von Angesicht zu Angesicht»

Die aktuelle Ausstellung der diesjährigen Sammlungspräsentation ist der menschlichen Figur gewidmet. Sie vereint Eingeborene, Madonnen, Akte und Helden in Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen und Filmen. Diese erzählen von Menschen und auch von ihrer Epoche.

Dabei ist – entsprechend den Beständen der Sammlung des Kunstmuseums Luzern – Schweizer Kunst stark präsent.

Die Ausstellung kann noch bis am 22. November 2015 im Kunstmuseum Luzern besucht werden.

Und doch: Alle sind ganz konzentriert. Es ist still, während sich die Teilnehmer Papier, Stifte und dann ihr Plätzchen aussuchen. Die meisten Teilnehmer haben schon öfter Akte gezeichnet. Geübte Blicke um mich herum, Raster werden aufgezeichnet, mit Bleistift und einem zugekniffenen Auge werden die Längen gemessen. Die Stimmung ist zu Beginn sehr ruhig. «Sehr verhalten», findet Meier am Schluss. Doch verständlich, denn man kennt sich nicht. Die Modelle nicht, die Teilnehmer nicht, den Ort nicht.

Das sind ja Menschen!

Wir beginnen mit zehn Minuten pro Durchgang, dann fünf Minuten, dann noch zwei Minuten. Bei zwei Minuten wird’s stressig: Die Striche müssen schnell gezogen, die Proportionen spontaner bestimmt werden. «Das ist wie Freejazz», sagt die Frau vor mir über die Schulter und lacht.

Mit dem Stress wird aber auch die Stimmung lockerer. Die Teilnehmer lachen, sehen sich um, die Modelle suchen neue Posen. Immer ist Brigit Steiner zur Stelle, um die Decke unter die Füsse zu schieben oder unter dem Kopf zu drapieren.

Seltsame Momente. Denn die beiden sind schon lange zu Objekten geworden – zu Linien, Formen. Dann fällt einem plötzlich wieder auf, wie sich der Brustkorb mit dem Atem hebt und senkt, und schon sitzt wieder ein Mensch vor einem. Ein Mensch mit Gefühlen, Gedanken und möglicherweise einem eingeschlafenen Bein.

Intime Momente

Dann wieder eine längere Zeichenphase – die Modelle dürfen liegen. Auf den kuschligen Decken machen sie es sich bequem, die Zeichnenden legen ein neues Blatt auf den Karton. Es wird wieder still im Raum, die Augen der beiden sind geschlossen, sie atmen langsam. Über die konzentrierten Gesichter huscht zwischendurch ein Lächeln, wenn das Bewusstsein für den sehr intimen, ruhigen Anblick auftaucht.

«Es sind alles Versionen von mir»,
sagt das weibliche Aktmodell zu den Zeichnungen.

Als Brigit Meier diese Runde beendet, wirken die Modelle erstmals etwas unbeholfen. Sie strecken sich, wirken verschlafen.

Wo beginnen?

Nach rund einer Stunde ist der Crashkurs um. Wir besprechen uns. Ein erstes Mal, dass wir tatsächlich miteinander reden. Wir sind uns einig: Schwer zu zeichnen sind vor allem die Köpfe, Hände und Füsse. Am einfachsten ist es, mit den Hüften oder dem Rücken zu beginnen.

Der Raum hat sich bereits teilweise geleert. Die Modelle haben sich wieder angezogen und stehen um die Zeichnungen herum. Ganz unterschiedliche Varianten, von naturalistischen bis hin zu abstrakten sind entstanden.

«Es ist spannend, wie sich Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung unterscheiden», sagt das weibliche Modell beim Betrachten der Zeichnungen. «Es sind alles Versionen von mir, die aber auch etwas von den Zeichnenden beinhalten.»

Fazit: Gar nicht so schlecht

Das, was wirklich schwer ist beim Aktzeichnen: Man zeichnet einen Menschen so, wie er ist. Ohne irgendwelche Attribute, ohne Accessoires oder Kleidung. Und man will es gut machen. Man will dem Menschen, der nackt vor einem steht, gerecht werden.

Und wahrscheinlich kann man deshalb plötzlich doch ein bisschen besser zeichnen als gedacht. Besonders die Brüste sind doch äusserst gelungen.

Eine Zeichnung der Autorin. (Bild: jav)

Eine Zeichnung der Autorin. (Bild: jav)

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Weitere Eindrücke aus dem Crashkurs finden Sie in der Slideshow:

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