Zug

«Die Kirche ist ein Gegenmodell zur Individualisierung der Gesellschaft»

Kirchenratspräsidentin Monika Hirt Behler. (Bild: Beat Ghilardi)

Die Reformierte Kirche wirkt seit 150 Jahren im Kanton Zug. Wird es sie auch noch in Zukunft geben und brauchen? Kirchenratspräsidentin Monika Hirt Behler ist überzeugt davon. 

Am Ostermontag 2013 wird es genau 150 Jahre her sein, seit der erste reformierte Gottesdienst im Kanton Zug gefeiert wurde. Seither sind immer mehr Reformierte in die Zentralschweiz gezogen. Heute beheimatet die Reformierte Kirche Kanton Zug rund 17’900 Menschen im ganzen Kantonsgebiet und im benachbarten Meierskappel (Stand Dezember 2012). Im Kanton Zug sind somit 16 Prozent der gesamten Wohnbevölkerung reformiert. Im Vergleich: 55 Prozent der Zuger sind römisch-katholisch.

Anlässlich des runden Geburtstages sind diverse Jubiläumsveranstaltungen geplant. Mitfeiern wird auch Monika Hirt Behler, Kirchenratspräsidentin der Reformierten Kirche Kanton Zug. zentral+ nimmt das 150-Jahr-Jubiläum zum Anlass, um mit der dreifachen Mutter ein Gespräch über Glaube, Religion und Kirche zu führen.

zentral+: Monika Hirt Behler, der Slogan für das Jubiläumsjahr der Reformierten Kirche Kanton Zug heisst «Wir beten – Wir feiern – Wir danken». Wofür beten wir?

Monika Hirt Behler: Mit unserer Kampagne mit dem besagten Slogan wollen wir uns im Jubiläumsjahr bemerkbar machen. Wenn wir uns als reformierte Kirche zum Beten bekennen, dann ist das wahrscheinlich eine überraschend fromme Aussage in unserer säkularisierten Welt. Wofür wir beten, kann ich Ihnen nicht generalisierend beantworten. Beten ist sehr persönlich.

zentral+: Wofür beten Sie?

Hirt Behler: Ich bete unter anderem für die Zukunft der Kirche.

zentral+: Die Zukunft der Kirche haben vor allem Sie als Kirchenratspräsidentin in der Hand.

Hirt Behler: Selbstverständlich setze ich mich als Vertreterin der Kirchenbehörde ein. Ich helfe, die Kirche als Institution zu führen und zu erhalten. Beten ist für mich ein Ausdruck meines Gottvertrauens. Ich vertraue darauf, dass mir jemand oder etwas bei meiner Arbeit zur Seite steht und ich nicht alles auf meine Schulter nehmen muss. Beten hat etwas sehr Entlastendes.

zentral+: Was ist eigentlich «Kirche»?

Hirt Behler: (lacht) Eine Antwort auf diese Frage könnte ganze Bücher füllen. Kirche ist für mich letztlich eine Glaubensgemeinschaft. Die Institution Kirche und das Gebäude dazu sind nur Mittel zum Zweck, es sind Möglichkeiten, die Gemeinschaft zu leben.

zentral+: Hat «Kirche» gemäss Ihrer Definition eine Zukunft?

Hirt Behler: Ich glaube fest daran. Es ist meine Überzeugung, dass der Glaube den Menschen immer beschäftigen wird. Das Bedürfnis nach Spiritualität ist in jedem von uns angelegt. Ich vertrete deshalb die Meinung, dass jeder Mensch glaubt.

zentral+: Wie definieren Sie denn Glaube?

Hirt Behler: Das ist sehr schwierig in Worte zu fassen. Glaube ist für mich die Hoffnung, dass etwas oder jemand da ist. Glaube hat für mich eine unterstützende und beschützende Wirkung.

zentral+: Aber Glaube ist ja sehr individuell.

Hirt Behler: Ja, heutzutage umso mehr. Bedingt durch die Individualisierung und Globalisierung. Gerne wird hier von der so genannten Patch-Work-Religiosität gesprochen. Die Leute tragen sich aus den verschiedensten spirituellen Angeboten einen eigenen Glauben zusammen.

zentral+: Wenn immer mehr Menschen verschieden glauben, braucht es wohl die Institution Kirche bald nicht mehr?

Hirt Behler: Es ist tatsächlich so, dass die Individualisierung des Glaubens das Überleben der Kirche als Institution schwierig macht. Aber Menschen sind soziale Wesen, kaum jemand möchte seinen Glauben im stillen Kämmerchen leben. Ich denke, Menschen suchen Gleichgesinnte, suchen den Austausch und die Auseinandersetzung, gerade weil Glaube schwierig fassbar und nicht eindeutig ist. Ich bin überzeugt, dass gerade deshalb die reformierte Kirche eine Chance hat, auch in den nächsten 150 Jahren zu bestehen, weil sie eine grosse Offenheit gegenüber verschiedenen Glaubenszugängen pflegt.

zentral+: Das heisst?

Hirt Behler: Die reformierte Kirche gibt nicht vor, welcher Glaube richtig oder falsch ist. Vielmehr bietet sie verschiedene Zugänge zum Glauben, der Gottesdienst ist nur einer davon. Die Institution Kirche bietet also die Gemeinschaft, die zum Leben des Glaubens nötig ist, und sie sorgt für geistige Nahrung. Ich verstehe die Institution Kirche als ein ganzheitliches Gegenmodell zur Individualisierung unserer Gesellschaft.

zentral+: Die Zahlen zeigen jedoch, dass die reformierte Kirche immer mehr Anhänger verliert.

Hirt Behler: Die Menschen fällen heute den Entscheid viel bewusster, ob sie zu einer Kirche dazugehören wollen oder nicht. Vor 50 Jahren hat man dieses Zugehörigkeit kaum hinterfragt. Diversifizierung und Globalisierung machen auch vor der Kirche nicht Halt. Und es gibt nicht nur einen Weg, Spiritualität zu leben. So treten Leute aus der reformierten Kirche aus, was aber nicht heisst, dass sie sich vom Glauben abwenden. Sie brauchen uns einfach nicht, um ihren Glauben zu leben.

zentral+: Ich habe aber auch das Gefühl, dass die Kirche als Institution kaum mehr wahrgenommen wird.

Hirt Behler: Ja und Nein. Es ist tatsächlich so, dass mich die Frage sehr beschäftigt, wie die Kirche und ihre Arbeit besser sichtbar gemacht werden können. Doch die Kirche hat ein gespaltenes Verhältnis zu PR und Marketing. Einerseits lebt sie von der Tradition des stillen Wirkens für Gotteslohn. Andererseits bin ich klar der Meinung, dass wir das Licht nicht unter den Scheffel stellen dürfen. Wir müssen etwas tun, damit man uns wahrnimmt. Denn die Kirche hat nicht mehr die gleiche Selbstverständlichkeit wie früher. Die Bindung an die Kirche nimmt ab.

zentral+: Wie meinen Sie das?

Hirt Behler: Früher war die Kirche die einzige Veranstalterin im Dorf. Heute gibt es unzählige Vereine, die für Anlässe und damit für Abwechslung im Alltag sorgen. Auch der gesamte Sozialbereich hat sich verselbstständigt und professionalisiert. Noch vor wenigen Jahrzehnten kümmerten sich Kirchenvertreter um Arme und Kranke. Dabei hatte die Kirche lange das Monopol. Früher hat die Kirche also viel mehr Lebensbereiche der Menschen durchdrungen als heute.

zentral+: Nach dieser Antwort muss ich nochmals auf eine zuvor gestellte Frage zurückkommen: Also wird es die Kirche wohl bald nicht mehr brauchen?

Hirt Behler: Eine befriedigende Antwort darauf kann nur die Zukunft geben. Aber die Frage ist sicherlich berechtigt: Hat die Landeskirche, wie sie heute besteht, noch Bestand? Hingegen Kirche als Idee einer Glaubensgemeinschaft wird es immer geben.

zentral+: Glaube und Kirche verbindet man sehr stark mit Religion. Wie hängen diese Begrifflichkeiten zusammen?

Hirt Behler: Es gibt eine Million Definitionen von Religion. Für mich ist Religion ein kulturell geprägter Begriff. Es ist eine Umschreibung von kulturellen Phänomenen, weshalb und was eine Gemeinschaft glaubt, weshalb sie sich auf eine bestimme Art verhält, wie sie wertet, handelt, denkt und fühlt.

zentral+: Als Kirchenratspräsidentin der Reformierten Kirche vertreten Sie sowohl eine Glaubensgemeinschaft als auch eine Religion. Im Namen der Religion ist viel Leid auf der Welt geschehen – und im Namen der Religion wird nach wie vor viel Leid erzeugt. Macht Sie das nicht traurig?

Hirt Behler: Das zeigt, dass Religion schon immer ein starkes Vehikel war und nach wie vor ist, Leute zu bewegen und zu motivieren – im positiven und negativen Sinn. Was geschehen ist, können wir aber nicht rückgängig machen und ich möchte nicht kleinreden, welches Leid beispielsweise im Namen des Christentums erzeugt wurde. Umso wichtiger ist es, in Zukunft solche Geschehnisse zu verhindern. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass sich die heute bestehenden Kirchen für die Verständigung der Religionen untereinander einsetzen.

zentral+: Wie?

Hirt Behler: Es bringt nichts, ein Memorandum gegen die Christenverfolgung zu schreiben und zu hoffen, dass sich etwas ändert. Es braucht konkrete Hilfeleistungen vor Ort.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marcel Peter
    Marcel Peter, 15.02.2013, 14:05 Uhr

    Ich wünsche Frau Hirt Behler alles gute mit der reformierten Kirche. Die offene und konstruktive Haltung wird das einzige sein was ein Untergang dieser Institution abwenden kann. Ich glaube die Kirche wird sich von einem Angebot für alle zu einem Angebot für alle die es wirklich wollen entwickeln was ich als richtige Entwicklung erachte. Dafür muss aber die Trennung von Kirche und Staat noch weiter vorangetrieben werden. Dies ist kein Statement gegen die Kirche(n), im Gegenteil….

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