50 Fragen an ... Noch-CVP-Ständerat Konrad Graber

«Die grüne Welle tut der Schweiz gut»

Konrad Graber (CVP) freut sich, dass der Kompromiss wieder salonfähig wird. (Bild: jal)

Zwölf Jahre lang vertrat Konrad Graber den Kanton Luzern im Ständerat. Nun tritt der 61-jährige CVP-Doyen ab. Im 50-Fragen-Interview erzählt er, wie er von Bundesbern Abschied nimmt, ob es einen grünen Bundesrat braucht und wieso es die CVP in 20 Jahren nicht mehr geben wird.

Viele haben gestaunt, als Konrad Graber im Sommer 2018 ankündigte, er werde sich nach 40 Jahren aus der Politik zurückziehen. Der Krienser galt als potenzieller Bundesrat, es wäre die Krönung seiner langen Karriere gewesen (zentralplus berichtete). Doch jetzt verabschiedet sich der CVP-Ständerat sich nach zwölf Jahren aus Bundesbern.

Die Stadtluzerner Nationalrätin Andrea Gmür wird seine Nachfolge im «Stöckli» antreten (zentralplus berichtete). Bevor es soweit ist, treffen wir den umtriebigen 61-Jährigen zum Interview. Der Betriebsökonom und Wirtschaftsprüfer empfängt uns bei Emmi im Luzerner Tribschenquartier, wo er als Verwaltungsratspräsident tätig ist, und serviert zum Gespräch einen Cafè Latte Cold Brew.

1. Wie haben Sie den Wahlsonntag verfolgt?

Aus der Distanz. Eigentlich wollte ich einen ruhigen Sonntag verbringen, aber plötzlich hat es mich doch gepackt. Ab 15 Uhr bis zirka 22 Uhr habe ich gleichzeitig am Fernsehen, am Radio und online mitverfolgt, was gesamtschweizerisch geschieht. Denn man kennt ja inzwischen die Leute und will wissen: Wer hat es wieder geschafft, wer nicht, wer kommt neu? Ich konnte also noch nicht ganz abschalten.

2. Was sagen Sie zum Ergebnis des Wahlsonntags?

Dass die CVP Kanton Luzern ihre drei Nationalratssitze halten konnte, hat mich positiv überrascht. Gefreut hat mich auch das klare Resultat von Andrea Gmür. Es brachte den Wählerwillen deutlich zum Ausdruck, was am Ende von allen Seiten akzeptiert wurde. Ich hätte nicht begriffen, wenn es keine stille Wahl gegeben hätte. Insgesamt glaube ich, dass die grüne Welle der Schweiz gut tut. Und auch die vielen jungen Frauen, die gewählt wurden, signalisieren einen Aufbruch.

3. Sie waren nicht mehr als Zugpferd der CVP im Wahlkampf engagiert – trotzdem schnitt die Partei in Luzern gut ab. Fühlen Sie sich vor den Kopf gestossen, dass es Sie offenbar nicht braucht?

In den letzten acht Jahren war der Kompromiss stets verpönt. Wer nicht stramm auf der Linie politisierte, galt als Slalomfahrer und Weichei. In der Elefantenrunde nach dem Wahlsonntag sagten hingegen fast alle: Wir müssen einen Konsens und mehrheitsfähige Lösungen finden. Man anerkennt wieder, dass man sich zusammenraufen muss. Ich denke, mit der STAF-Vorlage habe ich auch einen Teil dazu beigetragen, dass das Wort Kompromiss wieder positiv besetzt ist.

«Eine Abwahl kommt mir vor wie eine fristlose Kündigung.»

4. Ihre letzte Session im Ständerat ist passé. Wie haben Sie von Bundesbern Abschied genommen?

Das Spezielle ist, dass man nach der offiziellen Verabschiedung noch zwei volle Monate im Amt ist und in meinem Fall noch 20 Sitzungstage absolviert. Viele realisieren das gar nicht und denken, ich hätte jetzt ein lockeres Leben. Aber es ist auch schön, wenn der Abschied nicht so abrupt ist und man die Menschen, mit denen man jahrelang eng zusammengearbeitet hat, noch ein paar Mal sieht. Das geniesse ich.

5. Verspürten Sie am Wahlsonntag auch heimlich Schadenfreude, dass Gewisse nicht wiedergewählt wurden?

Nein. Es ist mir bei meinem Abschied bewusst geworden, wie hart es ist, wenn man – zack – nicht mehr gewählt und damit auch nicht verabschiedet wird. Zum Beispiel Werner Hösli von der SVP Glarus, mit dem ich in der Verkehrskommission sitze. Es kommt mir vor wie eine fristlose Kündigung, wo man von einem Moment auf den anderen den Schlüssel abgeben muss.

6. Die letzten vier Jahre bezeichnen manche als verlorene Legislatur. Stimmen Sie zu?

Es sind uns im Bundesparlament grosse Dinge gelungen wie die Energiestrategie oder die STAF-Vorlage. Völlig verloren – aber schon länger – ist das EU-Dossier mit dem Rahmenabkommen. Schon der Vorgänger von Bundesrat Cassis sagte, er stehe kurz vor dem Abschluss. Und jetzt hat es Cassis meiner Meinung nach völlig «verchachlet». Als ich meinen Rücktritt bekannt gab, hielt ich fest, dass es in den nächsten vier Jahren nach meiner Beurteilung keine Lösung geben wird.

«Es ist nicht gut, wenn zwei Parteien eine Mehrheit haben – egal, in welcher Zusammensetzung.»

7. Also hätten auch Sie, wären Sie nochmals angetreten, keine Lösung auf die Beine stellen können?

Abgesehen davon, dass ich das ohnehin nie alleine kann: Beim EU-Dossier sind die Akteure links und rechts sehr stark positioniert. Die EU fängt jetzt dann mit Nadelstichen an, wir werden uns wehren, dann schaukelt sich das während zwei Jahren hoch, um sich anschliessend wieder zwei Jahre runterzuschaukeln. Und dann erst kann man wieder anfangen ernsthaft zu diskutieren.

8. Wie hat sich die Politik in Ihren zwölf Jahren in Bern entwickelt?

Die Polarisierung war in den letzten acht Jahren sehr stark ausgeprägt, zuletzt besonders wegen der SVP-FDP-Mehrheit im Nationalrat. Die Parteien beziehen schnell Position und verlassen diese kaum mehr – dann ist man gefangen. Das hat aber vor allem mit der Konstellation zu tun: Es ist nicht gut, wenn zwei Parteien eine Mehrheit haben – egal, in welcher Zusammensetzung.

«Im Durchschnitt sind die Nationalräte weniger gut vorbereitet und knien sich weniger in die Dossiers.»

9. Der Ständerat wird auch als Chambre de réflexion bezeichnet: Mögen Sie die Bezeichnung?

Reflexion tönt vielleicht etwas überheblich, aber es hat etwas, dass man die Fragen im Ständerat gründlicher angeht. Wenn manchmal Nationalratsmitglieder reklamierten, fragte ich: Hast du diesen oder jenen Bericht gelesen? Dann wurden sie plötzlich kleinlaut. Es gilt nicht für alle, aber im Durchschnitt sind die Nationalräte weniger gut vorbereitet und knien sich weniger in die Dossiers. Das hat auch damit zu tun, dass der Nationalrat stärker parteipolitisch geprägt ist. Im Ständerat entscheiden die Fakten.

10. Gemäss NZZ haben Sie im Sommer in der Wirtschaftskommission extra falsch gestimmt, um Christian Levrat den Besuch der Maturafeier seiner Tochter zu ermöglichen. Das hat viele Reaktionen ausgelöst – waren Sie überrascht?

Ja, ich habe auf keine politische Aktivität so viele Reaktionen erhalten wie auf diese Episode. Und der Journalist dieses Artikels erlebte offensichtlich dasselbe. In einem Beitrag des Westschweizer Fernsehens haben sie sogar die Szenen nachgestellt (lacht).

Der Beitrag des RTS:

11. Sie waren kürzlich mit Anita Fetz, Ulrich Giezendanner und Philipp Müller – die alle ebenfalls zurücktreten – in der SRF-Arena zu Gast. Sie waren mit Abstand der ruhigste dieses Quartetts. Wann werden Sie laut?

Es war klar, dass ich der Ruhigste in der Runde sein werde. Die anderen sind alles «Lautsprecher» (lacht). Wenigstens bin ich auch zu Wort gekommen. Zu Ihrer Frage: Ich kann mich echt ärgern, aber dass ich mal laut werde, kommt praktisch nicht vor.

12. Mit wem möchten Sie gerne mal im Lift steckenbleiben?

(zögert). Mit Michelle Obama, mit ihr würde ich gerne mal ein Gespräch führen.

13. Mit wem auf keinen Fall?

Mit jemandem, der gefährlich ist, etwa einem IS-Anhänger. Aber sonst gibt’s niemanden, dem ich bewusst ausweichen würde.

14. Was war der dreisteste Versuch, Sie als Politiker zu beeinflussen?

Es gibt Versuche, unbestritten. Aber es herrschen oft falsche Erwartungen: Manche denken, man könne einen Politiker anrufen und dann spure dieser. Das ist natürlich nicht so. Als Politiker muss ich mit niemandem reden, ich muss keinen Antrag übernehmen, ich bin frei. Persönlich habe ich mich immer gehütet, zu sagen, wie ich bei einem konkreten Geschäft stimmen werde. Man muss sich diese Freiheit bewahren, um auf die Dynamiken in den Kommissionen und im Rat eingehen zu können. Das hat aber auch viel mit dem eigenen Rückgrat zu tun: Wer sich nach allen Richtungen beugt, kann am Schluss für nichts mehr gerade stehen.

Damian Müller (FDP) und Konrad Graber (CVP) vertraten den Kanton Luzern in den letzten vier Jahren im Ständerat. (Bild: Jakob Ineichen)

15. Ihre Mandate in der Wirtschaft gaben immer wieder zu reden, Sie betonten stets ihre Unabhängigkeit. Hat die Schweizer Politik ein Lobbyismus- oder Transparenz-Problem?

Insgesamt wird die ganze Lobbygeschichte meines Erachtens überzeichnet. Wir müssen in Bundesbern unsere Interessen offenlegen und das ist gut so. Aber klar, es ist ein Dauerthema. Nur wüsste ich nicht, wie man das Ganze gescheiter lösen könnte. Ausser man errichtet ein Berufsparlament – aber das fände ich für die Schweiz nicht zielführend. So bekäme die Verwaltung eine zu sehr starke Position: Dann sagt sie, wie die Welt dreht.

16. Sie sind Verwaltungsratspräsident von Emmi. Welches Emmi-Produkt mögen Sie am liebsten?

Das Cafè Latte ist sehr gut, aber auch den Kaltbach-Käse oder das Gerber-Fondue mag ich gerne.

17. Ihr Hobby ist Orientierungslauf. Was fasziniert Sie daran, durch Gebüsch und Wald Posten zu suchen?

Dass man sich zwangsläufig auf das Hier und jetzt konzentrieren muss: Während eines Orientierungslaufes kann man nichts anderes überlegen, sonst verirrt man sich. Und es gibt viele Parallelen zum Leben: Der direkteste Weg ist nicht immer der schnellste. Man muss Fehler abhaken können, um nicht Gefahr zu laufen, im Eifer gleich den nächsten zu begehen. Umgekehrt gilt auch: Wenn man im Flow ist und alles gut läuft, wird man rasch übermütig. Schön finde ich zudem, dass man in Gegenden kommt, in die man sonst nicht gehen würde. Ich war mal an einem Lauf im Kanton Fribourg, irgendwo in der Pampa. Am nächsten Tag traf ich Christian Levrat in einer Sitzung und fragte ihn, ob er dieses Kaff in seinem Kanton kenne – und er antwortete: Dort lebe ich (lacht).

18. FC Luzern oder SC Kriens?

Früher eher SC Kriens, heute bin ich eher mal an einem FCL-Match anzutreffen. Aber nicht übermässig oft, etwa einmal im Jahr. Mich stört das viele Geld und die regelmässigen Skandale im Fussball. Aber wenn die Luzerner und Krienser erfolgreich sind, freut mich das.

19. Welches ist die schönste Ecke von Kriens?

Der Sonnenberg.

20. Sie gelten als politischer «Stararchitekt», der mehrheitsfähige Vorlagen zimmert und im Hintergrund Allianzen schmiedet. Ist das als Mann einfacher als für eine Frau?

Ich denke nicht, dass es eine geschlechtsspezifische Frage ist. Karin Keller-Sutter oder Christiane Egerszegi zum Beispiel waren auch immer erfolgreich, Allianzen zu suchen. Schwierig wäre es für Magdalena Martullo-Blocher von der SVP oder für jemandem aus dem linken Spektrum der SP – aber es ist für Männer genau gleich wie für Frauen.

21. Welche drei Eigenschaften braucht es, um Allianzen zu schmieden?

Man muss die Dossiers kennen, über die Interessen der anderen Bescheid wissen und dann das Gespräch suchen. Und dann braucht es ziemlich viel Ausdauer. Oft wird von Hinterkammerdeals gesprochen, aber zu 99 Prozent werden die Lösungen über längere Zeit in den Kommissionen entwickelt.

22. Dann ist es ein Klischee, dass die besten Deals beim Apéro entstehen?

(verwirft die Hände). Nein, sicher nicht beim Apéro! Man kann dort vielleicht sagen: «Wir müssten mal zusammensitzen». Die Vorlagen sind aber viel zu komplex, um sie beim Glas Wein zu diskutieren.

23. So taktisch versiert wie Sie sind, Hand aufs Herz: Mit Ihrem überraschenden Rücktrittsankündigung haben Sie gezielt Guido Graf und Reto Wyss als mögliche Nachfolger verhindert. Stimmt’s?

Das ist Ihre Interpretation. Spekulationen kommentiere ich nie. Fakt ist: Die CVP hat uns Bundesparlamentarier 2018 aufgefordert, bis Ende August mitzuteilen, ob wir wieder kandidieren. Und weil wir zufälligerweise kurz davor Delegiertenversammlung hatten, entschied ich mich, meinen Rücktritt dann offiziell zu machen. Ich wollte die Frist einhalten, obwohl sie im Quervergleich zu anderen Kantonen sehr früh angesetzt war. Es gab aber auch keinen Grund, einen voreiligen Entscheid zu fassen und zu kommunizieren.

Es gab etwa zehn Gründe, nicht mehr zu kandidieren. Ein Grund war bestimmt auch parteipolitischer Natur. Ich wollte unserer Partei eine gewisse Dynamik verleihen, zumal sich im Nationalrat und im Regierungsrat bei der CVP zuletzt nichts bewegte. Anlässlich der Delegiertenversammlung habe ich klar gemacht, dass ich Platz mache für eine jüngere Person. Für die Partei wäre es bestimmt nicht von Vorteil gewesen, wenn sich meine Nachfolge altersmässig nicht unterschieden hätte. Dann hätte ich ja auch nochmals antreten können. Dass meine Nachfolgerin nun eine Frau ist sowie jünger als ich und zudem dadurch eine neue Nationalrätin gewählt wurde, freut mich sehr.

24. Wie wichtig ist gutes Französisch und Italienisch in Bundesbern?

Französisch muss man sehr gut verstehen und idealerweise sprechen, um mit den Romands zu diskutieren, die manchmal lieber in ihrer Muttersprache reden. Die Tessiner sprechen hingegen alle sehr gut Deutsch. Italienisch ist deshalb vorwiegend für sie selber wichtig, wenn das Tessiner Fernsehen über ein Thema berichtet (lacht).

«Der Klimastreik ist für die Teilnehmenden der beste staatspolitische Unterricht.»

25. Fasnacht oder Lucerne Festival?

Lucerne Festival, das ist ruhiger. Es gibt schöne Fasnachtsanlässe, aber vor 20 Jahren war es besser. Es ist vielleicht eine Alterserscheinung. Aber die Fasnacht hat sich in eine Richtung bewegt, die ich etwas bedauere: In gewissen Kreisen steht leider das Trinken und Abstürzen im Vordergrund.

26. Klimastreik: Würden Sie, wenn Sie heute jung wären, auch auf die Strasse gehen?

Ja, klar. Als ich bei der JCVP Kriens war, haben wir uns für ein Parkregime oder die Sackgebühr eingesetzt. Umwelt war für mich immer ein wichtiges Thema. Ich finde die heutige Bewegung sehr gut, mir gefällt auch, wie gut sich viele Jugendliche mit dem Thema und den politischen Prozessen auskennen. Der Streik ist für die Teilnehmenden der beste staatspolitische Unterricht.

27. Hätte die Politik nicht schon viel früher mehr machen müssen, um den Klimawandel zu stoppen?

In den letzten 20 Jahren war Klima immer am Rande ein politisches Thema und es brauchte viel, um etwas zu bewegen. Heute diskutieren wir über Billigstflüge und in der Folge über Flugticketabgaben, was ich begrüsse. Es hat die Jugendlichen gebraucht. Die Politik war in diesem Bereich zu wenig engagiert. Ich bin gespannt, ob das nachhaltig ist. Ich glaube, ja.

28. Braucht die Schweiz jetzt einen grünen Bundesrat?

Das würde nicht viel ändern. Der Wahlerfolg der Grünen und Grünliberalen wird automatisch dazu führen, dass der Bundesrat in gewissen Fragen offener ist. Ich wäre sehr überrascht, wenn sich an der Zusammensetzung bereits diesen Dezember etwas ändern würde. Ich war bei der Nicht-Wiederwahl von Christoph Blocher dabei. Eine Nichtwiederwahl bringt immer auch klimatische Verstimmungen. Es bräuchte praktisch eine geschlossene CVP dazu. Wir haben eine Abneigung gegen die Abwahl von Bundesratsmitgliedern und waren mit Ruth Metzler selber betroffen. Die Frage des grünen Bundesrates stellt sich wieder bei einer Vakanz. Dann muss die Partei aber eine starke und glaubwürdige Person aufstellen. Oft haben die Grünen zwar gute Ideen, ihre Vertreter gehen die Arbeit aber nicht mit der nötigen Seriosität und Tiefe an. Es müsste jemand sein, der sehr glaubwürdig und stark wäre, wie zum Beispiel der frühere Berner Regierungsrat Bernhard Pulver.

29. Sie selber galten lange als Favorit für die Nachfolge von Doris Leuthard, sagten dann aber, man müsse sich gut überlegen, ob man im Alter von 60 Jahren noch Bundesrat werden wolle. Haben Sie den Entscheid bislang nie bereut?

Nein, das habe ich nicht.

30. Wir haben eine Schlagzeile der Zukunft kreiert (Bild): Wie realistisch ist die?

(lacht). Ich schliesse meine politische Laufbahn – wenn auch bestimmt mit etwas Wehmut – jetzt ab. Diese Schlagzeile gibt es also erst im nächsten Leben. Ich werde auch nicht Leserbriefschreiber werden und es wird in keinem Patronatskomitee heissen: alt Ständerat Graber.

31. Was hat Sie in Ihrem Leben am stärksten geprägt?

Ich hatte eine schöne, vielseitige Jugend, ein spannendes Berufsleben und das Privileg, dass meine Frau und ich gemeinsame Hobbies – Skitouren und OL – pflegen. Ich bin zufrieden mit meinem Leben und schätze dieses Glück. Das hat mich am meisten geprägt.

32. Was wollten Sie als Kind werden?

Mal wollte ich Schreiner werden, weil ich gerne Seifenkisten baute, mal Käser, weil mein Vater bei der Landwirtschaftlichen Kreditkasse arbeitete und wir oft Käsereien besuchten, mal Elektriker. Aber ich wollte nie Pilot, Lokomotivführer, Polizist oder etwas Exotisches werden.

33. Ihr Lieblingsbuch?

Im Augenblick ist es wirklich schwierig. In den letzten zwölf Jahren habe ich praktisch nur Bundesvorlagen, Fachliteratur und Tageszeitungen gelesen. Jetzt möchte ich ab Neujahr wieder beginnen, mehr zum Vergnügen zu lesen. Geschichtsbücher und auch mal einen Krimi.

34. Bier oder Wein?

Wenn ich Durst habe, dann Bier. Zu einem guten Essen ein feines Glas Rotwein.

35. Die Aargauer FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger sagte kürzlich gegenüber NZZ, sie habe stets darauf geachtet, nie mit vollem Weinglas fotografiert zu werden. Hatten Sie auch so Tricks?

Ich hatte nie das Gefühl, ich dürfe kein Glas anrühren, weil ein Fotograf in der Nähe ist. Aber ich habe schon darauf geachtet, dass ich nicht als Cüpli-Politiker rüberkomme.

36. SRF-Arena oder Kommissionssitzung?

Ich war sicher öfters und wohl auch lieber in Kommissionssitzungen. Es gab aber auch Themen, bei denen ich gerne in der Arena aufgetreten wäre, zum Beispiel bei der Altersvorsorge 2020.

37. Instagram oder Twitter?

Twitter. Ich besitze einen eigenen Account, was nicht alle Ständeräte haben. Instagram würde ich womöglich nutzen, wenn ich noch etwas jünger wäre. Mit dem Fokus auf die Fotos geht es für mich aber zu stark ins Plakative rein, für die Politik scheint mir das weniger geeignet.

Auf Twitter schreibt Konrad Graber auch mal Persönliches:

38. Ihr Lieblingswitz?

(überlegt, kann aber spontan keinen Witz erzählen. Zwei Tage später, bei einer Begegnung an der Wahlfeier von Andrea Gmür, reicht er einen nach).

Eine Katze jagt eine Maus über eine Wiese. Die beiden rennen auf eine Kuh zu, die in diesem Moment einen Kuhfladen fallen lässt. Die Maus wird eingedeckt, sodass nur noch der Schwanz rausguckt. Die Katze packt sie am Schwanz, zieht sie raus und frisst sie. Die Moral der Geschichte? Nicht jede oder jeder, der dich «anscheisst», meint es schlecht. Wer einem aus dem Dreck zieht, meint es aber auch nicht immer gut.

39. Darf man über die CVP Witze machen?

Ja, das ist erlaubt. Man riskiert einfach eine Retourkutsche (lacht).

40. Wann haben Sie zuletzt gebeichtet?

Das liegt Jahre zurück, mal an einer Bussfeier. Ich begehe möglichst keine Sünden und schaue, dass ich mit mir selber im Reinen bin.

«In 10 bis 20 Jahren wird es eine starke Mittepartei geben. Ich glaube nicht, dass die noch CVP heissen wird.»

41. Wie lange wird Ihre Partei das C noch im Namen tragen?

In 10 bis 20 Jahren wird es eine starke Mittepartei geben. Ich glaube nicht, dass die noch CVP heissen wird. Wie aus Ciba-Geigy und Sandoz Novartis entstand, wird es auch in der Politik einen Zusammenschluss mit neuem Namen geben.

42. Was bedeutet Ihnen Macht?

Vor allem in den letzten vier Jahren im Ständerat hatte ich bestimmt eine gewisse Macht oder Durchschlagskraft. Wer sie hat, sollte sich dessen bewusst sein und damit zurückhaltend umgehen. Man muss sich stets fragen: Ist diese Lösung wirklich gut? Und diese Macht ist natürlich weit weg von der Durchsetzungskraft eines Trump, Putin oder Erdogan, bei denen einfach die Macht des Stärkeren gilt.

43. Wann haben Sie das letzte Mal geweint? 

An der EM in Lugano, wo die Schweizerinnen beim Orientierungslauf in dieser besonderen Atmosphäre ein hervorragendes Rennen liefen und selber enorm Freude hatten. Es sind oft freudige Anlässe, an denen ich eine Träne vergiesse: Auch ein emotionaler Auftritt oder eine bewegende politische Rede können mich berühren.

44. Neubau oder Erweiterung des Luzerner Theaters?

Ich wäre für einen Neubau, aber ich denke, mit den Denkmalschutzfragen wird es auf eine Erweiterung oder ein Integrationsprojekt hinauslaufen. Persönlich gehe ich etwa einmal pro Jahr ins Luzerner Theater. Für mich ist die Beinfreiheit das Problem – das spricht übrigens auch für einen neuen Saal.

45. Sie bildeten vier Jahre lang mit Damian Müller das Luzerner Duo im Ständerat. Verraten Sie uns: Hat er tatsächlich keine Ecken und Kanten oder ist er einfach so professionell, sie nicht zu zeigen?

Es ist nicht an mir, einen Ständeratskollegen zu beurteilen. Wir haben gut zusammengearbeitet, beispielsweise beim Durchgangsbahnhof. Damian Müller ist sicher aus einer anderen Generation. Und man spürt, dass er grosses Verkaufstalent hat, was in der Politik wichtig ist. Er unterordnet der Politik privat und beruflich viel. Wer früh in den Ständerat kommt, muss sich immer überlegen, wie sein Leben nach der Politik aussieht. Das ist herausfordernd.

«Alle reden über die Spange Nord, die jetzt fallen gelassen wird. Aber das Hauptprojekt ist der Bypass.»

46. Einer ihrer letzten Kämpfe sorgt für viel Gegenwehr: Sie wollen, dass Menschen mit hohem Einkommen vorübergehend länger und sonntags arbeiten dürfen. Wieso zum Abschluss so ein Thema, mit dem man sich kaum beliebt macht?

Das Arbeitsgesetz ist nicht mehr zeitgemäss. Ein Beispiel: Wenn ein Mann um 17 Uhr sein Kind aus der Kita holt, mit der Familie den Abend verbringt und um 22 Uhr noch eine Stunde Mails beantwortet, darf er erst wieder um 9 Uhr morgens im Büro sein. Die meisten wissen gar nicht, dass sie gegen das Arbeitsgesetz verstossen. Natürlich braucht es einen gewissen Schutz, aber man kann diese Entwicklung nicht aufhalten. Es war mir jedoch von Anfang – vor drei Jahren – an klar, dass es ein schwieriges Dossier ist.

47. Wie schalten Sie persönlich nach einem stressigen Tag ab?

Ich mache einen OL (lacht). Nein, die zwölf Jahre waren wirklich sehr streng. Man opfert sehr viele Abende und Arbeitsstunden für die Politik und hat oft das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen. Mir hilft die Vielfalt: Wenn ich genug habe von der Politik, freue ich mich umso mehr auf die berufliche Tätigkeit.

48. Welche Musik hören Sie gerne?

Auch da bin ich sehr vielfältig. Jodel höre ich gerne, wenn der Rahmen stimmt, beispielsweise vor einer Bergkulisse. Meine Frau und ich haben einen wöchigen Jodelkurs bei Nadja Räss besucht. Ich mag aber auch klassische Konzerte oder auch Schlager und Hits aus meiner Jugendzeit.

49. Sie haben bislang als Luzerner Ständerat die Interessen des Kantons in Bern vertreten, bald werden Sie «einfacher Krienser»: Werden Sie nun den Bypass anders anschauen?

Nein. Das aktuelle Projekt wird so nicht gelingen, das habe ich bereits in Bundesbern klar gemacht. Sie können ein solches Projekt nie gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung durchsetzen. Alle reden über die Spange Nord, die jetzt fallen gelassen wird. Aber das Hauptprojekt ist der Bypass. Gegen dieses sperrt sich Kriens über alle Parteien hinweg. Dank einem von mir angestossenen Kommissionspostulat ist es nun möglich, dass für einen höheren Lärmschutz und für die Siedlungsverträglichkeit im Raum des Südportals Lösungen erarbeitet werden können. Nun ist es vor allem Regierungsrat Fabian Peter in Zusammenarbeit mit dem ASTRA, der Standortgemeinde Stadt Kriens und dem Komitee «Bypass so nicht» eine breitere Akzeptanz zu finden. Ich persönlich werde mich in diesem Kampf nicht mehr engagieren. Der Teppich für Lösungen ist aber ausgerollt.

50. Was werden Sie 2020 machen, wofür bislang immer die Zeit fehlte?

Mich in der näheren Umgebung blicken lassen und Freunde wieder öfters treffen. Eine Familie in der Nachbarschaft war rund ein halbes Jahr im Ausland. Als ich kürzlich meine Frau fragte, ob die zurück seien, sagte sie: seit Januar! Das widerspiegelt die gelebte Realität als engagierter Ständerat. Es ist wie auf einem Fliessband. Ich wurde von Kommissionsitzung zu Kommissionssitzung, von Geschäft zu Geschäft geführt und habe stets Einfluss genommen. In der der Zukunft etwas weniger fremdbestimmt zu sein, darauf freue ich mich sehr.

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