Giuseppe Reo führt einen Kampf gegen Windmühlen

Die gefährliche Arbeit der Luzerner Gewerkschaften

Giuseppe Reo, Sekretär der Unia Zentralschweiz. (Bild: giw)

Dumpinglöhne, Schwarzarbeit und undurchsichtige Firmenstrukturen: Der Zentralschweizer Unia-Gewerkschaftssekretär Giuseppe Reo kämpft bereits seit Jahrzehnten gegen die Missstände auf den Luzerner Baustellen. Seine Arbeit ist weder einfach noch ungefährlich.

«Ich habe meiner Frau auch schon gesagt, wenn sie ein gewisses Auto vor dem Haus sieht, dann soll sie die Polizei rufen.» Giuseppe Reo, Regionalsekretär der Unia Zentralschweiz, kämpft seit Dekaden gegen die illegalen Methoden im Baugewerbe – und das ist weder ein einfacher noch ein risikofreier Job.

Jüngstes Beispiel für mutmassliche Verstösse gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen ist eine Firma aus Rain. Zur derzeit laufenden Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft gegen den Traditionsbetrieb darf Reo nichts sagen (zentralplus berichtete).

Arbeiter melden sich kaum

Er ist als Arbeitnehmer-Vertreter Präsident der Zentralschweizer Paritätischen Berufskommission Bauhauptgwerbe (PBK). Reo unterliegt damit wie alle Mitglieder der Kommission einer Geheimhaltungspflicht. Die PBK setzt sich neben den Gewerkschaften aus Unternehmern und Behörden zusammen und ist zuständig für die Kontrolle der Arbeitsbedingungen.

Für Aufregung sorgte vor rund eineinhalb Jahren auch der Fall von elf polnischen Gipsern, welche wegen unhaltbaren Zuständen die Arbeit auf einer Baustelle in Sursee niederlegten (zentralplus berichtete). «Das Verfahren läuft immer noch», sagt Reo.

Dass sich die Arbeiter wegen Dumpinglöhnen bei der Unia Zentralschweiz melden, sei die Ausnahme. «Ich kann verstehen, weshalb sich die Arbeitnehmer nicht selbst beschweren – die für Schweizer Verhältnisse sehr tiefen Löhne sind für viele Ausländer immer noch gut.»

Geheimhaltungspflicht für Kommission

Das heisst: Gewerkschaften und Behörden müssen aufwendige Recherchen durchführen, um fehlbare Arbeitgeber dingfest zu machen. Die betroffenen ausländischen Arbeitnehmer haben oft gar keinen Leidensdruck. Dies geht jedoch zum Schaden ihrer Kollegen bei sauber operierenden Firmen (zentralplus berichtete). Reo bestätigt die massiven Probleme auf den Luzerner Baustellen und die häufigen Verstösse gegen die Arbeitsgesetze.

Wolle ein Arbeiter trotzdem illegale Arbeitsbedingungen anprangern, würden die Betroffenen zuweilen unter Druck gesetzt: «Einmal hatten wir einen Informanten, der bereits für das Gespräch zugesagt hat. Und im letzten Moment sagte er ab.» Reo vermutet, dass die Person kurz vor dem Gesprächstermin bedroht wurde.

Ein komplexes System

Vor allem der Kampf gegen Schwarzarbeit ist sehr schwierig. Insbesondere im Bereich der Akkordanten wie Eisenleger, Maurer oder Gipser. Der Gewerkschafter beschreibt ein versponnenes Netz, das im Extremfall über vier oder fünf Ebenen führt, bis letztlich jemand auf einer Baustelle an die Arbeit geht.

Das geht in etwa so: Der Generalunternehmer erhält einen Auftrag für ein Bauwerk. Für die Ausführung beauftragt er einen Bauherren, der ein Gesamtbudget für die Umsetzung erhält. Der Bauherr habe nun die Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte durch eigene Mitarbeiter erledigen zu lassen – oder Leistungen an Subunternehmen weiterzugeben. «In der Regel sind die Budgets für den ersten Subunternehmer fair bemessen.»

Im Kanton Luzern wurde so viel gebaut wie nie. Unser Bild: die Himmelrich-Baustelle in der Stadt Luzern Ende 2016.

Im Kanton Luzern wurde so viel gebaut wie nie. Unser Bild: die Himmelrich-Baustelle in der Stadt Luzern Ende 2016.

Doch dann beginne der Preisdruck. Anschliessend würde dieser Auftrag – beispielsweise das Verlegen von Eisen auf einer Baustelle – oft an ein weiteres Subunternehmen gereicht. Der Mittelsmann streiche vorher vielleicht 10 oder 15 Prozent des Budgets ein – seine Arbeit ist damit getan. Der Sub-Sub-Unternehmer operiere oft ebenfalls noch von der Schweiz aus – und lasse nun einen Partner im Ausland die Arbeiter rekrutieren und stelle das rekrutierte Personal für die Baustelle.

«Wenn wir kommen, dann rennen zuweilen Leute weg.»

Giuseppe Reo, Sekretär der Unia Zentralschweiz

Aus dem übriggebliebenen Budget streiche der zweite Zwischenmann zuvor weitere 20 Prozent ein. Am Ende ist laut Gewerkschafter Reo die Offerte für die Arbeiten derart niedrig, dass sich damit unmöglich alle Lohn- und Sozialversicherungsleistungen decken lassen.

Schwierige Kontrollen

Doch damit nicht genug. Laut Reo lassen die Subunternehmer ihre Mitarbeiter in Kantonen operieren, in denen sie nicht selbst domiziliert sind. Zuweilen würden auch Bauarbeiter auf anderen Baustellen gemeldet, als sie tatsächlich arbeiteten. «Wenn wir auf einer Luzerner Baustelle eine Kontrolle durchführen, müssen wir Fragen zum Arbeitgeber und Arbeitsverträgen oft über Behörden anderer Kantone abklären lassen.» Ein langwieriger Prozess, um Schwarzarbeit oder Meldeverstösse im Rahmen der Personenfreizügigkeit nachweisen zu können.

Die Kontrollen auf den Baustellen selbst sind oft wenig fruchtbar: «Wenn wir kommen, dann rennen zuweilen Leute weg.» Fehlende Papiere oder Unklarheiten über den Status eines Arbeiters kommen immer wieder vor. Zuweilen wüssten nicht einmal die Poliere auf der Baustelle, von wem ihre Mitarbeiter angestellt seien. «Um die Kontrollen auf grossen Baustellen effektiv durchführen zu können, bräuchte man ein gesamtes Polizeikorps, das die Umgebung absichert.»

Methoden werden immer undurchsichtiger

Reo hat starke Indizien für zahlreiche Verstösse auf verschiedenen grossen Baustellen im Raum Luzern – doch die Hürden seien enorm hoch, bis die Strafbehörden aktiv werden. «Ein Verdacht reicht nicht. Wir müssen Verletzungen des Arbeitsgesetzes hieb- und stichfest beweisen können.» Das sei sehr schwierig, insbesondere, weil auf den Papieren oft alles sauber aussehe.

Es gibt in der Praxis zuweilen ausgefeilte Tricks: So überweisen Subunternehmen ihren Angestellten zwar den vorgeschriebenen Lohn auf ihr Bankkonto – doch die Mitarbeiter müssen dann die Differenz zum Tieflohn der Firma bar zurückbezahlen. Dem auf die Schliche zu kommen kann Monate oder gar Jahre dauern. Zuweilen sagten Kollegen ihm, er wäre ein guter Detektiv geworden, meint Reo scherzhaft.

«Wenn es nur schon Unklarheiten gibt auf einer Baustelle, müsste diese geschlossen werden können.»

Giuseppe Reo, Sekretär der Unia Zentralschweiz

Doch lustig ist das nicht wirklich. Die Situation habe sich verschärft in den vergangenen Jahren, die Strukturen würden immer undurchsichtiger und die Subunternehmer immer zahlreicher. «Der Wille der beteiligten Subunternehmer, die Gesetze zu umgehen und sich im grauen, tiefgrauen oder gar illegalen Bereich zu bewegen, nimmt zu», sagt Reo. Und es wird auch persönlich: Die Personalschieber sind wenig zimperlich und bedrohen Reo und seine Mitstreiter zuweilen für ihre Arbeit. 

Gewerkschafter fordert strengere Gesetze

Der Unia-Gewerkschafter lässt sich dadurch nicht beirren. Er fordert klar griffigere Instrumente im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping auf Luzerns Baustellen: «Wenn es nur schon Unklarheiten gibt auf einer Baustelle, müsste diese geschlossen werden können.» Und dürfte erst wieder durch den Kanton freigegeben werden, wenn feststehe, dass auf der Baustelle alles korrekt verlaufe. Diese Praxis werde in Deutschland angewandt, findet in der Schweiz politisch aber kein Gehör. Im Kanton Zürich ist ein entsprechendes Gesetz gegen Lohndumping im März 2016 vor dem Volk klar gescheitert.

«Die Verlierer sind am Ende die Bauarbeiter.»

Giuseppe Reo, Sekretär der Unia Zentralschweiz

Reo fordert ausserdem, dass der Vergabe von Aufträgen an eine unbegrenzte Anzahl Subunternehmer ein Riegel geschoben wird. «Diese Praxis ist sicher eines der Kernprobleme.» Der Gewerkschafter übt auch Kritik an den Baumeistern – sie hätten eine Verantwortung, die Einhaltung der Gesetze auf ihren Baustellen sicherzustellen. «Die Generalunternehmer und Baumeister müssen besser zur Verantwortung gezogen werden können.» Zuweilen würden Bauunternehmer auch wieder mit Subfirmen zusammenarbeiten, von denen Verstösse gegen die bestehenden Arbeitsgesetze und den Gesamtarbeitsvertrag bekannt sind.

Klamme Kassen im Sicherheitsapparat

Eine weitere Schwierigkeit: Die verhängten Strafen gegen verurteilte Unternehmer betreffen nur einen Bruchteil des entstandenen Schadens. Dazu gehören beispielsweise die Kosten für die Baustellenkontrolle oder der entgangene Lohn sowie eine Busse wegen des Schwarzarbeitsverbots.

Demgegenüber können zivilrechtliche Forderungen stehen, die zuweilen dreimal höher liegen. Doch die entsandten Bauarbeiter, die oft aus Osteuropa kommen, würden keine Anzeige erstatten. Wo kein Kläger, da kein Richter. «Die Verlierer sind am Ende die Bauarbeiter. Sie stehen ganz unten in der Hackordnung.»

Ein weiterer Faktor verschärfe die Situation in Luzern: das klamme Budget des Kantons und die Sparmassnahmen im Sicherheitsbereich (zentralplus berichtete). Damit fehle laut Reo bei der Polizei das Personal für Arbeitsmarktkontrollen – und Gerichte könnten weniger effizient arbeiten.

Doch Reo gibt nicht einfach den Luzerner Behörden die Schuld. Das Problem seien die flankierenden Massnahmen im Rahmen der Personenfreizügigkeit. «Die sind zu schwach. Die Luzerner Behörden können nur mit den Instrumenten arbeiten, die sie zur Verfügung haben.» Reo fordert deshalb, dass zumindest die Sanktionsmöglichkeiten stärker ausgereizt werden: «Die illegal operierenden Unternehmen müssen so hoch wie möglich gebüsst werden – ansonsten haben die Strafen keine Wirkung.»

Im nächsten Beitrag berichtet zentralplus, wie der Geschäftsführer des Zentralschweizer Baumeisterverbandes dem Chaos auf den Bau den Riegel schieben will.

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