Luzerner Traditionsbeiz schliesst – Gäste ratlos

Die «Freie Schweiz» ist am 1. August Geschichte

So sah das Restaurant zur Freien Schweiz vor seiner Schliessung von aussen aus.

(Bild: lru)

Ende Juli ist Schluss – mit dem «Restaurant zur freien Schweiz» geht in Luzern ein weiteres Stück Beizengeschichte zu Ende. Zum Abschied gibt es Tränen und einsame Seelen.

Die «Freie Schweiz» macht zu – so steht es auf einem gelben Zettel, der seit kurzem am Eingang der Luzerner Traditionsbeiz an der Neustadtstrasse hängt. Die Stammgäste hätten sich schon seit Anfang Jahr darauf vorbereitet, sagt Pächter René Luternauer (58): «Es haben auch Leute geweint, als sie erfahren haben, dass wir schliessen.»

Wohin gehen die Stammgäste?

Viele Stammgäste seien ratlos und wüssten nicht, wo sie nun ihr Bier trinken sollten. «Das wird einige einsame Seelen geben.» Auch Luternauer selber will sich keine neue Stammbeiz suchen: «Ich bin mehr privat unterwegs.» Denn Beizen, wie die «Freie Schweiz» eine war, gibt es in der Stadt Luzern nicht mehr viele.

Es ist kurz nach dem Mittag. In der Ecke sitzen drei ältere Männer, trinken je ein grosses Bier für 5.60 Franken und lamentieren. Von Munis und Idioten ist die Rede. Im «Säli» hinten hilft ein Gast der Serviceangestellten mit einem Computerproblem. Die anderen Tische sind nur mit gelben Tischtüchern bedeckt, es riecht nach Bratfett.

Wer die «Freie Schweiz» betritt, wähnt sich in der Vergangenheit.

Wer die «Freie Schweiz» betritt, wähnt sich in der Vergangenheit.

(Bild: lru)

Dass es Beizen wie die «Freie Schweiz» nicht mehr gibt, liegt vor allem daran, dass sich auch ihre Kundschaft immer rarer macht. René Luternauer: «Viele ehemalige Stammgäste sind gestorben oder im Pflegeheim.»

Zuletzt von der Dritten Säule quersubventioniert

Jüngere Kunden hätten hingegen andere Vorstellungen. «Es ist eine Zeiterscheinung. Beizen mit gutbürgerlicher Küche liegen nicht mehr im Trend. Mit unserem Angebot konnten wir schon länger nicht mehr punkten.»

«Weitermachen wäre finanzieller Selbstmord gewesen.»

Mit Wehmut, aber auch mit Erleichterung werde er die Beiz schliessen, sagt Pächter René Luternauer. «Alles andere wäre finanzieller Selbstmord gewesen.» Jeden Monat habe er einige tausend Franken aus seiner Dritten Säule drauflegen müssen. «Ich will nicht mit einem Konkurs im Kantonsblatt erscheinen, es nicht ‹lo tschädere, bis es tätscht›.» Daher macht Luternauer nun einen geordneten Abgang.

Viele kennen bloss die altertümliche Beschriftung an der Neustadtstrasse.

Viele kennen bloss die altertümliche Beschriftung an der Neustadtstrasse.

(Bild: lru)

Schon vor einem Jahr habe er mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören. Wegen den langjährigen Angestellten und den Stammgästen habe er aber weitergemacht. «So eine Beiz sollte in der Stadt Luzern auch noch Platz haben, fanden wir.» Offenbar hat sie es nicht.

«Die Leute zahlen lieber neun Stutz für ein Bier im KKL.»

«Die Leute wollen das Hippe und Heitere, LED-Beleuchtung.» Die «Freie Schweiz» hingegen sei den Leuten zu alt gewesen. «Wenn ihnen das Ambiente nicht passt, kommen die Leute nicht. Sie zahlen dann lieber neun Stutz für ein Bier im KKL.»

Ein halbes Leben nimmt ein Ende

René Luternauer wirkt darob ratlos. Auch fotografieren lassen will er sich nicht. Er hat sein halbes Leben in der «Freien Schweiz» verbracht. Als seine Eltern die Beiz übernahmen, war Luternauer 26. Nach einer Lehre als Reproduktionsfotograf heuerte er bald im elterlichen Betrieb an: «Ich habe hier alles durchlaufen, war Kellerbursche, Buffetmädchen und Koch.»

In der «Freien Schweiz» – und wo hängt General Guisan?

In der «Freien Schweiz» – und wo hängt General Guisan?

(Bild: lru)

Seit 1984 führten Luternauers Eltern das Restaurant «Zur freien Schweiz». Besonders Mutter Anna, genannt Änneli, war eine beliebte Gastgeberin. Bis zu ihrem Tod wirtete Änneli persönlich in der Beiz – 2012 starb sie 86-jährig.

«Eine Beiz wie diese braucht eine Identifikationsfigur. Die war meine Mutter.»

Nach ihrem Tod übernahm Sohn René die Beiz. Das würde er heute wohl nicht mehr tun. «Damals mussten wir innert zweier Wochen entscheiden, ob wir die Beiz weiterführen wollen.» Von den vielen Stammgästen hätten er und seine rechte Hand Lilo Wirth sich dazu überreden lassen. Doch es kamen immer weniger Leute. «Eine Beiz wie diese braucht eine Identifikationsfigur. Die war meine Mutter.»

«Konflikte gehen an die Nerven»

Eine eigene Beiz wird Luternauer keine mehr eröffnen: «Nie mehr Rauschhändler. Nie mehr. Wo Alkohol konsumiert wird, sind Konflikte. Diese immer zu schlichten, geht an die Nerven.» Neben einem Bild des Wirtshauses wird Luternauer nur noch einen Gegenstand aus seiner Beiz mit nach Hause nehmen: einen geschnitzten Gnom, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. «So wie ihm ist es mir hier oft gegangen.»

Mit dem Gnom, der die Hände über den Kopf schlägt, konnte sich Pächter René Luternauer oft identifizieren.

Mit dem Gnom, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, konnte sich Pächter René Luternauer oft identifizieren.

(Bild: lru)

Am besten habe es ihm hier gefallen, «als es gesellig war, als die Leute noch miteinander ausgekommen sind. Heute ist eine andere Stimmung da.» Das Restaurant geht Ende Monat zu, der Mietvertrag läuft aber noch bis Ende Jahr. Daher gebe es auch noch keinen Nachmieter. «Wir machen erst einmal Feierabend, dann schauen wir weiter.»

Personal auf Jobsuche

Drei langjährige Angestellte verlieren ihren Job, eine neue Stelle haben sie noch nicht. Unter ihnen ist Lilo Wirth, die 20 Jahre hier gearbeitet hat. Wie es weitergeht, weiss auch sie noch nicht. «Zuerst einmal aufs RAV. Und dann muss ich suchen.»

Wer selber noch einmal ein Grosses für 5.60 Franken im «Restaurant zur freien Schweiz» trinken will, muss sich sputen: Austrinkete ist diesen Samstag, 30. Juli.

Der Gartensitzplatz, daneben die Hauswand des Hotel Fox.

Der Gartensitzplatz, daneben die Hauswand des Hotel Fox.

(Bild: lru)

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