Gruselige Stadtführung

Die finsteren Geheimnisse der Stadt Luzern

Eine Guillotine im Naturhistorischen Museum Luzern. (Bild: bae)

In der Stadtführung «Galgenfrist» führt Christina Gerritsen die Besucher an die dunklen Orte Luzerns. Dort, wo gefoltert, gehängt oder geköpft wurde. Zum Schluss gibt es aber noch ein Happy End. Mit einer schönen Französin.

Es sind grausame Geschichten, die die Besucher der Stadtführung «Galgenfrist» in den nächsten zwei Stunden hören werden. Geschichten über aufgespiesste oder enthauptete Körper, verbrannte Frauen, Henker, Gehängte. Kurz: Über die finsteren Abgründe der menschlichen Seele.

Doch noch ist das Gemüt der Führungsteilnehmer ziemlich heiter. Drei Männer und drei Frauen haben sich vor der Tourismus-Information am Bahnhof Luzern versammelt. Es ist eisig kalt. Auch Christina Gerritsen ist da. Die Reiseleiterin macht seit über 10 Jahren die Galgenfrist-Führung. Sie ist diejenige, welche die dunkelsten Kapitel in der Geschichte der schönen Touristenstadt Luzern kennt wie kaum eine andere.

«Wer noch mehr schlimme Geschichten hören will, der soll einfach nachfragen.»

Christina Gerritsen, Reiseleiterin

«Wenn es jemandem zu brutal wird, kann er sich einfach melden», warnt Christina Gerritsen schon zu Beginn. Um gleich nachzuschieben: «Wer noch mehr schlimme Geschichten hören will, der soll einfach nachfragen.»

Galgen-Führerin Christina Gerritsen erklärt den Gästen die dunkle Geschichte der Stadt Luzern.

Galgenfrist-Führerin Christina Gerritsen erklärt den Gästen die dunkle Geschichte der Stadt Luzern.

(Bild: bae)

Schreie bis weit in die Stadt

Christina Gerritsen, eine zierliche Frau mit blondem Haar, möchte hinter die schöne Fassade von Luzern schauen, wie sie sagt. Das meint sie wörtlich. Denn Christina Gerritsen erzählt nicht einfach nur Schauergeschichten, sie führt die Teilnehmer der Führung auch gleich an die Orte, wo das alles stattfand.

In den Wasserturm beispielsweise. Ob die Touristen wissen, dass im Luzerner Wahrzeichen im Mittelalter gefoltert wurde? So wurden die Männer und Frauen zuoberst im Turm an den Händen aufgehängt, damit man ihre Schreie weit in die Stadt hinein hörte. «Zur Abschreckung», wie der Turmherr Karlo Rogger den Gästen zu berichten weiss.

«Viele Frauen wählten den Tod.»

Gestanden sie unter Folter ihre Verbrechen, richtete ein Scharfrichter sie bis zum 15. Jahrhundert auf dem Weinmarkt hin. «Epilepsie-Kranke versuchten, das ausgeflossene Blut zu trinken, da sie hofften, davon geheilt zu werden», erzählt Christina Gerritsen. Auch hätten die Scharfrichter in Blut getränkte Tüchlein als Glücksbringer verkauft. Bis ins 15. Jahrhundert hatte Luzern übrigens keinen eigenen Scharfrichter. Nein, die Luzerner mussten von Zürchern und Bernern ins Jenseits befördert werden. Später hatte auch Luzern seine eigenen Scharfrichter. 

Baltz Mengis – Der bekannteste Scharfrichter Luzerns 

Baltz Mengis war der bekannteste unter ihnen. Es muss kein schönes Leben gewesen sein, das Mengis damals führte – und damit ist nicht nur das Hinrichten von Menschen gemeint. Scharfrichter waren von der Gesellschaft geächtet. Sie trugen ein blau-weisses Beinkleid. In gewissen Städten ein Gewand mit Glöckchen, damit man sie schon von Weitem hörte.

Sie durften nur in einer einzigen Beiz verkehren, auf immer dem gleichen Stuhl sitzen und mussten aus dem gleichen Becher trinken, der mit einer Kette an der Wand befestigt war. Damit ja kein anderer aus dem Becher trank und somit verunreinigt war. Immerhin verdienten Scharfrichter nicht schlecht. Da sie die Körper zur Bestattung beispielsweise nach einer Vierteilung wieder zusammenflicken mussten, verfügten sie über medizinisches Wissen.

Auch Mengis fungierte als Mediziner. Trotzdem: Angesehen war sein Berufsstand nicht. Wollte ein Scharfrichter heiraten, konnte er dies entweder mit einer Frau einer anderen Scharfrichter-Familie tun. Es bestand aber auch die Möglichkeit, eine von ihm gefolterte Verurteilte zur Frau zu nehmen. Die Frauen wurden dabei vor die Wahl gestellt: entweder der Tod oder die Heirat mit dem Scharfrichter.

Ein kleiner gesammelter Silberschatz im Wasserturm.

Ein kleiner gesammelter Silberschatz im Wasserturm.

(Bild: bae)

«Viele Frauen wählten den Tod», erzählt Christina Gerritsen den gespannten Zuhörern, um gleich danach eine Liste von Scharfrichter-Familiennamen hervorzukramen. Wer zum Nachnamen Dehler, Freimann, Dallmann, Kofler, Kilian oder Schäler heisst, der hat womöglich einen dunklen Fleck in seiner Familiengeschichte. Die Teilnehmer der Führung atmen jedoch erleichtert auf. Keiner ihrer Vorfahren scheint in der Vergangenheit Menschen in Luzern geköpft zu haben – zumindest nicht als Scharfrichter.

Aus Blitzableiter wird Folterinstrument

Je länger die Führung geht, desto dunkler werden offenbar die Gedanken der Zuhörer. Im Historischen Museum in Luzern – einem weiteren Stopp bei der Galgenfrist-Führung – zeigt Christina Gerritsen auf einen langen speerähnlichen Gegenstand. «Was könnte das wohl sein?», fragt sie in die Runde. «Ein Speer, um die Menschen aufzuspiessen», lautet eine Antwort. «Um jemanden senkrecht zu pfählen», sagt ein anderer. «Falsch», korrigiert Christina Gerritsen. «Es ist ein historischer Blitzableiter. Sehen Sie, jetzt denken Sie nur noch an böse Dinge», sagt sie und schmunzelt.

Ziemlich böse ging auch die nächste Geschichte aus, die Christina Gerritsen zum Besten gibt. Es ist jene von Hans Spiess aus Ettiswil. Der vermögende Kriegsknecht lebte im Jahr 1503 und muss, glaubt man den Quellen, ein untreuer Frauenheld gewesen sein, sehr zum Leidwesen seiner Ehefrau Margret.

«Das war eindrucksvoll.»

Teilnehmer 

So musste ihn die Luzerner Obrigkeit ermahnen, doch besser zu seiner Frau zu schauen, ihr genügend Geld zum Essen und zum Trinken zu geben. Als Spiess nach seinen Kriegsdiensten aus Bern wieder zu seiner Frau heimkam, schien sie ihm verziehen zu haben und kochte das beste Essen. Am nächsten Tag zog Spiess wieder nach Bern, Margret wurde jedoch einige Tage später tot im Ehebett gefunden.

Spiess stand unter Verdacht, seine Frau ermordet zu haben. Um ihm ein Geständnis abzuringen, folterte man ihn. Doch Spiess war zäh. Selbst unter schlimmster Folter gestand er nicht. Er bestand jedoch darauf, das Gottesurteil über sich ergehen zu lassen. Dafür musste Spiess sich nackt ausziehen und auf die Leiche seiner Frau zugehen. Man vertraute darauf, dass Gott ein Zeichen geben werde, sollte Spiess schuldig sein. Tatsächlich soll die tote Margret aus dem Mund geschäumt haben, als Spiess sie das dritte Mal berührte. Der Söldner habe daraufhin gestanden, seine Frau ermordet zu haben. Er wurde hingerichtet. 

Die schöne Französin und ihre sexy Mode

Nach zwei Stunden menschlicher Abgründe – Christina Gerritsen geht auch auf die Geschichten der Hexenverbrennung in Luzern ein – endet die Galgentour im Luzerner Löwengraben. Nach einem kurzen Abstecher im ehemaligen Gefängnis stehen die Teilnehmer auf der dunklen Gasse.

«Ich bin froh, dass ich in der heutigen Zeit lebe.»

Karin Schmid, Teilnehmerin 

«Das war eindrucksvoll. Mir ist aber nicht klar, warum die Leute dachten, dass man mit Folter echte Geständnisse erzwingen kann», sagt Galgentour-Teilnehmer Peter Schmid (40) aus Hochdorf.

«Ich bin froh, dass ich in der heutigen Zeit lebe», zieht seine Frau Karin Schmid (42) ein Fazit. Es ist ein Gedanke, den auch Christina Gerritsen bereits am Anfang der Führung äusserte: «Denken Sie daran: Diese Vergangenheit ist heute in vielen Ländern noch brutale Gegenwart.»  

Karlo Rogger zeigt die Waffensammlung im Wasserturm.

Christina Gerritsen möchte nach all den schaurigen Geschichten ihre Gäste abschliessend noch mit einer positiven Geschichte in die Nacht entlassen. Sie handelt von Marie Josse d’Hemel, einer wunderschönen Frau. Man sagt, Marie Josse d’Hemel habe die französische Mode in die Stadt gebracht.

Der Obrigkeit war diese etwas zu sexy und gerade deshalb kam sie bei den Damen so gut an. Als Marie Josse starb, versammelte sich die ganze Stadt bei ihrer Beerdigung. Auch der Totengräber war da. Als alle anderen Menschen weg waren, öffnete er noch einmal den Sarg, stahl den Schmuck und zog Marie Josse bis aufs Unterkleid aus. Plötzlich öffnete Marie Josse die Augen, erhob sich aus dem Sarg und lief quer durch die Stadt nach Hause, wo sie noch 20 Jahre weitergelebt haben soll – sagt man.

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