Luzerner Jugendzirkus vor der heutigen Premiere

«Die ehemaligen Tortellinis sind unsere härtesten Kritiker»

Kurz vor der Premiere: Silja Bühler und Solvej Canova (mit Brille) in Zirkusdirektoren-Kluft im Theaterpavillon.

(Bild: lre)

Seit der Gründung vor 30 Jahren ist aus dem Zirkus Tortellini eine Luzerner Institution geworden. 3’000 Menschen strömen für ihre Stücke alle zwei Jahre in den Theaterpavillon. zentralplus hat vor der heutigen Premiere die 19-jährigen Direktorinnen Solvej Canova und Silja Bühler getroffen – die noch an ihrer Rede feilen müssen.

1987 trommelten die beiden Primarschüler Ursi und Tobias Caflisch ihre Spielkameraden im Luzerner Friedbergquartier zusammen, um Zirkus zu spielen. Der Kinderquartierzirkus Tortellini war geboren. Und er hat sich im Unterschied zu den meisten anderen Zirkusprojekten, die von ein paar Knirpsen gestartet wurden, bis heute gehalten. Am Freitag steigt die Premiere der mittlerweile vierzehnten Produktion (siehe Box).

Aus dem Kinder- ist ein Jugendzirkus geworden, die Spielerinnen und Akrobaten sind zwischen 13 und 21 Jahre alt – und die Gründerkinder haben längst eigene Kinder. Rund 3’000 Leute besuchen alle zwei Jahre die Aufführungen im Luzerner Theaterpavillon und bekommen ein poetisches Programm serviert, das Akrobatik, Theater und Musik verbindet.

Eines aber hat sich seit der Gründung vor 30 Jahren nicht verändert: Der Zirkus wird von seinen jungen Macherinnen und Machern von A bis Z selber auf die Beine gestellt. Momentan leiten die drei 19-jährigen Direktorinnen Solvej Canova, Frieda Gysin und Silja Bühler den Tortellini.

Kurz vor der Premiere ihres Jubiläumsstücks «Erlemin und der Floh» haben wir zwei von ihnen getroffen. Silja Bühler empfängt im Daheim der Tortellinis, draussen regnet es in Strömen. Solvej Canova stösst etwas später dazu, sie hat daheim noch Ersatzkleider eingepackt und ist damit die Einzige, die während des Interviews nicht tropft.

zentralplus: Seid ihr froh, dass ihr bei dem Wetter im Theaterpavillon spielt und nicht in einem Zirkuszelt?

Solvej Canova: Ich glaube, das würde uns nicht so stören.

Silja Bühler: Das wäre doch romantisch, wenn der Regen auf die Planen prasselt. Ein richtiges Zelt wäre toll! Wir haben uns das auch überlegt, gerade zum 30-Jahr-Jubiläum. Aber es ist halt ein grosser Aufwand, hohe Kosten und und und.

zentralplus: Das Thema Zirkus ist in eurem Jubiläumsstück sehr präsent: Auf dem Pressefoto posiert ihr vor einem Zirkuswagen, auf dem Flyer ist ein Zirkushut und im Stück geht es um einen Zirkus. Möchtet ihr zurück zu euren Zirkuswurzeln?

Canova: Es war ursprünglich nicht unsere Idee, extra ein Stück mit dem Thema Zirkus für unser Jubiläum zu machen. Wie alle unsere Stücke haben wir auch «Erlemin und der Floh» erst beim Proben geschrieben. Und da haben wir zuerst mit der Idee eines Flohs begonnen, und der Zirkus rundherum kam erst später dazu.

Bühler: Das Jubiläum ist im Stück versteckt: Tortellini-Kenner werden merken, dass wir Zitate aus früheren Stücken eingebaut haben, Namen aus früheren Stücken zum Beispiel. Unser Regisseur Maël Stocker war da sehr hilfreich. Er ist seit über 20 Jahren dabei und hat früher selber mitgespielt. Sein Gedächtnis geht weiter zurück als unseres.

«Wir haben uns jetzt gegen ein grosses Trara entschieden.»

Solvej Canova

zentralplus: Ihr spielt im Stück einen Flohzirkus, in welchem die Flöhe nicht mehr gehorchen und einen Aufstand wagen. Ist das ein selbstironischer Kommentar über eure Zirkusleitung?

Jubiläumsstück «Erlemin und der Floh»

Premiere ist am Freitagabend, bis am 9. September zeigen die Tortellinis zwölf weitere Aufführungen ihrer aktuellen Produktion im Theaterpavillon Luzern. Das Stück ist für Erwachsene und Kinder ab 5 Jahren geeignet. Die Premiere ist ausverkauft, für die weiteren Aufführungen gibt’s noch Tickets über die Webseite.

Die Tortellinis denken bereits weiter: Für die nächste Produktion im Jahr 2019 sind sie auf der Suche nach zirkusbegeisterten neuen Mitspielern, Akrobatinnen und Musikern zwischen 9 und 25 Jahren. Voraussichtlich im November findet ein Infoabend statt, Interessierte können sich unter [email protected] melden.

Bühler: Nein (beide lachen).

Canova: «Animal Farm» von George Orwell war sicher eine Inspiration. Und dann hat’s halt einfach einen dramaturgischen Bogen gebraucht und dieser Aufstand hat gepasst. Aber es gibt keinen politischen Hintergrund.

zentralplus: Ihr habt auch keinen internen Krach verarbeitet?

Bühler: Krach haben wir nie (beide lachen).

zentralplus: Ihr seid ja dafür bekannt, dass ihr Artistik und Theater verbindet, und dass ihr dazu noch selber die Musik spielt. Wie sehr fühlt ihr euch eigentlich an die Tortellini-Traditionen gebunden? 

Beide: Sehr fest.

Bühler: Als wir die Leitung vor zwei Jahren übernahmen, sagten alle: Ihr könnt machen, was ihr wollt. Ihr könnt den Aufführungsrhythmus ändern und schon nächstes Jahr wieder ein Stück zeigen. Ihr könnt auch anderswo als im Theaterpavillon aufführen. Ihr seid frei. Und wir haben uns das auch ungefähr eine Stunde lang überlegt, aber dann rasch gemerkt, dass es für uns stimmt. Als Neulinge in der Leitung waren wir mit dem Normalprogramm genug gefordert.

Canova: Es gab aber neue Teammitglieder, die frischen Wind reinbrachten. Die haben viele ungeschriebene Regeln hinterfragt. Unsere Akrobatiknummern zum Beispiel haben davon sehr profitiert. Da gab es vorher oft statische Bilder und nun ist da viel mehr Bewegung drin.

zentralplus: Fühlt ihr euch von den Traditionen und Erwartungen nicht erdrückt?

Canova: Von den Traditionen nicht, nein. Aber es gab schon einen gewissen Druck wegen des Jubiläums. Alle sagten zwar, wir könnten machen, was wir wollen. Aber was? Wir haben uns jetzt gegen ein grosses Trara entschieden.

Bühler: Am nervösesten sind wir, weil viele ehemalige Tortellinis an die Premiere kommen. Die müssen wir am meisten beeindrucken, das sind unsere härtesten Kritiker.

 

zentralplus: Es helfen auch immer viele Eltern mit. Euer Regisseur Maël Stocker und eure Musikleiterin Lisa Brunner sind ein gutes Stück älter als ihr. Wie behält ihr da die Zügel in der Hand?

Bühler: Die Zügel werden uns gerne in die Hände gedrückt, die will uns niemand wegnehmen. Maël ist eine riesige Hilfe. Er war für uns immer ansprechbar, er weiss, wie’s läuft. Aber er überlässt uns die Entscheidungen und hält sich raus.

Canova: Und die Eltern kommen gerne auf uns zu und fragen, wo sie uns unterstützen können. Aber auch sie wollen uns nicht die Zügel aus der Hand nehmen.

Bühler: Wir sind sehr froh um diese Unterstützung, denn wir sind ein kleines Team. Dieses Jahr sind wir nur zu zehnt. Das sind auch weniger Eltern, die mithelfen können. Auch auf der Bühne müssen alle enorm viel leisten. Solvej macht ganze sechs Nummern. Alle waren extrem engagiert und wollten immer noch weiter trainieren. Da mussten wir manchmal sogar eher bremsen und sagen: Es ist auch gut, wie es jetzt ist.

Das aktuelle Ensemble des Jugendzirkus Tortellini.

Das aktuelle Ensemble des Jugendzirkus Tortellini.

(Bild: zvg)

zentralplus: Mit dem 17-jährigen Gaoussou Tounkara aus Mali macht auch ein unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender mit. Wie ist er zu euch gestossen?

Bühler: Ein Freund von uns hat seinen Zivildienst im Asylzentrum in Kriens absolviert. Er ist auf die Idee gekommen und hat uns das vorgeschlagen und wir waren sofort dabei. Es ist wahnsinnig, wie Gaoussou sich in diesen eineinhalb Jahren entwickelt hat. Er sprach am Anfang kein Wort Deutsch und war sehr zurückhaltend und scheu. Aber der Zirkus scheint ihm Spass zu machen.

Canova: Wir haben dann gemerkt, dass er ja doch ein bisschen Deutsch versteht. Und mittlerweile können wir wunderbar zusammen reden. Er ist total aufgetaut und voll dabei. Er fühlt sich mega wohl und wir uns auch. Das würden wir unbedingt wieder machen.

«Wir sind parat. Nur die Premierenrede müssen wir noch schreiben.»

zentralplus: Zurück zur aktuellen Produktion «Erlemin und der Floh». Was sind eure Lieblingsmomente?

Canova: Das ist vor der Premiere noch schwer zu sagen. Das wird sich dann mit dem Spielen vor Publikum erst zeigen.

Bühler: Ich mag Erlemins Rolle und ihre Einzelszenen sehr. Das ist jene Artistin, die den Floh in den Zirkus bringt. Und artistisch finde ich die Akrobatiknummer dieses Jahr sehr, sehr gelungen.

zentralplus: Was ist neu?

Canova: Wir haben mit Lisa Brunner eine neue Musikleiterin. Der Musikstil ist ganz anders als früher und wir singen viel mehr als in früheren Produktionen, weil Lisa vom Gesang kommt.

zentralplus: Was müsst ihr noch erledigen bis zur Premiere am Freitagabend?

Bühler: Noch zu viel …

Canova: Eigentlich nicht! Wir sind parat. Nur die Premierenrede müssen wir noch schreiben.

Aufwärmen im Theaterpavillon: Solvej Canova (jongliert) und Silja Bühler (an der Violine).

Aufwärmen im Theaterpavillon: Solvej Canova (jongliert) und Silja Bühler (an der Violine).

(Bild: lre)

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