Stadttunnel: Hammerhai oder Badewanne?

Die Debatte nimmt absurde Formen an

Der Stadttunnel polarisiert. Forumseinträge und Leserbriefe zeugen von einer hitzigen Diskussionskultur. Das ist bereichernd und unterhaltsam. Wir haben die schönsten Stilblüten gesammelt.

Kein Thema hat in der letzten Zeit so viele Leserbriefe hervorgebracht wie der geplante Zuger Stadttunnel. Am 14. Juni ist Abstimmungstag. Politiker, selbsternannte Experten und die Zuger Bevölkerung sind um stichhaltige Argumente bemüht, hauen aber auch gerne mal daneben. Es werden Tatsachen verdreht, es wird gestritten, phantasiert und gegenseitig diffamiert. Eine gedeihende Diskussion mit sehenswerten Blüten.

«Eine meisterliche Fehlplanung, ein Jahrhundertwerk aus dem vergangenen Jahrhundert.»

Ein Leserbriefschreiber

Ein Blick in die Vergangenheit

Allseits beliebt ist die Vorschlaghammer-Methode. Ohne Rücksicht auf Verluste wird einfach mal draufgehauen. «Die Befürworter sind verblendet. Sie sind vom Tunnelvirus befallen und wollen mit dem Kopf durch die Wand», lässt eine erboste Stimme verlauten. Sie hätten jegliches Mass verloren und würden mit ihrem «Tunnelblick» ein Fass ohne Boden produzieren.

Die Tunnelgegner werden als «ewiggestrige Verhinderer» von dringend notwendigen Bauprojekten dargestellt. Sie seien Fundamentaloppositionisten, lebten nach dem Grundsatz «Ich bin dagegen, weil ich dagegen bin» und verfügten über keinen einzigen valablen realistischen Gegenvorschlag. Nein-Sager aus Prinzip.

Andere Methoden sind subtiler und wagen einen weiten Blick in die Vergangenheit: «Hätten unsere Vorfahren ein kleinkariertes Denken an den Tag gelegt, würden wir wohl noch heute mit der Gotthardpost im Fünfspänner ins Tessin reisen», wird proklamiert. Ohne ein grosszügiges und vorausschauendes Planen unserer Ahnen gäbe es heute weder moderne Bahnen noch Tunnels, führt derselbe Leserbriefschreiber aus.

«Ein Pilotfisch im Kielwasser des alternativ-grünen Hammerhais.»

Ein Tunnelverfechter über einen Gegner

Ein Blick in die Kristallkugel

Man spielt beidseitig aber nicht nur die Rolle des Historikers, sondern auch diejenige des Propheten. Ohne Stadttunnel würde die Stadt Zug in absehbarer Zeit unter dem immensen Verkehrsaufkommen kollabieren. Nicht nur würden Gestank und Lärm zunehmen, sondern auch Häuserfassaden verschmutzt und der Langsamverkehr behindert.

«Der IQ der Befürworter liegt unterhalb der Körpertemperatur.»

Ein Leserbriefschreiber

Beunruhigende Aussichten. «Die schlechte Wohn- und Aufenthaltsqualität wird dafür sorgen, dass gute Steuerzahler die Stadt verlassen und wir dann die Steuern erhöhen müssen», ist ein Schreiber überzeugt. Zuweilen werden regelrechte Dystopien gezeichnet. «Eine Blechlawine wird Zug unter sich begraben und die Zukunft der Stadt mit Dunkelheit überziehen.» Der Tunnel erhält in diesem düsteren Endzeitszenario den Status eines Heilands: «Das Licht am Ende dieses Tunnels darf uns etwas wert sein», predigt ein Befürworter. «Er wird die Stadt wieder in ein Bijou verwandeln.»

Auf der anderen Seite wird es futuristisch. In 17 Jahren, dem frühesten Eröffnungstermin der Anlage, würden die heutigen protzigen Fahrzeuge von den Strassen verschwinden und durch selbstfahrende Autos ersetzt. «Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen, dem Zeitalter der Digitalisierung», heisst es an einer Stelle. Der technische Fortschritt mache die Stadtkernumfahrung unnötig. Selbstfahrende Autos würden den Bedarf an Stadtautos auf einen Bruchteil des heutigen Aufkommens reduzieren. Das Problem wird sich von selber lösen, sozusagen.

«Mit dem Tunnel lässt sich etwas gegen den weltweiten Sandmangel unternehmen.»

Ein Tunnel-Befürworter

Man schreibt überdies gern im Namen der zukünftigen Generation. «Ich denke an die Bewohner von Zug im Jahre 2030 und freue mich für sie, wie sie die neu gestaltete Stadt geniessen werden», lässt ein Leserbriefschreiber verlauten. «Wir werden der Generation von morgen keinen finanziellen Scherbenhaufen überlassen, sondern eine fein gestaltete Stadt, die nicht im Verkehr erstickt.» Für unsere Kinder nur das Beste.

Pathetisch, gehässig, absurd

Wir haben den Boden sachlicher Argumentation längst verlassen. Gelegentlich finden sich unter den Forumseinträgen und Leserbriefen pathetisch aufgeladene Aussagen. Ein Tunnelverfechter bezeichnet einen Gegner als «Pilotfisch im Kielwasser des alternativ-grünen Hammerhais.» Andernorts wird der Tunnel mit einer Badewanne verglichen: «Es ist, wie wenn man den Wasserzufluss in eine Badewanne durch zusätzliche Leitungen erhöhen würde. Über ein gewisses Mass hinaus überquillt sie.»

Auch kleine Gehässigkeiten finden ihren Platz. So werden VCS und TCS-Vorstand als schizophren bezeichnet, deren Indoktrination keine Grenzen kenne. «Im Ernst, meinen diese Leute vom VCS wirklich, sie können die Bewohner von Zug einer Gehirnwäsche unterziehen?», fragt ein erboster Leserbriefschreiber. «Der IQ der Befürworter liegt unterhalb der Körpertemperatur», schreibt ein anderer. «Respektlos», «feige», «verantwortungslos» und «verblendet» sind nur einige Attribute, welche Vertreter beider Seiten in den Mund nehmen.

Nebst alledem finden sich auch schlicht absurde Argumente. Ein Vorteil des Tunnels bestünde beispielsweise darin, dass im Winter die entsprechende Strecke nicht schneegeräumt werden müsse. Oder, dass mit dem abgetragenen Material etwas gegen den weltweiten Sandmangel unternommen werden könnte. Oder schlicht die Tatsache, dass es dann endlich wieder mehr Tunnel-Ingenieure geben würde.

Die Debatte dauert noch bis zum 14. Juni. Man darf sich also auf weitere Prachtsexemplare aus der Zuger Debattierkunst freuen. Ob Hammerhaie oder Badewannen: Der Stadttunnel hat es geschafft, die Kreativität der Zuger Bevölkerung zu entfesseln.

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