Der Kanton Luzern wählt in 365 Tagen

Die CVP sucht nach geeigneter Strategie

CVP-Präsident Christian Ineichen fragt die Basis, wie die Strategie für die Wahlen in einem Jahr aussehen soll.

(Bild: Facebookseite/ CVP Luzern)

In einem Jahr wählt der Kanton Luzern. Die grösste Partei – die CVP – befindet sich derzeit im Formtief. Nun holt sich die Luzerner Parteileitung Rat bei der Basis. Das kommt nicht überall gut an. 

In einem Jahr wählt der Kanton Luzern. Am 31. März 2019 entscheidet sich, welche 120 Parlamentarier und welche fünf Regierungsräte künftig politisch das Sagen haben. Die Luzerner Wahlen werden als grosser Stimmungstest ein halbes Jahr vor den nationalen Wahlen angesehen.

Eine Partei steht dabei besonders im Fokus: die CVP. Sie taumelt derzeit von Niederlage zu Niederlage – jüngst etwa in der Stadt Zürich. 11,6 Prozent beträgt der Wähleranteil auf nationaler Ebene. Und nicht wenige Experten sehen die Partei künftig gar im einstelligen Bereich.

Dabei geht etwas oft vergessen: In einigen Kanton ist die CVP nach wie vor die Nummer eins. So auch im Kanton Luzern, wo die Partei bei den Kantonsratswahlen 2015 einen Anteil von 30,9 Prozent erreichte, was umgemünzt 38 von 120 Sitze im Kantonsrat bedeutet. Der Kanton Luzern ist eine wahre CVP-Hochburg. Was gleichzeitig bedeutet, dass die Fallhöhe grösser ist. Gerhard Pfister, der Präsident der CVP Schweiz, hat dies erkannt. Alleine im vergangenen Jahr absolvierte er um die 20 Auftritte im Kanton Luzern.

CVP holt Rat bei der Parteibasis

Ein Jahr vor den Wahlen werkelt die kantonale Partei nun an ihrer Strategie. Sie führt aktuell eine Basisbefragung durch, um den Puls der eigenen Wähler zu spüren. Auf welche Themen soll man setzen? Welche Regierungszusammensetzung soll man anstreben? Soll man mit Bisherigen antreten oder eine Auswahl machen? Und wie viele Sitze soll man als Ziel ausgeben?

zentralplus hätte gerne von Parteipräsident Christian Ineichen erfahren, was der Sinn dieser Umfrage ist. Er mochte sich allerdings nicht zur Befragung äussern. Bereits bei seinem Amtsantritt sagte Ineichen, man wolle die Arbeit der eigenen Regierungsräte Reto Wyss und Guido Graf kritisch betrachten. Nun fragt man die Basis, ob man eine dritte Person nominieren solle – ist man mit den eigenen Regierungsräten etwa nicht zufrieden? 

Szenario: Eine Frau und Graf oder Wyss?

Ein anderes Parteimitglied äussert sich offen und kritisiert die Umfrage. «Man kann den Kurs als Präsidium erstens entschlossen vorgeben oder sich zweitens über eine Mitgliederbefragung absichern, im letzteren Fall hat man dann bei einer Niederlage nichts falsch gemacht», sagt Silvio Bonzanigo im Gespräch mit zentralplus. Er ist Delegierter der CVP Stadt Luzern, alt Co-Präsident der städtischen CVP und alt Grossstadtrat.

Er arbeitete rund 20 Jahre in der kantonalen Verwaltung und betreibt seit zwei Jahren eine kleine Agentur für Kommunikation und politische Beratung. «Ich übernehme nur Mandate von Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen mit Sitz im Kanton Luzern. Denn nur da weiss ich politisch wirklich Bescheid», sagt er. «Ich würde mich als kritischen Beobachter meiner Partei bezeichnen, der die heiklen Punkte anspricht.» Dass er in der Partei nicht nur Freunde habe, ist ihm bewusst. So zweifelte er die Fähigkeiten des neuen CVP-Präsidenten Christian Ineichen bei dessen Wahl öffentlich an.

«Wir sollten einen Delegiertenbeschluss fassen, der besagt, dass die CVP mit einem Mann und einer Frau antritt.»

Silvio Bonzanigo

Die Frage nach der Anzahl anzustrebender Regierungsratssitze sei «sowas von unüberlegt – jenseits der Realität», urteilt Bonzanigo. Zudem: Nominiert werde von den Delegierten an einer Versammlung und nicht im Vorfeld von der Parteispitze. Bonzanigo selbst geht beim Gedanken an die Wahlen eine andere Idee durch den Kopf. «Wir sollten einen Delegiertenbeschluss fassen, der besagt, dass die CVP mit einem Mann und einer Frau antritt.»

Er überlegt sich gar, einen solchen, wie er sagt, «chancenlosen Antrag» zu stellen. «Graf und Wyss müssten sich dann halt um den einen Sitz balgen.» Die CVP könnte sich als fortschrittlich zeigen. «Und fähige Frauen hätten wir genug», sagt er, ohne jemandem eine Favoritinnenrolle zuzuschieben. «Die Genderthematik wäre für ‹die Familienpartei› eben überlebenswichtig, auch für die Gestaltung der Kantonsratsliste», schliesst Bonzanigo.

Pfister, der «One-man-think-thank»

Im Moment sei dies jedoch nicht das zentrale Problem. Bonzanigo ortet grundlegende Schwierigkeiten in der Ausrichtung seiner Partei. Der Parteipräsident der CVP Schweiz, Gerhard Pfister, will die CVP im wertkonservativen Lager ansiedeln. Der «linke» CVP-Flügel hat jedoch erst kürzlich eine neue Gruppierung gebildet, die stärker sozialliberal ausgerichtet sein will.

Neu verwendet Pfister auch den Begriff einer bürgerlich-sozialen Ausrichtung. «Die Hoffnung in unseren Präsidenten ist riesig», sagt Bonzanigo. Er bezeichnet Pfister aber als «One-man-think-thank». Das sei kein gutes Zeichen für die Partei. «In der CVP fehlt es leider an einer Diskussionskultur – die Linken streiten zu ihrem eigenen Vorteil viel mehr», so der langjährige CVP-Beobachter.

Silvio Bonzanigo beurteilt die Arbeit seiner Partei kritisch.

Silvio Bonzanigo beurteilt die Arbeit seiner Partei kritisch.

(Bild: les)

 

Bonzanigo hat eine Rede des Zugers über die Positionierung der CVP aus dem Jahr 2013 dabei. «Die CVP ist eine Partei aus Flügeln, jedoch ohne Rumpf. Zusammengehalten wird das brüchige Gebilde nur durch die Konfession.» Treffender könne man das nicht beurteilen, erklärt Bonzanigo. «Die Verluste einer Milieupartei sind deshalb auch rein logisch in der säkularen Entwicklung der Gesellschaft begründet.»

Als damals in den 70er-Jahren eine Fusion mit dem Vorläufer der heutigen SVP im Raum stand, hätte man zuschlagen sollen, nennt Bonzanigo ein grosses Versäumnis der Partei. «Oder man hätte sich selbst zur SVP umbenannt. So wäre man auch die Diskussion um das C los.» Bonzanigo bezeichnet den Verlust des C zwar auch als Risiko, weil dann die konfessionelle Klammer ganz wegfalle, «die Chancen, die das mit sich bringen würde, wären jedoch grösser.» 

Bonzanigo hält die Basisbefragung deshalb für «eine maximale Selbsttäuschung, weil sie weder die Genderfrage noch die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung «wertkonservativ oder sozialliberal?» stellt.

Auf welche Gebiete schielt die Partei?

Und wie sieht er den Weg der Partei im Kanton Luzern? «Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine liberalsoziale Ausrichtung in einem Stammland wie Luzern funktionieren würde.» Eine Fokussierung auf das Wertkonservative sei jedoch genauso gefährlich. «Wenn schon, müsste man das Schweizerische stärker gewichten. Aber das macht schon die SVP.»

«Mich stört es, dass man auch aus CVP-Kreisen ab und an auf Finanzdirektor Marcel Schwerzmann schiesst.»

Silvio Bonzanigo

«Es ist wirklich ein grosses Dilemma», sagt Bonzanigo, der selbst auch etwas ratlos wirkt. Pfister will die traditionellen Gebiete ansprechen. «Aber wir dürfen die Stadt und die Agglo ja nicht vernachlässigen», mahnt Bonzanigo. «Dort wohnen die meisten Menschen, dort werden von den Medien die Themen gesetzt – das wird sich in Zukunft noch zuspitzen.» 

Nicht Schwerzmann, sondern die CVP ist verantwortlich

Wichtige Diskussionen, doch der ehemalige Grossstadtrat spielt die Bedeutung sogleich etwas herunter. «Ich befürchte, man langweilt damit die Wähler.» Womit Bonzanigo gleich einen nächsten heiklen Punkt anspricht. «Uns fehlt es auch an guten Themen und an einem Alleinstellungsmerkmal.» Man habe es als Familienpartei versucht, mit der Absicht, besonders die traditionellen Familien abzuholen. «Das war deshalb mässig erfolgreich, weil heute ein breiter Konsens darüber herrscht, dass verschiedene Familienmodelle lebbar und tauglich sind.» 

Bei aller Kritik, Bonzanigo bringt auch Lösungen ins Spiel. «Wir haben am meisten Regierungs- und Kantonsräte. Wir sind dafür verantwortlich, was im Kanton Luzern geschieht.» Deshalb solle man hinstehen und die finanzpolitische Verantwortung übernehmen statt zu lavieren. «Mich stört es, dass man auch aus CVP-Kreisen ab und an auf Finanzdirektor Marcel Schwerzmann schiesst.» Die neuste Entwicklung, dass man trotz Festhalten an der Finanzstrategie auch Mehreinnahmen ins Auge fasst, findet Bonzanigo hingegen gelungen. «Damit grenzen wir uns nach links und nach rechts ab.»

Politologe: «CVP muss mit Verlusten rechnen»

«Die Köpfe und damit einhergehend die Identifikation der Wähler sind für eine Partei sehr wichtig», sagt Politologe Andreas Ladner von der Uni Lausanne. Er hat sich vertieft mit den Schweizer Parteien auseinandergesetzt. «Bei einer Mittepartei sind Sympathieträger fast noch wichtiger als die politischen Schwerpunkte», sagt er über die CVP. Der «Leuthard-Effekt» gilt als perfektes Beispiel.

Die grosse Schwierigkeit der CVP sei es, den «Ausbruch aus dem Milieu» zu schaffen. «Parteien haben dann Erfolg, wenn sie Ideen und Werte verkörpern, nach denen in der Gesellschaft ein tiefes Bedürfnis besteht», so Ladner. Wenn natürlich die Wählerschaft einer Partei sehr breit sei, was für die CVP in Luzern definitiv der Fall sei, werde die Herausforderung umso grösser.

«Die CVP muss wohl mit weiteren Verlusten rechnen», prophezeit Ladner. Gerade auch, weil man als grösste Partei stets die Verantwortung trage und bei Unzufriedenen in Ungnade falle. «Wirklich dramatisch wird es für die Partei jedoch erst, wenn sie ihre Funktion als Mehrheitsbeschafferin verliert.» Sollte also ein Block aus FDP und SVP plötzlich die Mehrheit in einem Parlament haben, werde der Weg für eine Milieupartei sehr steinig, so der Experte.

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