Pandemie stellt Beziehungen auf den Kopf

«Die Corona-Krise ist eine herausfordernde Zeit für alle Paare»

Zu ihr kommen bereits jetzt schon Paare, die in einer Krisensituation sind: die Luzerner Paar- und Sexualtherapeutin Sara Frank. (Bild: ida)

Corona-Virus, Homeoffice und Hausarrest: Paare, die zusammenwohnen, verbringen nun viel Zeit miteinander. Wir haben die Luzerner Paar- und Sexualtherapeutin Sara Frank gefragt, ob sie einen Babyboom oder eine explodierende Scheidungsrate erwartet.

zentralplus: Sara Frank, im Vorgespräch haben Sie bereits verraten, dass sich jetzt schon die ersten Paare bei Ihnen melden, die eine Krisensituation haben. Ist die Corona-Krise eine Art Prüfung für jede Beziehung, ob sie standhält?

Sara Frank: Das kann man durchaus so sehen. Gerade für Beziehungen, in denen sich in den letzten Monaten oder gar Jahren viel angestaut hat. Insbesondere bei den Paaren, die gemeinsam wohnen, können sich die Beziehungsprobleme jetzt verstärken. Sie verbringen noch mehr Zeit gemeinsam und können vor den Problemen nicht mehr fliehen. Vorher hatte man die Arbeit und Verabredungen ausser Haus, jetzt sitzt man gemeinsam zu Hause fest.

zentralplus: Was sind das für Probleme?

Sara Frank: Oft geht es darum, dass man sich gegenseitig nicht mehr findet. Häufig sind negative Beziehungsmuster das Problem. Ein typisches Muster zeigt sich durch viel Kritik des einen Partners, worauf der andere Partner mit Abwehr oder Rückzug reagiert. Solche Muster drängen sich jetzt noch viel stärker auf: Wenn wir gestresst und frustriert sind, greifen wir eher auf diese automatisierten Muster zurück.

zentralplus: Können Sie ein solches Beziehungsmuster anhand eines Beispiels erklären?

Sara Frank: Meistens handelt es sich um banale Alltagsthemen. Beispielsweise um den Geschirrspüler. Die Frau will, dass die Müeslischüsseln oben und die Teller unten versorgt werden. Der Mann macht's trotzdem anders. Bei ihr löst dies das Gefühl aus, dass der Partner nicht auf sie hört und sie nicht ernst nimmt. Also kritisiert sie ihn und sagt: Warum hast du das jetzt schon wieder falsch gemacht? Der Mann hört nur die Kritik. Er denkt, dass alles, was er macht, falsch ist und zieht sich zurück. Schliesslich geht es aber nicht um den Geschirrspüler, sondern um die verletzten Gefühle, die in dieser Situation entstehen.

zentralplus: Wie sollte man dann dem Partner sagen, dass er den Geschirrspüler endlich richtig einräumen soll?

Sara Frank: Indem man ihn nicht kritisiert. Es hilft, in Ich-Botschaften zu sprechen. Man kann sagen: «Mich stresst es, wenn der Geschirrspüler nicht so eingeräumt ist. Ich habe das Gefühl, nicht richtig gehört zu werden.» Das ist in erster Linie keine Kritik, denn man äussert, wie man sich fühlt und wie es einem dabei geht.

«Es hilft, sich einen Moment hinzusetzen und zu überlegen, was man alles an seinem Partner mag, was an diesem Tag gut gelaufen ist.»

zentralplus: Dumm nur, wenn das Gegenüber erst gar nicht Lust hat, über solche Dinge zu sprechen.

Sara Frank: Es hat stark damit zu tun, wie wir kommunizieren und wie wir etwas mitteilen. Wenn man die eigenen Gefühle preisgibt, kann das Gegenüber besser darauf eingehen. Zudem empfehle ich die 5:1-Regelung vom bekannten amerikanischen Paartherapeuten John Gottman. Dieser sagt: Für jede Kritik, die man dem Partner gegenüber äussert, braucht es fünfmal ein Lob, eine Wertschätzung.

zentralplus: Das klingt nach viel Arbeit.

Sara Frank: Ja. Man muss sich Dingen wieder bewusster werden. Dabei hilft, sich einen Moment hinzusetzen und zu überlegen, was man alles an seinem Partner mag, was an diesem Tag gut gelaufen ist. Dass er beispielsweise den Tisch gedeckt oder beim Kochen geholfen und man das geschätzt hat.

zentralplus: Droht wegen des Corona-Virus denn der Beziehungsknatsch?

Sara Frank: Die Corona-Krise ist eine herausfordernde Zeit für alle Paare. Paare verbringen jetzt gezwungenermassen viel Zeit miteinander – ob sie wollen oder nicht. Die Alltagsstruktur fehlt, man ist in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Es kann durchaus zu Konflikten kommen.

Zur Person

Sara Frank ist selbständige Paar-, Familien- und Sexualtherapeutin in der Praxisgemeinschaft von Dr. Ines Schweizer. Sie hat an der University of San Diego den Master of Arts in Marriage and Familiy Therapy absolviert. Sara Frank führt auch Kurse und Workshops für Paare durch. Sie ist verheiratet und Mutter einer Tochter.

zentralplus: Sind wir uns zu nahe, fehlt die Distanz?

Sara Frank: Das Bedürfnis nach Nähe und Distanz ist sehr individuell. Gerade Partner, bei denen das Bedürfnis nach Zeit für sich und Freiraum gross ist, sind jetzt besonders gefordert.

zentralplus: Was sollte man beachten?

Sara Frank: Paare sollten unbedingt ein klärendes Gespräch führen. Es gilt, die Rollen und Aufgaben zu verteilen wie auch das Bedürfnis nach Nähe und Distanz zu klären, wer wo arbeitet. Wenn es die Räumlichkeiten erlauben, ist es sinnvoll, wenn beide ihren eigenen Arbeitsplatz haben. Weiter können Rückzugsmöglichkeiten definiert werden, in denen man sich alleine entspannen oder ein Buch lesen kann. Damit lässt sich eine Privatsphäre erhalten.

«Man kann auch mal wieder einen Liebesbrief schreiben.»

zentralplus: Was ist mit der anderen Situation: Paare, die nicht gemeinsam wohnen und sich jetzt nicht mehr sehen können?

Sara Frank: Wir haben das Glück, mit den heutigen Technologien trotz Distanz in Kontakt zu bleiben. Zwar fehlt die physische Nähe. Paare, die sich derzeit nicht sehen können, sollen sich auf den emotionalen Austausch konzentrieren. Die Krise ermöglicht es, auf kreative Alternativen zurückzugreifen. Man kann auch mal wieder einen Liebesbrief schreiben.

zentralplus: Die Corona-Krise kann auf das Liebesleben auch einen positiven Einfluss haben. Zumindest auf die Libido. Der Onlinehändler Digitec Galaxus vermeldete, dass sie einen Boom an verkauften Erotikartikeln wahrnehmen. Der «Tagesanzeiger» berichtete, dass seit Ausbruch der Pandemie zudem häufiger Pornos geschaut werden. Haben Paare in Quarantäne mehr Sex?

Sara Frank: Der Gedanke liegt nahe: Paare haben mehr Zeit, also auch mehr Sex. In gewissen Beziehungen mag dies zutreffen. Gerade in den frischen Beziehungen, in denen das Verliebtheitsgefühl und die Glückshormone noch stark ausgeprägt sind. Oder bei Paaren, die auch sonst oft Sex haben. Das Gegenteil kann aber auch eintreffen. Ein Paar, bei dem Sex bereits vorher ein schwieriges Thema war, kann durch mögliche Konflikte und das permanente Aufeinandersitzen die Lust am Sex noch mehr verlieren. Der Alltag ist Beziehungskiller Nummer 1.

zentralplus: Was kann man in einem solchen Fall tun?

Sara Frank: Das Gespräch mit dem Partner suchen, über sexuelle Bedürfnisse sprechen und klären, weshalb es ein schwieriges Thema ist. Wenn man viel Zeit gemeinsam verbringt, geht das Abenteuer und der Reiz oft verloren. Es hilft, den Partner zu überraschen oder mit seinen Reizen zu spielen.

«Der Gedanke liegt nahe: Paare haben mehr Zeit, also auch mehr Sex.»

zentralplus: Steigt zur Quarantäne-Zeit die Lust auf Sex oder Selbstbefriedigung? Oder wie erklären Sie sich den Verkaufsboom von Sextoys?

Sara Frank: Den Verkaufsboom von Sextoys erkläre ich mir so, dass die Leute nun mehr Zeit haben und dadurch Dinge tun, die sie schon lange auf ihrer Liste haben. Dazu kann eben der Kauf und die Nutzung eines Sextoys sein. Wie viele der Paare nun aber durch den Kauf der Sextoys wirklich mehr Sex haben, ist fraglich. Aber natürlich gibt es auch Paare, die Initiative ergreifen, um in der aktuellen Situation ihrem Sexleben neue Impulse zu geben, oder Singles, die sich durch den Kauf eines Sextoys Alternativen ermöglichen.

zentralplus: Im Internet kursiert derzeit der Begriff Corona-Babys. Glauben Sie, dass es nach der Krise zu einem Babyboom oder doch eher zu einer steigenden Trennungs- und Scheidungsrate kommt?

Sara Frank: Tendenziell denke ich, dass es eher zu mehr Trennungen und Scheidungen kommen könnte. Das zeigt sich bereits in China, wo viele Provinzen wesentlich höhere Scheidungsraten beziehungsweise -anträge verzeichnen als vorher. Denn die Folgen rund um das Corona-Virus, namentlich die Sicherheitsmassnahmen sowie die hervorgerufenen Ängste und Sorgen stellen uns alle vor ungewohnte Herausforderungen. Aber die Krise kann nicht nur als Gefahr für Paare, sondern auch als Chance betrachtet werden.

zentralplus: Wie meinen Sie das?

Sara Frank: In dem man die gemeinsame Zeit dazu nutzt, um über Bedürfnisse zu sprechen und die Beziehung zu vertiefen. Eine solche Krise als Paar gemeinsam zu bewältigen, kann durchaus zu einem besseren Zusammengehörigkeitsgefühl und somit zu einer stärkeren Beziehung führen.

zentralplus: Wer sucht bei Ihnen Hilfe?

Sara Frank: Oft suchen Paare Hilfe, wenn es schon sehr spät ist. Sie sagen: Entweder ändert sich jetzt etwas, sonst gehen wir auseinander. Wenn Paare vor vielen Problemen stehen oder intensive Verletzungen vorliegen, fühlen sie sich häufig in einer Endlosschleife, aus der sie selbst nicht mehr rauskommen. Dann lohnt es sich, professionelle Unterstützung zu holen. Es gibt aber durchaus auch Paare, welche die Therapie als Chance nutzen, um ihre Beziehung zu optimieren. Diese Paare haben verstanden, dass Beziehungsarbeit mit professioneller Unterstützung so vorteilhaft ist wie der regelmässige Service beim eigenen Auto.

Hinweis: In einem zweiten Artikel verrät dir Paar- und Sexualtherapeutin Sara Frank, wie du Streit in Beziehungen während der Corona-Krise vermeiden kannst, und gibt spezifische Tipps – und auch, was du als Single tun kannst.

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