Interview mit Luzerner Politikwissenschaftler

«Die Corona-Krise ist ein völlig neues und globales Phänomen»

Wie beeinflusst die Coronakrise die Luzerner Wahlen vom 29. März? Es dürfte zumindest mehr brieflich abgestimmt werden. (Bild: jal)

Der Bundesrat hat die Abstimmung vom 17. Mai verschoben. Ein guter Entscheid, meint Alexander Trechsel. Der Luzerner Professor für Politikwissenschaft glaubt nicht, dass die Corona-Krise die kommunalen Wahlen in Luzern stark beeinflusst. Höchstens bei der Stimmbeteiligung.

In den Luzerner Gemeinden wird am 29. März gewählt – für einmal unter besonderen Umständen. Wahlpartys sind abgesagt, besondere Massnahmen für das Stimmenzählen werden geprüft, das Informationszentrum und Interviews aus dem Luzerner Stadthaus können nicht wie geplant stattfinden (zentralplus berichtete).

zentralplus hat mit Alexander H. Trechsel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern, über die Folgen des Coronavirus auf die Politik und die Wähler gesprochen.

zentralplus: Herr Trechsel, welchen Einfluss haben Ausnahmesituationen wie aktuell die durch das Coronavirus verursachte auf das Wählerverhalten?

Alexander Trechsel: Das ist zurzeit nicht abschätzbar. Die Corona-Krise ist ein völlig neues und globales Phänomen. Auf die kommunalen Wahlen im Kanton Luzern dürfte sich die Corona-Krise voraussichtlich höchstens auf die Stimmbeteiligung auswirken.

zentralplus: Inwiefern?

Trechsel: Auf die Art und Weise, wie die Stimmbeteiligung abläuft. Ich denke, dass es zu einer noch grösseren Verschiebung Richtung schriftliche Wahlabgabe kommen wird. Eventuell müssen Wahllokale sogar geschlossen werden – in diesem Szenario wird es also nur noch briefliche Stimmabgaben geben. In Frankreich ist bei den Kommunalwahlen vom vergangenen Wochenende die Stimmbeteiligung stark eingebrochen. Dies auch deshalb, weil dort die Möglichkeiten der Stimmabgabe im Vergleich zur Schweiz viel eingeschränkter sind. Mit der brieflichen Stimmabgabe haben wir eine Alternative, die sich auch unabhängig von einer Pandemielage bewährt hat.

«Es ist keine Luzerner Lokalkrise, sondern eine globale Krise.»

zentralplus: Was bedeutet die Krise für den Wahlkampf in den Luzerner Gemeinden? Gibt es allenfalls Parteien, die von der Coronakrise profitieren oder dadurch geschwächt werden könnten?

Trechsel: Es ist keine Luzerner Lokalkrise, sondern eine globale Krise. Ich denke kaum, dass in diesem Wahlkampf besonders auf die Corona-Krise eingegangen wird, gerade auf Gemeindeebene – das wäre auch politisch gefährlich in der aktuellen Lage. Das zeigen die Fehleinschätzungen von Politikerinnen und Politikern in den letzten Wochen: Diese haben zum Teil stark negative Konsequenzen.

zentralplus: Wen meinen Sie damit?

Trechsel: Die späte Reaktion von Trump, seine Aussagen, dass die Corona-Krise mit der Russlandaffäre verglichen werden könne und Fake News sei: Das könnte sich – zusammen mit einer eingebrochenen Wirtschaftsleistung und einem Gesundheitsnotstand – äusserst schlecht auf ihn auswirken. Ein anderes Beispiel: Die Aussage von Christine Lagarde, der Präsidentin der Europäischen Zentralbank, hat einen Börsenabsturz bewirkt, der ihr direkt angekreidet wird.

Was ist mit dem zweiten Wahlgang?

Beim Kanton Luzern nimmt man den bundesrätlichen Entscheid zur Verschiebung der Abstimmung am 17. Mai zur Kenntnis, wie es am Mittwoch auf Anfrage beim Justiz- und Sicherheitsdepartement heisst. Ob auch die kantonale Abstimmung vom selben Tag über die Initiative des Mieterverbandes abgesagt wird, sei noch nicht entschieden. Ebenso offen sind die Folgen für den zweiten Wahlgang der kommunalen Wahlen, der ebenso am 17. Mai geplant ist. Denn der nächste nationale Abstimmungstermin am 27. September wäre erst nach Beginn der neuen Legislatur.

zentralplus: Trifft die These, wonach Wähler in Krisen- oder Ausnahmesituationen auf Altbewährtes setzen, zu? Kann man das auch auf die aktuelle Situation mit dem Coronavirus ummünzen?

Trechsel: Ich wäre bei diesen Thesen sehr zurückhaltend. In der Regel werden in Krisensituationen in der Tat amtierende Regierungen gestützt, auch durch die Opposition. In Kriegszeiten gibt es oft «Allparteienregierungen», wo die nationale Kohäsion grösser gewertet wird als politische Streitereien. Auf die Coronakrise bezogen: In Italien haben sich auch die Oppositionsparteien geeint hinter Regierungschef Giuseppe Conte gestellt, trotz eingangs grossen politisch motivierten Kritiken, gerade von Matteo Salvini.

Dazu kommt: Was heisst «altbewährt»? Sind die Präsidentschaften von Donald Trump, von Emanuel Macron oder die Regierungspräsidentschaft von Giuseppe Conte oder Boris Johnson «altbewährt»? Ihre Reaktionen auf die Krise werden mit grosser Wahrscheinlichkeit das politische Geschehen in naher Zukunft prägen – in den Fällen zumindest von Johnson und Trump wohl aber nicht zu deren Vorteil ...

zentralplus: Die vom Bund verhängten Massnahmen gehen mit einem grossen wirtschaftlichen Schaden einher, was bei vielen die Sorge um die Arbeitsplatzsicherheit erhöht. Wie könnte sich dies auf das Wählerverhalten auswirken?

Trechsel: Die wirtschaftlichen Probleme machen sich bereits heute bemerkbar. Experten in der Schweiz gehen von einer Rezession aus, die, so hoffen sie, im dritten Quartal aufgefangen, beziehungsweise gestoppt werden kann. Aber diese Vorhersagen sind natürlich noch sehr ungenau, denn man kennt die weitere Entwicklung der Pandemie noch nicht. Klar ist aber, dass die wirtschaftlichen Konsequenzen gravierend sein werden – wo, in welchen Branchen besonders stark und wie genau kann zurzeit noch nicht gesagt werden.

zentralplus: Mit welchen politischen Folgen?

Trechsel: Ich warne vor voreiligen Rückschlüssen. Wir sind noch viel zu nah an der Krise dran, beziehungsweise mitten in der Krise, als dass man da bereits parteipolitische und wirtschaftspolitische Aussagen machen sollte.

zentralplus: Ist anzunehmen, dass die Präsenz des Coronavirus in der Öffentlichkeit die 2019 dominante grüne Welle abschwächt und das Hoch der grünen Parteien ausbremst? 

Trechsel: Es ist verfrüht, solche Fragen aufzuwerfen. Die Reaktionen könnten genau in die gegenteilige Richtung gehen, weg von Globalisierung und zurück zur Natur.

«Zurzeit scheint die Politik wie gelähmt zu sein von der Krise.»

zentralplus: Der Bundesrat hat am Mittwoch beschlossen, auf die Durchführung der angeordneten eidgenössischen Volksabstimmung vom 17. Mai 2020 zu verzichten – unter anderem mit Verweis auf die freie Meinungsbildung. Wie beurteilen Sie diesen Entscheid?

Trechsel: In der schweizerischen direkten Demokratie ist die freie Meinungsbildung unabdingbar. Wenn aber das Land mehr oder weniger still steht, wenn die Leute dazu aufgefordert werden, zu Hause zu bleiben, wenn sich in der Berichterstattung fast alles nur noch um die Corona-Krise dreht, wenn Parteiveranstaltungen nicht durchgeführt werden können, wenn Bürgerinnen und Bürger die Abstimmungsthemen nicht miteinander diskutieren können, dann sind die Voraussetzungen für eine gut informierte Öffentlichkeit nicht gegeben. Zurzeit scheint die Politik wie gelähmt zu sein von der Krise, was natürlich verständlich ist. Was man verschieben kann, soll man verschieben, gerade eine solch wichtige Abstimmung, wie jene vom 17. Mai. Ich finde diesen Entscheid des Bundesrats völlig richtig und konsequent.

zentralplus: Sollten auch die kantonale Abstimmung sowie der zweite Wahlgang für die kommunalen Wahlen – die ebenfalls auf den 17. Mai terminiert sind – folgerichtig verschoben werden?

Trechsel: Ich bin der Meinung, dass das Gleiche für die kantonalen und kommunalen Urnengänge gelten sollte. In Frankreich hat Präsident Macron am Abend der Lokalwahlen sehr harte Massnahmen ergriffen. Aber die erste Runde der Kommunalwahen wurde noch durchgeführt, was aus meiner Sicht völlig absurd war, in einem System, in dem man sich persönlich an die Urne begeben muss. Dementsprechend war die Stimmabstinenz äusserst hoch. Diese führt zu politischen Verzerrungen und man kann zu Recht die demokratische Qualität eines solchen Wahlgangs kritisieren. Im Übrigen wurde in Frankreich nun die zweite Runde der Kommunalwahlen abgesagt. Und auch im Tessin wurden mittlerweile die Kommunalwahlen um ein Jahr verschoben – ein Entscheid, den ich für richtig halte.

Hinweis: Das Interview wurde schriftlich geführt.

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