Rundgang auf dem Seetalplatz

Die chaotische Riesenbaustelle

Es wartet noch viel Arbeit auf die 85 Fachkräfte, die am Seetalplatz im Einsatz sind. (Bild: Robert Bossart)

Die teuerste und grösste Baustelle im Kanton, und das an einem Platz, an dem täglich 50’000 Autos vorbeifahren: zentral+ schaute sich vor Ort um, wollte wissen, ob alles auf Kurs ist und wie man bei so einem Riesenprojekt den Überblick behält.

Die Ausmasse sind gigantisch: Die Baustelle auf und um den Seetalplatz ist rund dreieinhalbmal so gross wie die Altstadt Luzerns. Sie umfasst neben dem Seetalplatz den Bahnhof Emmenbrücke, das angrenzende Viscosiareal, die Uferlandschaft und den Luzerner Stadtteil Reussbühl. 190 Millionen Franken werden hier verbaut, 40 davon allein für den Hochwasserschutz. 2013 wurde begonnen, bis 2018 soll alles fertig sein.

Ein Augenschein vor Ort ist gar nicht so einfach – auf den ersten Blick sieht alles ziemlich chaotisch aus. Lastwagen mit tonnenschweren Felsbrocken fahren in alle möglichen Richtungen, überall liegt Staub in der Luft, offene Schachtdeckel, Plastikrohre, da und dort wird gebaggert, geschaufelt, geflucht, zementiert, und, und, und.

Noch ist viel los auf der Baustelle, bald schon wird hier eine Insel entstehen.

Noch ist viel los auf der Baustelle, bald schon wird hier eine Insel entstehen.

Alles im Griff

Überbauung ab 2018

Wenn die Arbeiten am Seetalplatz 2018 beendet sind, gibt es Platz für Überbauungen. So wird die Hochschule Luzern – Design und Kunst 2016 ins Viscosi-Areal einziehen. Rund die Hälfte der 620 Studierenden sowie der 180 Mitarbeitenden des Departements Design & Kunst wird dann im «Bau 745» tätig sein.

Durch die Neugestaltung des Seetalplatzes entstehen 200'000 Quadratmeter neue Nutzfläche. Rund 500 neue Wohnungen und 1'000 Arbeitsplätze sollen hier entstehen. Ebenso ist geplant, die kantonale Verwaltung am Seetalplatz anzusiedeln. Zur Zeit werden die entsprechenden Bebauungspläne ausgearbeitet. Ob dieses Projekt angesichts der misslichen Finanzlage des Kantons tatsächlich realisiert wird, ist noch unklar. Baubeginn am Seetalplatz wird voraussichtlich anfangs 2018 oder 2019 sein.

Aber schön der Reihe nach. Hans Ruedi Ramseier, der Gesamtprojektleiter Seetalplatz, scheint die Ruhe selbst zu sein. Die Grösse und Komplexität der Baustelle bereiten ihm keine schlaflosen Nächte. «Ich mache das seit 40 Jahren», meint er nur. Man habe alles im Griff, die Kosten, den Zeitplan, alles.

An der Seetalstrasse, unweit des Bahnhofs Emmenbrücke, beginnen wir unseren Rundgang. Hier ist das Herz und das Hirn der Baustelle: Eine Handvoll Bürocontainer, ein Unterstand mit einem grossen Baustellenplan und ein Parkplatz, mehr ist da nicht. Rund 20 Leute arbeiten in den Büros – Bauleitung, Oberbauleitung und die Leitung und Administration der involvierten Bauunternehmer.

Die Büros lassen wir links liegen. Bestückt mit Schutzweste und Helm geht es los in Richtung Reusseggstrasse, die auf vier Spuren vergrössert wurde und bereits wieder offen ist. «Die Unterführung war eine grosse Herausforderung», erzählt Ramseier. «Darüber sind drei Bahngleise, die immer befahrbar bleiben mussten.» Aber es hat alles problemlos geklappt, versichert der Bauleiter.

Weder Unfälle noch Verletzte

Auch sonst gibt es bis jetzt laut Ramseier keinerlei Zwischenfälle zu verzeichnen, weder grössere Pannen, Fehler noch verletzte Bauarbeiter. «Das soll bis zum Ende auch so bleiben», meint dieser trocken. Dann geht er weiter und zeigt auf einen Schachtdeckel. «Alles 400er-Deckel», bemerkt er. Es folgen weitere Detailangaben, die nur für Bau-Insider verständlich sind. Aber man sieht: Trotz der Grösse der Baustelle kennt der Chef jede Schraube, jedes noch so kleine Detail.

Die Reusszopfbrücke ist eine von 7 neu erstellten Brücken.

Die Reusszopfbrücke ist eine von 7 neu erstellten Brücken.

Weiter geht es über die Reusszopfbrücke Nord, eine von sieben neu erstellten Brücken. Sie führt über die Kleine Emme und wird dereinst den Reusszopfsteg, wo im Moment noch Velofahrer und Fussgänger passieren, ersetzen. Der alte Steg wird übrigens nicht einfach entsorgt: Das 140 Tonnen schwere Teil soll von der «Swiss Steel» gekauft werden.

Ramseier schaut auf die Kleine Emme hinunter. Hier entsteht eine grössere Insel, so dass der Fluss zwei Läufe und damit mehr Platz bekommt. «Normalerweise fliessen hier 10 Kubikmeter pro Sekunde durch, beim Hochwasser 2005 waren es 750, also 75-mal mehr.» Die Schäden damals waren verheerend. Heute würde eine solche Menge nicht mehr zu Überschwemmungen führen, versichert Ramseier. Und zeigt auf die Schutzmauer, die entlang der rechten Flusseite errichtet wurde.

Noch sieht sie etwas gewöhnungsbedürftig aus, aber Hans Ruedi Ramseier versichert, dass am Schluss alles ganz ansehnlich werde. «Hinter der Mauer gibt es einen Fussgänger- und Veloweg, der mit Bäumen bepflanzt wird.»

Diese Mauer soll bei Hochwasser Schutz bieten.

Diese Mauer soll bei Hochwasser Schutz bieten.

Bis ins letzte Detail

A propos Bäume: Auch da wird nichts dem Zufall überlassen. Auf dem bestehenden Radweg an der Reuss wurde ein so genannter Baumrost eingesetzt, obwohl hier gar nie ein Baum hinkommt. Wozu das also? Ramseier schmunzelt. «Das ist ein Test-Rost. Wir wollen prüfen, ob die Unterlage für die Velos rutschig ist.» Der Test verläuft gut, das beschichtete Gussteil hat auch bei nasser Witterung zu keinen Stürzen geführt.

Ein Baumrost, der auf seine Rutschfestigkeit getestet wurde.

Ein Baumrost, der auf seine Rutschfestigkeit getestet wurde.

Wir passieren die bestehende Unterführung «Kanal» unter der Bahnlinie und sind jetzt im Gebiet Reussbühl, wo derzeit an einer neuen Strasse gebaut wird, die entlang der Bahn geführt und welche die Hauptstrasse in Reussbühl entlasten wird.

Mehrere Häuser mussten hier abgebrochen werden. «Im Ganzen waren es neun, aber alles geschah freihändig», versichert Ramseier, nicht ohne Stolz. Freihändig bedeutet, dass niemand zwangsenteignet werden musste. «Wir konnten uns mit allen Eigentümern gütlich einigen.»

Längere Brücken wegen Hochwasser

Der Blick von der Zollhausbrücke auf die Kleine Emme.

Der Blick von der Zollhausbrücke auf die Kleine Emme.

Wir gehen weiter zu den beiden Zollhausbrücken, wo im Moment noch der Verkehr zirkuliert. Beide werden abgerissen und neu gebaut. Statt 24, werden sie neu 35 Meter lang sein. Auch da steckt der Hochwasserschutz dahinter: Die Kleine Emme erhält mehr Platz. «Hier stand bis 1902 eine Holzbrücke, die 125 Meter lang war, wir bewegen uns also wieder zurück in diese Richtung», sagt Ramseier.

Der Verkehr rollt flüssig und ruhig an diesem späteren Nachmittag – trotz Stosszeit. Ramseier lacht. Es habe nie wegen der Baustelle Verkehrsprobleme gegeben und es werde sie auch nicht geben. «Das haben die Journalisten erfunden». Es wird alles genau geplant, so dass der Verkehrsfluss stets gewährleistet sei.

«Wir müssen immer drei Schritte voraus sein, dann kann fast nichts schief gehen.»

Hans Ruedi Ramseier, Gesamtprojektleiter Seetalplatz

Nicht nur die Verkehrsführung ist eine logistische Herausforderung. Die ganze Organisation und die Abläufe einer solchen Riesenbaustelle sind keine einfache Sache. Es sind Tausende von Dingen, die ineinander passen müssen. «Dafür gibt es viele Sitzungen in der Bauleitung, sagt Ramseier. Das Rezept sei einfach: «Wir müssen immer drei Schritte voraus sein, dann kann fast nichts schief gehen.»

85 Arbeiter im Einsatz

Zwei Arbeiter richten einen frisch versetzten Randstein.

Zwei Arbeiter richten einen frisch versetzten Randstein.

Auf dem Rückweg zum Ausgang unseres Rundgangs treffen wir zwei Arbeiter, die einen frisch versetzten Randstein richten, der offenbar nicht ganz gerade geraten ist. Mit einfachen Hämmern versuchen sie, die Steine ins Lot zu bringen. «Es steckt trotz aller Planung halt immer auch viel Handarbeit dahinter», meint Ramseier. Und Berufsstolz, darum werden auch kleinste Abweichungen korrigiert.

Was auffällt: Es ist an vielen Orten erstaunlich ruhig auf der Baustelle. Von hektischem Gewusel ist nichts zu spüren. Wo sind nur all die Arbeiter? Ramseier winkt ab. «Rund 85 Leute arbeiten hier, das ist genug.» Wenn zu viele aufs Mal zu Werke gehen, gebe es Probleme mit den Abläufen. Auch auf der grössten Baustelle Luzerns gilt: Immer schön eins nach dem anderen. Dann kommt es gut. Hoffentlich.

 

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