Neues Luzerner Buch zur Geschichte der Sexualität

Die Akzeptanz sexueller Vielfalt ist keine Selbstverständlichkeit

Was sagt der Umgang mit Sexualität über unsere Gesellschaft aus? Diesen Fragen geht ein neues Buch nach.

(Bild: zvg)

Wie hat sich der Umgang mit der Sexualität in der Schweiz entwickelt und was sagt das über unsere Gesellschaft und die Politik aus? Diesen Fragen geht ein Buch nach, welches an der Hochschule Luzern erschienen ist. Eine zentrale Erkenntnis: Errungenschaften wie die sexuelle Freiheit sind alles andere als gesichert.

Sexuelle Übergriffe und sexuelle Selbstbestimmung sind in den letzten Monaten wieder stark ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Me-too-Bewegung oder die kontrovers diskutierten Aussagen von US-Präsident Donald Trump über Frauen sind nur zwei Beispiele. 

Nun erscheint ein Buch, das einen Einblick in die Geschichte der Sexualität und den Umgang der Gesellschaft mit ihr in der Schweiz eröffnet. Verantwortlich zeichnet sich der Verlag der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. 

Die sexuelle Gesundheit

Das Buch wurde im Auftrag von Daniel Kunz geschrieben. Kunz ist Dozent in der Abteilung soziale Arbeit der Hochschule Luzern und Experte für sexuelle Gesundheit. Dieser Fachbereich beschäftigt sich mit den sozialen und psychischen Komponenten der Sexualität.

«Sexuelle Gesundheit ist nur dann gewährleistet, wenn sexuelle Rechte anerkannt sind, wenn also alle Menschen unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Lebensform ihre Bedürfnisse leben können», erklärt Kunz.

Das Buch setzt bei diesem Punkt an. Verfasst haben es die Historikerinnen Brigitte Ruckstuhl und Elisabeth Ryter. In 15 Kapiteln beleuchten sie, unter welchen Umständen sich Phänomene wie sexuelle Selbstbestimmung, Onanie, Homosexualität, Prostitution, Schwangerschaftsabbruch oder Sexualaufklärung in der Schweiz entwickelten. Folglich trägt das Werk den Titel «Zwischen Verbot, Befreiung und Optimierung – Sexualität und Reproduktion in der Schweiz seit 1750». 

Die moderne Sexualität

Im Fokus des Interesses stehen Fragen, inwiefern unsere Gesellschaft in der Lage ist und war, politische und rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit alle Menschen ihre Sexualität frei ausleben können. Oder eben sexuell gesund sind. Die Legalisierung der Abtreibung, die Erfindung von Verhütungsmitteln und ihre Auswirkungen auf die weibliche Sexualität werden ebenso diskutiert wie die Rechte von Homosexuellen. 

«Mit Erstaunen musste ich feststellen, dass die Argumente die gleichen sind wie vor 100 Jahren.»

Daniel Kunz, Dozent Hochschule Luzern

Dass der Startpunkt der historischen Analyse in der Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt, ist kein Zufall. Denn im Zuge der Aufklärung und der sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft entwickelte sich auch der gesellschaftliche Diskurs über die Sexualität und den Umgang mit ihr. «Es bildeten sich Ansätze davon, was wir heute als das moderne Konstrukt von Sexualität betrachten», so die Autorinnen.

Überraschende Erkenntnisse

Obwohl Auftraggeber und Dozent Daniel Kunz seit 30 Jahren im Geschäft ist, hätten ihn einige der Erkenntnisse überrascht, wie er sagt. Insbesondere was den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema «Institutionelle Sexualaufklärung» betrifft. Also die Frage, ob es Aufgabe der Gesellschaft und somit auch der Schulen ist, die Kinder über Sexualität aufzuklären.

«Mit Erstaunen musste ich feststellen, dass die Argumente der Befürworter die gleichen sind wie vor hundert Jahren. Information und Bildung als Voraussetzung dafür, selbstbewusst und selbstbestimmt mit dem eigenen Körper umzugehen», so Kunz.

Gleich verhalte es sich mit den Aufklärungsgegnern. Auch sie würden heute dieselben Argumente ins Feld führen wie in den 1920er-Jahren. «Sie fürchten die Frühsexualisierung und den gesellschaftlichen Verfall», stellt Kunz fest.

Errungenschaften sind nicht in Stein gemeisselt

Ein wichtiges Fazit des Buches lautet, dass errungene Freiheits- und Schutzrechte im Bereich der Sexualität nicht in Stein gemeisselt sind, sondern von jeder neuen Generation geachtet und geschützt werden müssen. Dabei handelt es sich unter anderem um hart erkämpfte politische Rechte und die individuelle Selbstbestimmung, wie sie von den Emanzipationsbewegungen Ende des 19. Jahrhunderts gefordert wurden.

Die Frauen der Bewegungen der 1960er- und 1970er-Jahren hätten daran angeknüpft, erklärt Kunz. «Sie waren Wegbereiterinnen der Schwulen- und Lesbenbewegung und in neuerer Zeit der Trans- und Intermenschen, die eine Fremddefinition ihrer Körper auch nicht länger hinnehmen wollen.» 

Obwohl wir uns im Westen aufgeklärt fühlten und über so viele Informationen und Innenansichten zur Sexualität verfügten wie noch nie zuvor, sei die Toleranz und die Akzeptanz sexueller Vielfalt nicht einfach so gegeben. «Auch in unserer Gesellschaft gibt es traditionelle, religiös geprägte Milieus, in der Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die Wahlfreiheit der Lebens- und Liebesform immer noch in Frage gestellt werden», mahnt Kunz.

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