Kanton Zug sensibilisiert Firmen

Deshalb sollten Chefinnen über sexuelle Orientierung sprechen

Andrea Gurtner, Leiterin des Instituts New Work an der Berner Fachhochschule Wirtschaft, und Markus Trachsel von «du-bist-du» referierten am Donnerstag in Zug. (Bild: ida)

Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sollen in Firmen kein Tabu sein. Das sagen Menschen aus der LGBT-Community. Was soll das bringen? Und wo ist der Nutzen für die Firma? Um diese Fragen zu beantworten, lud der Kanton Zug diese Woche zum Lunch.

Als Chef geht es einen nichts an, ob ein Mitarbeiter schwul, eine Mitarbeiterin lesbisch ist. Das ist Privatsache – oder etwa nicht?

Viele Chefinnen werden sich diese Frage schon mal gestellt haben. Deswegen lud das Amt für Gesundheit des Kantons Zug am Donnerstag zu einem Business-Lunch. Um die dreissig Unternehmerinnen sowie Personal- und Ausbildungsverantwortliche diskutierten gemeinsam mit Olivier Favre von der Kinder- und Jugendgesundheit des Kantons sowie Andrea Gurtner und Markus Trachsel aus der LGBT-Community darüber.

Letztere haben eine klare Meinung: Sprechen Unternehmerinnen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität offen an, so fühlen sie sich wohler –was nicht zuletzt der Firma zugutekomme. Das gelte insbesondere für Jugendliche.

1. Damit struggeln (queere) Jugendliche

Jugendliche stehen beim Übergang ins Berufsleben vor vielen Herausforderungen. Der Körper verändert sich, die Hormone spielen verrückt, die Eltern werden kompliziert. In dem Alter kann zudem auch Mobbing unter Jugendlichen ein Thema sein.

Spürt dann ein Mädchen, dass es sich nicht wie die anderen zu Jungs hingezogen fühlt oder realisiert ein «Junge», dass er ein Mädchen ist, so sind diese Jugendlichen zusätzlich gefordert.

Zahlreiche Studien zeigen, dass LGBT-Jugendliche ein bis zu fünf Mal grösseres Risiko haben, depressiv zu werden oder suizidales Verhalten zu entwickeln (zentralplus berichtete).

2. Deshalb sollten sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in Firmen kein Tabu sein

Das zu wissen, ist wichtig. Denn in dem Alter, in dem Jugendliche sich mit der eigenen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität auseinandersetzen, steht der Wechsel vom Schul- ins Berufsleben bevor. Jugendliche verbringen mit dem Lehrstellenantritt einen grossen Teil ihres Tages bei ihrem Arbeitgeber.

«Queere Jugendliche gehen oftmals vergessen.»

Markus Trachsel, soziokultureller Animator «du-bist-du»

Homo- und Bisexuelle realisieren meistens im Alter zwischen 13 und 16 Jahren, dass sie von der «Norm» abweichen. Mit ungefähr 17 Jahren steht durchschnittlich das Outing bevor.

«Queere Jugendliche gehen oftmals vergessen», sagt Markus Trachsel. Er arbeitet als soziokultureller Animator bei «du-bist-du», einem Programm der sexuellen Gesundheit Zürich. Aus seiner Sicht müssen Arbeitgeber dafür sorgen, dass im Team niemand gemobbt oder diskriminiert wird – auch nicht wegen der sexuellen Orientierung.

Wie im Büro oder auf der Baustelle über die LGBT-Community gesprochen wird, kann Jugendliche entweder stärken, irritieren oder verletzen. «Für viele Jugendliche ist die Frage essenziell, wie die Chefin oder der Chef reagiert, wenn man sich outet», so Andrea Gurtner.

Viele würden zwar nicht damit «hausieren» gehen wollen, dass sie anders sind. Problematisch werde es jedoch, wenn Jugendliche sich nicht getrauen, sich zu outen. Weil sie Angst haben, abgelehnt oder gar diskriminiert zu werden – und deshalb quasi ein Versteckspiel spielen.

«Man muss immer aufpassen, was man sagt, was man über sich und seine Freizeit preisgibt, wie man sich kleidet.»

Andrea Gurtner, Leiterin Institut New Work Berner Fachhochschule Wirtschaft

«Es kann sehr belastend sein, wenn man das Gefühl hat, man müsse verstecken, wie man wirklich ist», so Gurtner. Sie selber arbeitet als Leiterin des Instituts New Work der Berner Fachhochschule Wirtschaft. «Man muss immer aufpassen, was man sagt, was man über sich und seine Freizeit preisgibt, wie man sich kleidet.»

Das Arbeitsleben sei schwierig, wenn man sich zum Beispiel ständig fragen müsse, ob der Regenbogenbändel am Schlüsselbund auch sicher in der Tasche versteckt ist. Die Frage, wofür man einsteht, könne belastend sein. Wie soll ich reagieren, wenn auf dem Büro ein Schwulenwitz gemacht wird? Lache ich mit? Stehe ich für Homosexuelle ein – um dann vielleicht direkt gefragt zu werden, ob ich selber schwul sei?

Das alles binde Energie, Spontanität, Freude und Kreativität – was sich nicht zuletzt auf die Leistung auswirke. Anders sei es, wenn LGBT-Jugendliche offen sagen können, wie sie fühlen. «Sie können sich viel besser einbringen und ihr Potenzial entfalten, wenn sie sich nicht verstellen oder verstecken müssen und Arbeitgeber ihnen ein Gefühl der Sicherheit geben», sagt Andrea Gurtner.

Also müssen Chefinnen herausfinden, ob jemand homosexuell ist? Das müsse nicht zwingend sein, findet Markus Trachsel. «Doch wenn das Klima gut ist, wird es so oder so passieren.» Andrea Gurtner pflichtet ihm bei: «Die Person outet sich, wenn sie es will.» Wichtig sei, entsprechende Botschaften zu senden: Indem sich Vorgesetzte positiv über Diversity-Themen äussern und so ein offenes Klima schaffen.

Hier gibt’s Unterstützung

Wähle die Nummer 143 der «Dargebotenen Hand», wenn es dir schlecht geht. Kostenlos rund um die Uhr wird dir auch über die Nummer 147 (Pro Juventute) geholfen.

Wenn du speziell Fragen zum Lesbisch-, Schwul-, Bisexuell- oder Transsein hast oder du dich unsicher fühlst, wer du bist, findest du spezifisch Hilfe bei du-bist-du. Hier finden auch Unternehmerinnen, Personalverantwortliche oder andere Menschen, die mit jungen Menschen zusammenarbeiten, Unterstützung.

3. So schaffen CEOs einen Safe Space

Aus der Chefetage müssen also klare Botschaften kommen. Äussert jemand einen schwulenfeindlichen Witz, sollten sie eingreifen und direkt sagen, dass sie solche Aussagen nicht tolerieren. Zudem kann in Unternehmensstatuten, Leitbildern oder Antidiskriminierungsrichtlinien festgehalten werden, dass keine Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung, Ethnie, Herkunft, Alter und Geschlecht geduldet werden.

Bereits kleine Massnahmen würden Grosses bewirken, sagt Markus Trachsel. Zum Beispiel, wenn im Büro Plakate hängen, die auf Angebote für queere Menschen aufmerksam machen – oder ein Regenbogensticker an der Wand hängt. «Die, die es sehen müssen, die sehens. Und das kann bereits ein Gefühl der Sicherheit, der Akzeptanz geben.»

Auch sprachlich können Verantwortliche ein Zeichen setzen. Gurtner und Trachsel sind beide vom Genderstern überzeugt. «Ob man genderinklusiv oder -neutral spricht – beides ist eine Botschaft», so Gurtner. «Nämlich ob und wie man darauf achtet, alle auch sprachlich einzuschliessen.»

Noch offensichtlicher können Firmen eine offene Haltung mit Zertifikaten oder Labels – wie dem Swiss LGBTI-Label – darlegen. Dieses Label zeichnet Firmen aus, die eine offene und inklusive Organisationskultur leben. Sie werden auf der Website platziert – wo es potenzielle neue Mitarbeitende sehen können.

Mitarbeitende, die selbst homo-, bisexuell oder trans sind und offen darüber sprechen und damit umgehen, können für Jugendliche eine Vorbildfunktion einnehmen. Wenn beispielsweise ein Verwaltungsrat offen erzählt, dass er mit seinem Partner wandern ging und das Team dies ganz natürlich annimmt, so bekommen Jugendlichen das Gefühl, dass das «Anders»sein ganz normal ist – und von der Firma toleriert wird.

«Direkt zu fragen, ob jemand homosexuell ist, kann in der heutigen Zeit noch komisch oder überfordernd sein.»

Markus Trachsel

Auch heterosexuelle Chefinnen können natürlich solche Statements setzen. Wenn sie beispielsweise erzählen, dass sie Feierenden der Pride in Zürich begegnet seien und sie diese Vielfalt wichtig und toll fänden.

4. So sprechen CEOs das Thema sexuelle Orientierung an

Jemanden direkt darauf ansprechen, ob er oder sie homosexuell ist, sollte ein Chef jedoch nicht. Denn: Es gibt viele Klischees und Vorurteile. Nur weil ein Mann eine feminine Art hat, muss er nicht schwul sein. Und eine Frau mit kurz geschnittenen Haaren ist nicht automatisch eine Lesbe.

«Direkt zu fragen, ob jemand homosexuell ist, kann in der heutigen Zeit noch komisch oder überfordernd sein», sagt Markus Trachsel. Viel besser sei es, das Thema «nebenbei» oder passiv zu platzieren – und immer im Kontext. Indem CEOs in einem Bewerbungsgespräch beispielsweise darauf aufmerksam machen, dass sie Sportangebote haben, psychologische Beratungen – und eben auch Netzwerke zum Beispiel für queere Menschen.

5. Die Wünsche aus der Community im Kopf haben

Sich mit Labels schmücken, ohne die Haltung wirklich auszuleben, nützt natürlich nicht. «Pinkwashing» nennt man es, wenn Menschen nur so tun, als ob sie die LGBTQ-Comunity unterstützen.

«Ich wünsche mir, dass alle queeren Menschen überall spontan von ihren Erlebnissen und ihren Liebsten erzählen können, ohne zuvor abwägen zu müssen, ob es in der Situation passt oder nicht, ob sie das dürfen oder nicht», sagt Andrea Gurtner. Markus Trachsel pflichtet ihr bei. «Und dass sich queere Menschen aufs Wesentliche bei der Arbeit konzentrieren können. Und sie nicht täglich auf dem Weg ins Büro Angst haben müssen, dass später wieder ein blöder Spruch kommt.»

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