Zuger Ausstellung irritiert und provoziert

Der Viertausender am Zugersee

Ein erkletterbares Matterhorn weilt am Zugersee. Der Kunstparcour «Herrliche Zeiten» feiert am Samstag Eröffnung. (Bild: wia )

14 Künstler lassen während der nächsten zwei Monate plätschern, singen und Berge erklimmen. Der Kunstparcour «Herrliche Zeiten» zeigt ausgefallene Kunstwerke und Performances zum Thema Urbanisierung. 

Ab Samstag hat Zug ein eigenes Matterhorn. Ein temporäres aus Holz. Dieses und 13 weitere Kunstwerke finden während der nächsten zwei Monate auf den Stadtzuger Plätzen eine Heimat. Dies im Rahmen der Ausstellung «Herrliche Zeiten – Zum Leben zwischen Häusern». Es ist eine Ausstellung, die irritiert und auch provoziert. 

Der Künstler Nicolas Kerksieck hat sich beispielsweise erlaubt, den Flanierenden am Seeufer die Sicht mit Schutzwänden zu stehlen. Vor drei Sitzbänken ist man statt den sanften Seewellen bloss einer weissen Fläche ausgeliefert. Diese Wände sollen laut Kerksieck als Projektionsfläche dienen – mit den weissen Flächen hat der Künstler einen Ort geschaffen, wo eigene Wünsche und mögliche Sehnsüchte Platz finden können. Die ersten Passanten reagieren auf die Umgestaltung, noch bevor die Wände fertig aufgestellt sind. Erste empörte Stimmen werden laut.

Mit Provokation und Humor

Doch nicht bloss mit Provokation, sondern auch mit Humor wird die Aufmerksamkeit der Passanten gewonnen. Auf der Seeseite der Rössliwiese ragt eine Strassenlampe in die Höhe. Grundsätzlich ein Objekt, das nicht auffällt. Nur, anstatt Licht zu spenden, regnet es aus der Leuchte heraus. Auf die Idee, dem Objekt eine grundlegend andere Funktion zu geben, reagieren die Spaziergänger belustigt.

So leicht wie Grafs Strassenlampe lässt sich jedoch nicht jedes Werk verdauen. Die Zuger Künstlerin Vreni Spieser verändert an der Zeughausgasse die architektonische Landschaft mit einer sogenannten «Nipa Hut», einer typisch philippinischen Hütte auf Stelzen. In dieser Hütte führt Spiesers philippinischer Partner Reparaturen aus – und nutzt diese Begegnungen gleich für Gespräche. Das Werk heisst «Going public» und ist das intimste, das Vreni Spieser je gezeigt hat. Sie ist entsprechend nervös. Spieser zeigt in «Going Public» viel ihrer eigenen Geschichte, ihrer nicht unkomplizierten Liebesbeziehung, von dem Ungleichgewicht, das in der Schweiz im Umgang mit Ausländern besteht. «Zug hat einen sehr grossen Ausländeranteil, viele davon sind Expats. Es sind gut verdienende Arbeiter, die gerne aufgenommen werden. Für meinen philippinischen Partner, der als Handwerker arbeitet, ist es hingegen sehr schwierig, in die Schweiz einzureisen. Ich zeige in meinem Kunstwerk darum auf dieses Ungleichgewicht hin», sagt Spieser.

«Hochhäuser alleine machen noch keine Stadt.»

Jacqueline Falk, Kulturbeauftragte Stadt Zug


Im Fokus der Ausstellung steht die Urbanisierung. Ein Begriff, der abstrakt klingt, doch leicht zu erklären ist. «Urbanisierung passiert, wenn ein Dorf zur Stadt wird oder wenn sich kleine Städte wie Zug in kurzer Zeit stark verändern. Und dennoch, Hochhäuser alleine machen noch keine Stadt», sagt Jacqueline Falk, Kulturbeauftragte der Stadt Zug. «Viel eher als um den gebauten Raum geht es bei der Urbanisierung um den sozialen Raum.

Wo begegnen sich Menschen? Wo wird diskutiert?», ergänzt die Urbanistin und ehemalige Kuratorin verschiedener Zuger Ausstellungen Carole Kambli. Eine mögliche Antwort auf diese Fragen liefert Jacqueline Falk. «Wenn zu viele Regeln bestehen, ist urbanes Leben kaum möglich. Wenn ich mich also auf einem Platz nicht frei bewegen kann: Nicht essen, nicht sitzen und nicht spielen darf, werden bereits viele Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen.» Und öffentlicher Raum dürfe nicht homogen sein. So sollen auch Konflikte erlaubt werden.  

Zug im Spagat

Urbanisierung ist in jeder Stadt Thema, Zug jedoch eigne sich besonders für eine derartige Ausstellung – denn Zug macht einen Spagat zwischen dörflicher Eintracht und Weltmetropole. Letzteres insbesondere wegen der grossen Bedeutung, die Zug für die Weltwirtschaft hat. Jacqueline Falk gibt zudem zu bedenken: «Es ist eng in Zug. Der Boden ist so teuer, dass man es sich nicht leisten kann, ihn brachliegen zu lassen.»

Die Ausstellung «Herrliche Zeiten» will nicht werten. Vielmehr wird eine Momentaufnahme geschaffen von der Situation, wie sie heute auf Zuger Plätzen anzutreffen ist. Es geht darum, wie einander begegnet wird. Welchen Einfluss dabei die Kunstwerke und Performances auf den Betrachter haben und welche Reaktionen sie hervorrufen. Dies sind die Fragen, welche die Ausstellenden und Projektleiter beschäftigt. Dass sich die Leute provoziert fühlen, sei nicht nur möglich, sondern gar erwünscht, sagt die Kuratorin Vera Egloff. «Auf Beschwerdeanrufe sind wir gefasst.»

«Das Schlimmste, was passieren könnte», so die Urbanistin Carole Kambli, «ist, wenn wir gar keine Rückmeldungen erhalten.» Das ist in diesem Falle jedoch unwahrscheinlich, provozieren einige der Kunstwerke doch sehr bewusst. Die Kuratorinnen Vera Egloff und Jacqueline Falk äussern einen klaren Wunsch, was sie sich für die Ausstellung «Herrliche Zeiten» erhoffen. «Jeder Zuger, jeder Passant soll Lust kriegen, seine eigene Stadt mitzugestalten», sagen sie einhellig. 

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