Sekundärer Arbeitsmarkt Kanton Luzern

Der Spagat zwischen sozialem und wirtschaftlichem Auftrag

Die Gärtnerei der Stiftung Brändi in Baldegg. (Bild: cha)

Sie beschäftigen Menschen, die im Erwerbsleben schlechte Aussichten auf eine Anstellung haben. Soziale Institutionen, wie die Stiftung Brändi oder die IG Arbeit gehören zu den grössten Arbeitgebern im sekundären Arbeitsmarkt im Kanton Luzern. In erster Linie sozial ausgerichtet, sind aber auch diese Organisationen dem Spardruck ausgesetzt. Eine Gratwanderung zwischen dem sozialen und wirtschaftlichen Auftrag.

Im Kanton Luzern sind rund 215’000 Einwohner im Erwerbsleben – also dem ersten Arbeitsmarkt – tätig. Das entspricht 80 Prozent der Gesamtbevölkerung des Zentralschweizer Kantons. Und die Quote steigt seit dem Jahr 2000 kontinuierlich leicht an. Die restlichen 20 Prozent setzen sich aus Arbeitslosen und Menschen zusammen, die am Arbeitsplatz Unterstützung brauchen. Dies trifft auf knapp 14’000 Menschen zu, die somit den sekundären Arbeitsmarkt besetzen.

Für diese 13’540 Teilnehmer sind Organisationen wie die IG Arbeit, die Stiftung Brändi oder die Caritas unabdingbar. Es sind Unternehmen, die sich einem sozialen Auftrag in der Gesellschaft verschrieben haben. Und doch spielt deren Wirtschaftlichkeit eine gewichtige Rolle – insbesondere im Hinblick auf das geplante Sparpaket des Regierungsrates.

Brändi: Vorwiegend geistig und körperlich Behinderte

Die Stiftung Brändi ist mit 1700 Beschäftigten einer der grössten Arbeitgeber im Kanton Luzern. In 16 Unternehmen an neun Standorten arbeiten und wohnen vorwiegend Menschen mit geistigen Behinderungen, Körperbehinderungen und mit psychischen Beeinträchtigungen. Das Angebot umfasst zehn AWB-Unternehmen (Arbeit-Ausbildung-Weiterbildung-Begleitung) zwei Gärtnereien und Wohnhäuser. Mit den verkauften Produkten erreicht die Stiftung einen Eigenfinanzierungsgrad von 48 Prozent.

Bei der Stiftung Brändi werden Ausbildungplätze und geschützte Arbeitsplätze angeboten. Momentan seien rund 200 Menschen mit Behinderung bei der Stiftung in Ausbildung, erklärt Roger Aeschlimann, Leiter Kommunikation bei der Stiftung Brändi. «Gerade schlossen 61 Lernende ihre Lehre erfolgreich ab – fünf davon mit Ehrenmeldung. Die EBA- und EFZ-Ausbildung in unseren Betrieben folgt immer dem Ziel, künftig im primären Arbeitsmarkt zu arbeiten», eklärt Roger Aeschlimann. Um die Menschen schrittweise zu integrieren, würden diese Praktika absolvieren. (EBA: Zweijährige berufliche Grundausbildung; EFZ: Drei- bis vierjährige Grundbildung)

1070 Arbeitsplätze in AWB-Unternehmen

In den produzierenden AWB-Unternehmen sind permanent über 150 Beeinträchtigte in Ausbildung. Insgesamt bietet diese Sparte 1070 Arbeitsplätze. Eines dieser Unternehmen ist das AWB Rösslimatt in der Stadt Luzern. «Hier im Rösslimatt erledigen Menschen in geschützten Arbeitsplätzen oder in Ausbildung hauptsächlich kaufmännische Arbeiten, erklärt Daniel Mösch, Stellvertretender Leiter vom AWB Rösslimatt.

Im Gebäude sind ein «Lettershop», die Konstruktion, ein Warenhaus inklusive Versand und weitere kaufmännische Dienstleistungsangeboten integriert. Abteilungsleiter Christof Heer erklärt: «Hier verarbeiten und versenden wir Rechnungen, beispielsweise für das Luzerner Unternehmen ‹Mobility›, falzen Broschüren, stellen Ordner für die Suva zusammen und erstellen virtuelle Pläne in der Konstruktion.» Ausserdem werde im internen Warenhaus der gesamte Versand der eigenen «Brändi-Shop» Produkte sowie solche von externen Unternehmen abgewickelt.

In Baldegg, unmittelbar bei der Kantonsschule Seetal, pachtet die Stiftung Brändi eine Gärtnerei. Der «Bio Suisse» zertifizierte Betrieb umfasst fünf Hektaren Land. «Hier stellen wir 34 Arbeitsplätze zur Verfügung, die grösstenteils durch Menschen mit psychischen Behinderungen besetzt sind», so Andrea Schuler, Leiterin der Klostergärtnerei Baldegg. Produziert würden Zierpflanzen, Gemüse und sogenannte «Bodendecker». «Wir beliefern mit unseren Produkten das Kloster Baldegg, die drei Restaurants der Stiftung Brändi, das China-Restaurant ‹Jialu› in Hochdorf und nahe gelegene Wohnhäuser.»

IG Arbeit: 350 Mitarbeiter

Die IG Arbeit – ein privater Verein – setzt sich seit 30 Jahren für Menschen mit vorwiegend psychischen Beeinträchtigungen ein. 350 beeinträchtigte Mitarbeitende sind bei der IG Arbeit in verschiedenen Arbeits- und Einsatzprogrammen tätig. Es ist jene Zielgruppe, die am schwersten zu vermitteln sei, erklärt Geschäftsführer Marc Pfister. «Die Psyche eines Menschen ist unberechenbar. Bei Menschen mit einer Depression ist es schwierig, eine konstante Arbeitsleistung – besonders im primären Arbeitsmarkt – zu erreichen.» Es sei daher wichtig, dass das Arbeitsumfeld, ob im ersten oder zweiten Arbeitsmarkt, mit diesen Leistungsschwankungen umzugehen wisse. «Nur so kann die Leistungsfähigkeit erhalten und gezielt gesteigert werden.»

Um eben diesen Menschen Beschäftigung und Unterstützung zu bieten, bietet die IG Arbeit ein vielfältiges und flexibles Dienstleistungsangebot. Nebst Coachings und Abklärungen ist die IG Arbeit in den Dienstleistungssparten Gastronomie, Büro und Handwerk tätig. «Unser Angebot umfasst geschützte Arbeitsplätze, marktnahe Arbeitsplätze in unseren eigenen Sozialfirmen sowie Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt. Zudem bieten wir Eingliederungsmassnahmen, welche Abklärungen und Ausbildungen einschliessen», erklärt Pfister. Entsprechend der Zielsetzung werde ein massgeschneidertes Angebot zusammengestellt. «Anschliessend werden die Mitarbeitenden in einem für sie geeigneten produktiven Arbeitsumfeld eingesetzt.» Die Mitarbeitenden würden dabei als Arbeitnehmende mit Arbeitsvertrag eingestellt und entlöhnt.

Grünabfuhr mit Pferd und Wagen

Zu den Dienstleistungen zählt der Unterhalt des Seminarhauses Bruchmatt, die Belieferung diverser Mensas mit frischen Lebensmitteln, sowie auch handwerkliche Arbeiten. Auch eine Ausbildung EBA/EFZ in den verschiedenen Branchen ist bei der IG Arbeit möglich. «Wir sind immer auf der Suche nach neuen Produkten. Zu unseren neusten Dienstleistungen zählen das Shopping-Taxi und das Recycling-Taxi – oder auch das Seminarhaus Bruchmatt», so Pfister weiter. Aber auch bestehende Angebote würden ausgebaut. So habe die Stadt der IG Arbeit die Grünabfuhr in Auftrag gegeben. «Bedingung ist, dass wir diese Arbeit mit Pferd und Wagen erledigen.»

Dass das Geld auch bei sozial ausgerichteten Organisationen wichtig ist, zeigt sich bei der Betreuung. Marc Pfister erklärt: «70 Prozent der Kosten bringen wir für qualifizierte Fachpersonen auf. Insbesondere bei Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ist eine hohe Betreuungsqualität wichtig, was folglich seinen Preis hat.» Das Jahresbudget der IG Arbeit beträgt rund zwölf Millionen Franken. «Mit unseren Produkten und Dienstleistungen erreichen wir einen Eigenfinanzierungsgrad von nahezu 60 Prozent», sagt Pfister. Ziel sei es, diesen weitern zu erhöhen, sagt Marc Pfister. «Einerseits durch laufende Optimierung der Produktionsabläufe aber auch durch gezielte Auftragsakquisition.»

Hilfswerk für Asylsuchende und Arbeitslose

Bei der Caritas stehen weniger Menschen mit Behinderungen sondern vielmehr Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Flüchtlinge im Fokus. Im Kanton Luzern ist das Hilfswerk an fünf Standorten vertreten. «Insgesamt bieten wir 360 Einsatzplätze an», erklärt Karl Kirschbaum, Kommunikationsverantwortlicher der Caritas. Die Caritas betreibt im Kanton zwei «Caritas-Märkte» mit vergünstigten Lebensmitteln, drei «Caritas Wohnen» Läden, sowie ein Näh- und Kreativatelier. Ausserdem führt die Caritas Bildungs- und Beschäftigungsprogramme durch.

«Die Bildungsangebote ermöglichen den Teilnehmenden, sich vertieft mit ihrer Situation als Stellensuchende auseinander zu setzen, ihre persönlichen und fachlichen Kompetenzen besser kennen zu lernen und zu erweitern», erklärt Kirschbaum. Eine weitere Zielsetzung der Bildungs- und Qualifizierungsangebote sei die gezielte Förderung von Schlüsselqualifikationen, die in der heutigen Arbeitswelt unabdingbar seien, so Karl Kirschbaum weiter.

Zu den Tätigkeiten präzisiert der Caritas-Sprecher: «Die Teilnehmenden sind grösstenteils gering qualifiziert. Entsprechend sind die Einsatzplätze und die Bildung ausgelegt.» Dabei könnten auch qualifizierten Personen adäquate Arbeiten angeboten werden. Die Arbeiten orientierten sich stark am ersten Arbeitsmarkt, so Kirschbaum und erklärt weiter: «Die Tätigkeiten sind in den Sparten Verkauf, Gastronomie, Hauswirtschaft, Lager, Transport oder auch Schreinerei angesiedelt.

Bei der Caritas steht der Sprung vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt im Vordergrund. «Wir vermitteln während der Anstellungsdauer im Schnitt 35 Prozent in den ersten Arbeitsmarkt», so Kirschbaum. Eine weitere Anzahl von Erwerbslosen fände kurz nach Programmende eine Stelle.

Momentan blicken die Institutionen in eine ungewisse Zukunft. Der Luzerner Regierungsrat plant Einsparungen und Kürzungen von Leistungsvereinbarungen im «SEG-Bereich» (siehe Box).

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Mistermarch
    Mistermarch, 11.08.2014, 17:34 Uhr

    Ich habe grossen Respekt für all die Freiwilligen, die sich unentgeltlich für die Belange der schweizweit über 20 Caritas-Märkte einsetzen. Ladenleiter/Innen – am Beispiel der portraitierten Rita Borner – machen ihren Job mit vollstem Herzblut. Die Caritas-Märkte bieten Tausenden von Menschen neben dem „gewöhnlichen“ Einkauf auch die Möglichkeit des sozialen Austausches. Ein wirklich gelungenes Projekt der Caritas. Umso irritierender ist dagegen, dass Caritas rund um die Besetzung des Geschäftsführerpostens von Caritas-Markt ihre eigen Personalpolitik ignoriert.

    Mitarbeiter werden bei der Nonprofit-Organisation eigentlich mit dem ordentlichen Rentenalter von 65 Jahren pensioniert. Weil der aktuelle Gesamtleiter der Genossenschaft Caritas-Markt Schweiz das ordentliche Rentenalter schon deutlich überschritten hat, wurde eine spezielle vertragliche Einigung gefunden, um das Engagement weiterzuführen. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass pensionierte Menschen ihr wertvolles Wissen an jüngere Kollegen weitergeben im Gegenteil. Dies könnte doch in bester Caritas-Manier auch unentgeltlich geschehen und Caritas-Markt könnte dadurch für einen unter 65 Jährigen eine zusätzliche Stelle anbieten, was eigentlich im Sinne einer Nonprofit-Organisation sein müsste.

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