Luzerner Künstlerin Ursula Stalder inszeniert Strandgut

Der Plastikmüll der Weltmeere landet in ihrem Archiv

Künstlerin Ursula Stalder verarbeitet ihre Strandfunde zu Objekten – hier zu einem Mantel. (Bild: jwy)

Die Künstlerin Ursula Stalder ist seit 27 Jahren an den Stränden dieser Welt unterwegs. Aber anstatt aufs Meer ist ihr Blick zu Boden gerichtet. Immer auf der Suche nach neuen angespülten Gegenständen. Ein Querschnitt ist nun in Luzern zu sehen.

1992 kehrte Ursula Stalder mit drei Plastiksäcken voller Strandgut von den kanarischen Inseln zurück – es war der Anfang eines Projekts, das seit 27 Jahren fortbesteht: Die international bekannte Luzerner Künstlerin hat eine gigantische Sammlung aus Dingen von Stränden rund um den Globus zusammengetragen. Etwa 250 Zügelkisten stapeln sich in ihrem Lager.

Heute, wo Plastikmüll und verschmutzte Meere allgegenwärtig sind, erhält Stalders Arbeit eine neue Dringlichkeit. 25 Jahre, nachdem sie im Museum für Gestaltung in Zürich die Ausstellung «Gestrandet» zeigte, präsentiert die Künstlerin in Luzern einen Querschnitt durch ihren gesammelten, archivierten und geordneten Müll (siehe Box).

Dinge bergen ein Geheimnis

Ihr helles Wohnatelier an der Neustadtstrasse lädt zum Stöbern ein: Tierschädel, Vögel im Teer, verbleichter Plastik oder Reste von Schuhsohlen liegen in Reih und Glied oder hängen geordnet als Gemälde an der Wand. Alles Zeugen, die sie Schritt für Schritt von den Küsten dieser Welt eingesammelt hat.

«Dinge, die eine Sprache haben, die bei ihr anklingen, eine Resonanz finden», heisst es in der Publikation zur Ausstellung.

Ursula Stalder vor einem Gemälde, auf dem sie ihre gefundenen Objekte angeordnet hat. (Bild: jwy)

zentralplus: Ursula Stalder, haben Sie noch einen Überblick über Ihren Fundus?

Ursula Stalder: Ja, aber ich bin nicht stolz auf die Menge. Ich möchte das Lager nicht mehr vergrössern, sondern eher verdichten. Hier im Atelier habe ich nur die Objekte, an denen ich aktuell arbeite. Es ist ein Wohnatelier, wobei der Arbeitsraum grösser ist als der Wohnraum (lacht).

«Meine Faszination ging von Anfang an vom Plastik aus.»

zentralplus: Als Sie begonnen haben, war der Plastik in den Meeren noch kaum ein Thema …

Stalder: … es wäre ein Thema gewesen, aber man konnte es noch unter den Teppich wischen. Inzwischen ist das Problem so happig geworden. Es ist unglaublich, wie sie in Europa angefangen haben, Strandgut am Meer einzusammeln. Ich war im Januar wieder in Südengland und die Strände sind viel sauberer geworden. Früher sammelten sie einmal pro Winter in einer Grossaktion ein, heute einmal im Monat.

zentralplus: Sie haben 1992 also eine Entwicklung vorweggenommen?

Stalder: Organisationen wie Greenpeace haben das damals ja auch schon gemacht. Aber meine Faszination ging von Anfang an vom Plastik aus, das Material ist mir an den Küsten am häufigsten begegnet. Ich war fasziniert von der Kreativität der Natur, was diese mit dem Plastik alles anstellt. Manchmal ist es Feuer, manchmal Reibung, das Licht …

Ausstellung in der Kornschütte
«Gestrandet, geordnet, archiviert – Eine Zeitreise durch das Sammlungsarchiv der Künstlerin Ursula Stalder»: 14. August bis 8. September, Kornschütte Luzern. Vernissage: Mittwoch, 14. August, 17 Uhr mit Stadtpräsident Beat Züsli und Martin Heller, der 1994 im Museum für Gestaltung ihre Ausstellung «Gestrandet» kuratierte. Zur Ausstellung gibt es eine Publikation der Künstlerin mit bisherigen Arbeiten und Ausstellungen. Zugleich ist bis 20. Oktober noch ihre Ausstellung «Nachlese – die Poesie des Gefundenen» (mit Gaudenz Danuser und Fredy Studer) im Gelben Haus Flims zu sehen.

zentralplus: Wollen Sie mit Ihrer Kunst aufrütteln?

Stalder: Es ist nicht so, dass mir die Verschmutzung gleichgültig wäre. Aber man kann bei einem Problem mit dem Finger auf das Hässliche zeigen. Oder man kann das Schöne im Ganzen sehen – das war immer mein Ansatz. Man muss diese Problematik von allen Seiten angehen, es braucht auch Kreativität, wie wir in Zukunft mit dieser unglaublichen Menge Abfall umgehen wollen. Das Wichtigste ist, dass wir es nicht auf die Seite räumen, sondern sichtbar machen.

zentralplus: Haben Sie erwartet, dass aus Ihrer Tätigkeit ein Langzeitprojekt von fast 30 Jahren würde?

Stalder: Nein, überhaupt nicht. Es hat einfach immer ein riesiger «Gwunder» darin gesteckt. In der Ausstellung «Gestrandet» 1994 waren es Gegenstände von 29 Stränden. Inzwischen ist es zu einem Archiv angewachsen. Ich habe angefangen, mit den Objekten zu arbeiten, und sie zum Beispiel zu Skulpturen und Collagen verarbeitet. Aber es war mir immer wichtig, dass die Objekte als das sichtbar bleiben, was sie sind.

Nur einen kleinen Teil der unzähligen Funde hat Ursula Stalder in ihrem Atelier. (Bild: jwy)

zentralplus: Sie graben Objekte aus, datieren und archivieren sie. Sehen Sie sich als Archäologin?

Stalder: Am Anfang wurde ich das viel gefragt – es gibt in der Kunst den Begriff der Jetztzeit-Archäologie. Im Vorgang gibt es viele Parallelen: Ich habe ein Archiv, das ich beschrifte, und ich habe Ordnung. Aber es gibt einen grundlegenden Unterschied: Ich nummeriere und notiere nicht jedes Objekt. Ich wäre sonst nur noch damit beschäftigt. Mein Archiv ist in einem stetigen Wandel und ich kombiniere Objekte von verschiedenen Orten.

«Wenn ich am Strand das Kleine suche, stolpere ich über grosse Sachen.»

zentralplus: Zum Beispiel kleben Sie Ihre Funde zu Bildern.

Stalder: Ja, wenn ich Kompositionen mache, kommt das nie mehr ins Archiv, sondern hängt vielleicht in einem Wohnzimmer. Es war ein langer Prozess, bis ich mich dazu entschied, die Sachen aufzuleimen. Auf diese Weise kann ich sie in die Gesellschaft zurückbringen.

Installation «Dingsbums» mit schwarzen Objekten aus der Sammlung von Ursula Stalder:

zentralplus: Einen Strand in Piräus in der Nähe von Athen haben Sie immer wieder besucht. Wieso?

Stalder: Ja, ich weilte schon vor 20 Jahren dort und besuche Piräus seither mit grosser Regelmässigkeit. Rundherum wurde alles zubetoniert und der Strand ist im Lauf der Zeit immer kleiner geworden. Ich bin vielleicht vier Tage beschäftigt, um ihn zu «strählen». Zwei Monate später könnte ich wiederkommen, es ist erstaunlich, was da im Winter alles angespült wird.

«Ich habe noch nicht das Gefühl, dass ich aufhören werde.»

zentralplus: Ist das Suchen am Strand für Sie auch eine Sehschule?

Stalder: Wir meinen ja immer, alle sähen das Gleiche, wenn wir etwas betrachten – aber das ist ganz sicher nicht so. Man hat Vorlieben für Farben, Formen und jeder sieht eine andere Wirklichkeit. Wenn ich am Strand das Kleine suche, stolpere ich über grosse Sachen. Es lohnt sich, an Orten mehrere Male durchzugehen.

Aktuelle Ausstellung «Nachlese – Die Poesie des Gefundenen» mit Ursula Stalder in Flims. (Bild: Emanuel Ammon/Aura)

zentralplus: Wie haben Sie die Ausstellung in der Kornschütte geplant?

Stalder (zeigt auf einen grossen Plan): Ich bin da ganz altmodisch. Mir ist wichtig, dass die Kornschütte als Raum stimmt. Als gelernte Hochbauzeichnerin kann ich sagen, was das bedeutet. Es gibt viele Beispiele, wie Räume überfüllt werden. Oder die Objekte gehen im Raum verloren.

zentralplus: Werden Sie weiterhin an Stränden unterwegs sein?

Stalder: Ja klar. Kürzlich war ich mit einer Luzerner Künstlergruppe auf Einladung der Galeristin Evelyne Walker in Kuba. Auch dort hat es Strandgut und sehr viel Plastik. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich aufhören werde. Auch wenn mir Leute sagen: Du hast doch jetzt mehr als genug. Aber das gehört nun mal zum Wesen meiner Arbeit.

zentralplus: Welcher Strand liegt Ihnen besonders am Herzen?

Stalder: Drei besuche ich ziemlich regelmässig: Die Lagune von Venedig, die ich sehr gut kenne, Piräus und Südengland. Im Moment besuche ich im Winter am häufigsten Piräus.

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