SP-Migrant hat sich im «Caramelköpfli» eingelebt

Der Pionier im Emmer Gemeinderat will zur Konstante werden

Brahim Aakti vor dem «Caramelköpfli» in Emmen. (Bild: les)

Brahim Aakti kam 1992 in die Schweiz, wurde 1994 Schweizer und schaffte 2018 den Sprung in den Emmer Gemeinderat. Der 38-Jährige hätte erwartet, dass sein Alter in seinem neuen Job eher Thema würde als sein Migrationshintergrund. Aakti fühlt sich wohl und will seinen Sitz im Frühling verteidigen.

Wie vor vier Jahren treten in der Gemeinde Emmen alle amtierenden Gemeinderäte wieder an. Während es damals stille Wahlen gab, ist die Ausgangslage 2020 grundlegend anders.

Drei der fünf Gemeinderatsmitglieder gaben während der Legislatur ihren Rücktritt. Bei einer Doppelvakanz im September 2018 flog die SVP aus dem Gemeinderat. Der mittlerweile abgewählte Nationalrat Felix Müri konnte den Sitz von Urs Dickerhof nicht verteidigen. 51 Stimmen fehlten ihm auf SP-Mann Brahim Aakti, der den SP-Sitz von Susanne Truttmann verteidigen konnte. Zeitgleich wurde Patrik Schnellmann von der CVP gewählt.

Eigentlich war es also die CVP, die einen Sitz auf Kosten der SVP eroberte. Dennoch rückte Brahim Aakti in den medialen Blickpunkt. «Emmen war eine Einbürgerungshölle»: Jetzt hat ein Migrant einen SVP-Nationalrat besiegt», titelte «Watson» und berichtete landesweit über Aaktis Triumph.

Berechtigte Fragen

zentralplus trifft den eingebürgerten Marokkaner in seinem grossräumigen Büro im «Caramelköpfli». So nennen sie in Emmen das braune Gebäude vis-à-vis des «Schoggiturms», dem Hauptsitz der Emmer Verwaltung. Aakti bietet sofort das «Du» an. Die Gemeinde Emmen setzt konsequent auf eine Du-Kultur. «Ich sehe keine Vorteile beim Siezen von Leuten, mit denen ich täglich zusammenarbeite», sagt er. Das Duzen beeinflusse die Gesprächskultur positiv.

«Mir sieht man meinen Hintergrund offensichtlich an.»

Brahim Aakti

Aakti ist 1981 in Marokko geboren und kam 1992 in die Schweiz. Sein Vater war schon in den 70er-Jahren als Zirkusarbeiter in die Schweiz gekommen. Ein Einwanderer erster Generation also – kein Secondo. Als «überhaupt nicht normal» bezeichnet Aakti denn auch seinen raschen Einstieg in die Politik. Erst war er in Kriens im Einwohnerrat, ab 2016 in Emmen. «Dass ich mich für das Amt als Gemeinderat zur Verfügung stelle, war für viele nicht selbstverständlich», sagt der mit einer Schweizerin verheiratete Vater von zwei Söhnen (1- und 3-jährig).

«Mir sieht man meinen Hintergrund offensichtlich an», sagt er. «Ich weiss, dass sich einige gefragt haben, ob ich überhaupt Deutsch kann.» Er empfindet solche Fragen jedoch nicht als diskriminierend, sondern als berechtigt. «Wenn ich am Fusse des Pilatus mit einem vermeintlichen Inder ein Gespräch beginne, spreche ich automatisch Englisch, auch wenn er vielleicht perfekt Schweizerdeutsch sprechen würde», macht Aakti ein Beispiel. Kein Problem also.

Schweizerpass nicht als Abschluss der Integration

Auch in der Verwaltung sei er vom ersten Moment an akzeptiert worden. «Ich spürte nie eine Barriere», sagt Aakti. Sowieso: «Ich hatte viel mehr Vorbehalte, dass man als junger Vorgesetzter akzeptiert wird», so der 38-Jährige. Bevor ein neuer Lernender in der Bildungsdirektion startete, sei er gar der Jüngste im Team gewesen. «Deswegen hätte ich mehr Gegenwind erwartet», gibt er offen zu.

Die Teilhabe am politischen Leben sei ein wichtiger Bestandteil der Integration, ist Aakti überzeugt. Deshalb verfolgt er auch die Debatte um das Stimmrecht für Ausländer gespannt. «Gerade in der Schweiz, wo die direkte Demokratie so stark gelebt wird und im Alltag der Menschen eine Rolle spielt, ist es unverständlich, dass man nicht teilhaben kann.» 

Er teilt die Meinung überhaupt nicht, dass der Erhalt des Schweizerpasses einen Abschluss des Integrationsprozesses darstellen soll. «Solange man von der politischen Teilhabe ausgeschlossen ist, kann man gar nicht richtig integriert sein», sagt Aakti, der den Pass 1994 erhielt. Er sieht es als richtigen Weg an, auf kommunaler Ebene mit dem Stimmrecht für Ausländer zu starten. Über 600 Gemeinden würden dies in der Schweiz schon praktizieren. «Auf Gemeindeebene geht es um Alltägliches. Beim Bau eines neuen Schulhauses sollen alle mitreden können», sagt er.

Der Maschinenbauer in der Verwaltung

Zurück zu Aaktis Alltag: Seit eineinhalb Jahren steht er nun der Direktion Schule und Kultur vor. Ein Jahr habe es gedauert, bis er wirklich im Amt angekommen sei. «Man muss alle Prozesse einmal durchmachen. Die Budgetprozesse, die Fixpunkte während des Schuljahres oder Rituale wie die Verleihung eines Kulturpreises.» Diese «Probezeit» sei jetzt aber vorbei. Aber man könne sowieso nicht als neuer Chef kommen und plötzlich alles verändern wollen. «Es braucht Kontinuität. Und die Leute machten auch bis anhin einen sehr guten Job», erklärt er.

«Ob ich mich nun mit dem Auslegen einer Turbine oder mit der Anschaffung von digitalen Wandtafeln befasse, der Ablauf ist immer derselbe.»

Aakti machte einst eine Lehre bei Schindler, schloss später ein FH- und ETH-Studium in Maschinenbau ab. «Es wäre gelogen zu sagen, ich vermisse es gar nicht», sagt er. Die Ergebnisse seiner Arbeit seien früher besser sichtbar gewesen.

Seine Maschinen-Bauer-Denkweise sei jedoch noch immer gefragt. «Ob ich mich nun mit dem Auslegen einer Turbine oder mit der Anschaffung von digitalen Wandtafeln befasse, der Ablauf ist immer derselbe.» Die Stichworte Zeitplan, Budget, Kickoff oder Koordinationssitzungen könne man auch auf die Verwaltung übertragen.

Aakti wünscht sich Konkordanz

Dies gelte auch für den anstehenden Wahlkampf. «Mir wäre es lieber, es wäre nicht so spannend», sagt Aakti zur Ausgangslage für Ende März. Nebst der SVP werden wohl auch die Grünen in den Ring steigen. Aakti folgert: «Es sind echte Wahlen und man muss davon ausgehen, dass es einen zweiten Wahlgang gibt.» Sein Sitz sei nicht in Stein gemeisselt, sagt er. Aber so seien die politischen Spielregeln. «Ich wusste, dass ich mein Mandat erst einmal für anderthalb Jahre auf sicher habe.»

Von links: Patrick Vogel (Gemeindeschreiber), Brahim Aakti (SP), Josef Schmidli (CVP), Gemeindepräsidentin Ramona Gut-Rogger (FDP), Patrick Schnellmann (CVP), Thomas Lehmann (FDP) und Michael Kost (Gemeindeschreiber Stv.). (Bild: zvg)

Im Gremium harmoniere man gut. «Wir sehen uns als Team, unterstützen uns gegenseitig und haben eine gute Gesprächskultur.»

Und dennoch sprach sich Aakti vor seiner Wahl für die SVP und Felix Müri im Gemeinderat aus. Er fände es gut, wenn alle politischen Kräfte im Gemeinderat vertreten wären. «Nicht vorbehaltlos, denn man sollte den Parteien keinen Freipass geben», hält er fest. Aber «eigentlich wünschenswert».

Es wird eine der spannendsten Fragen der Emmer Gemeinderatswahlen sein. «Kontinuität versus Konkordanz», fasst Aakti zusammen. Er ist ganz froh, dies nicht alleine entscheiden zu müssen. Auch wenn der Pionier gerne zur Konstante werden würde.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Huber Paul
    Huber Paul, 28.01.2020, 16:38 Uhr

    Dieser Mann verdient eine Wiederwahl; im Frieden mit sich und der Gesellschaft, und aussserdem gescheit, kritisch und engagiert. Ein Gewinn für meine Heimatgemeide!!

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