Politik, Gesellschaft und Medien müssen schleunigst umdenken
Das Medienangebot in der Zentralschweiz wird erneut kleiner. (Bild: Unsplash/Roman Kraft)
«Pilatus Today» ist seit Dienstagvormittag Geschichte. Es ist der nächsteVerlust für die Zentralschweizer Medienszene. Dabei wird eines immer klarer: Es braucht dringend einen Wandel. Ein Kommentar.
Am Dienstagvormittag erreichte die Zentralschweizer Medienszene die neueste Hiobsbotschaft. Die Onlinenachrichtenplattform «Pilatus Today» ist weg – zusammen mit ihren Schwesterportalen in anderen Teilen der Deutschschweiz. CH Media hat den Plattformen per sofort den Stecker gezogen. Der Grund: nicht rentabel (zentralplus berichtete).
Als Erstes gilt es zu sagen: Dass der Verlag die «Today»-Plattformen nicht kostendeckend führen konnte, ist keine Überraschung.
Viel eher war es überraschend, mit welcher Geschwindigkeit das Aargauer Medienhaus die Portale in den vergangenen Jahren aufzog. An sechs Standorten in der Deutschschweiz kostenlose Nachrichten anzubieten, während parallel dazu die verlagseigenen Zeitungen mit sinkenden Abo- und Werbeerlösen zu kämpfen haben, war – um es zurückhaltend auszudrücken – ein fragwürdiger Entscheid der Verlegerfamilie Wanner.
Nicht wenige Journalisten bei CH Media waren damals erstaunt ob dieser Strategie. Man kannibalisiere sich damit, die «Today»-Portale würden die eigenen Geschichten beispielsweise der «Luzerner Zeitung» übernehmen und den Lesern gratis anbieten, hiess es intern.
Rotstift bei CH Media und SRF
Auch wenn das inhaltliche Angebot von «Pilatus Today» und Co. die vergangenen Jahre abnahm: Das Aus ist trotzdem schmerzhaft. Denn jede Einstellung eines Medientitels ist ein Verlust für die Medienvielfalt. Gerade in der Zentralschweiz ist es nicht gut um sie bestellt. Der grösste Titel, die «Luzerner Zeitung» mit ihren Regionalausgaben in Zug, Nid- und Obwalden sowie Uri, muss seit Jahren sparen. CH Media als Herausgeberin nimmt dabei wenig Rücksicht auf Zentralschweizer Befindlichkeiten.
Auch das gebührenfinanzierte SRF setzt den Rotstift an. Das Angebot der Radio-Regionaljournale – also beispielsweise das Regionaljournal Zentralschweiz – solle an den Wochenenden reduziert werden, wie das Unternehmen im September bekannt gab. Es soll bei diesen Regionalredaktionen zu einer «leichten Stellenreduktion» kommen.
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Traditionelle Titel verschwinden, soziale Medien übernehmen
Ansonsten ist die Medienlandschaft bereits ausgedünnt. Einzig die Radiostationen können sich derzeit einigermassen gut halten. Radio Pilatus nimmt regelmässig einen Spitzenplatz ein, wenn es um die Anzahl Hörer geht. Radio Central, das zusammen mit «Sunshine» notverkauft wurde und seit zwei Jahren als dritter Zentralschweizer Radiosender zu CH Media gehört, erhält ab kommendem Jahr Konzessionsgelder. Wie es allerdings mit «Sunshine» weitergeht, wissen die Götter. Schon länger gibt es Spekulationen, dass der Sender eingestampft wird.
An die Stelle des ausgedünnten Medienangebots treten soziale Medien. Also oft ungeprüfte, unwahre Informationen ohne journalistische Aufbereitung. Gemeinden füllen das Vakuum mit eigenen Publikationen. Gesellschaftspolitisch ist diese Entwicklung höchst bedenklich.
Wer schaut den Mächtigen auf die Finger? Wer berichtet zuverlässig, seriös und unabhängig über das, was in den Amtsstuben und dahinter passiert? Diese Aufgabe können nur professionelle Medientitel mit gut ausgebildeten Journalisten übernehmen. Da können die Regierungen und Politiker noch lange behaupten, sie seien «transparent» und würden offen kommunizieren. Wenn es hart auf hart geht, mögen viele von ihnen eben doch keine kritische Berichterstattung.
Ein gutes Beispiel ist die Posse um FDP-Ständerat Damian Müller, der Verwaltungsratspräsident des Luzerner Kantonsspitals werden sollte. Die Medien hakten bei der Regierung wegen möglicher Interessenkonflikte zu Recht kritisch nach, sie nahmen ihre Aufgabe wahr. Und was machten gewisse Politiker? Sie schossen gegen Journalisten, man betreibe eine «unseriöse und unausgewogene Berichterstattung», wie es während einer Kantonsratsdebatte hiess. Die Episode zeigt beispielhaft: Kritischer, unabhängiger Journalismus ist und bleibt essenziell für eine demokratische Gesellschaft.
Für das Netflix-Abo hat man Geld, für Informationen nicht
Doch was tun angesichts sinkender Abo- und Werbeerlöse? Da herrscht unisono Ratlosigkeit. Das Schweizer Stimmvolk hat eine grössere Medienförderung abgelehnt. Es wollte den reichen Verlegerfamilien nicht noch mehr Geld zuschanzen. Das ist nachvollziehbar.
Doch mehr und mehr zeichnet sich ab, dass wir um eine seriöse und gut aufgegleiste Medienförderung nicht herumkommen. Die Gesellschaft ist nach 20 Jahren Gratisjournalismus, wie ihn «20 Minuten» in die Schweiz brachte, nicht mehr genügend bereit, für Informationen zu zahlen. Für Journalisten ist das oft unverständlich und frustrierend – auch für den Autor dieser Zeilen. Der Bäcker verkauft sein Gipfeli schliesslich ebenfalls nicht gratis.
Ausserdem leisten wir uns heute teure Netflix-Angebote, ohne mit der Wimper zu zucken, machen gefühlt jedes dritte Wochenende eine Auslandsreise. Aber wir sind nicht bereit, ungefähr einen Franken pro Tag – bei zentralplus ist das Angebot sogar noch deutlich günstiger – für seriöse Informationen zu bezahlen?
Auch Medienhäuser stehen in der Verantwortung
Es braucht ein Umdenken, und zwar schnell. Skandinavische Länder kennen seit Jahrzehnten grössere Medienförderprogramme. Kritiker monieren, solche Subventionen gefährden die Unabhängigkeit der vierten Gewalt. Nur lassen sie dabei ausser Acht, dass gerade Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland seit Jahren die Spitzenpositionen innehaben bei der Pressefreiheit. Ein fein austariertes System könnte auch in der Schweiz eingeführt werden.
Aber nicht nur die Gesellschaft und Politik stehen in der Verantwortung, sondern auch die Medienhäuser. Sie müssen auf sauber recherchierte und relevante Geschichten fokussieren. Und sie müssen den brancheninternen Glauben ablegen, dass sie nie Fehler machen. Teilweise herrscht eine eingebildete Besserwisserkultur. Das hilft dem Vertrauen in die Arbeit der Journalisten und auch deren Glaubwürdigkeit nicht.
Es gibt viel zu tun. Für die Politik, für die Gesellschaft und für die Medienhäuser. Sonst sieht es bald sehr düster aus.
Matthias Stadler ist Redaktionsleiter von zentralplus und seit über zehn Jahren Journalist. Die meiste Zeit davon in Luzern und in der Zentralschweiz, während zwei Jahren auch als Ozeanien-Korrespondent.