Die Denkfabrik Avenir Suisse behauptet in einer neuen Rangliste, der Kanton Luzern liege bei den Freiheiten fast am Ende der Schweiz. Das ist Schwachsinn. Eine Replik.
Man fragt sich unweigerlich, was die Studienautoren denn geritten hat. Der Kanton Luzern liegt in einer neuen Rangliste von Avenir Suisse auf Rang 25 und damit auf dem drittletzten Platz. Die liberale Denkfabrik hat bewertet, welche Kantone inklusive Fürstentum Liechtenstein bezüglich Freiheit wie gut oder wie schlecht unterwegs sind. Und eben: Luzern ist fast zuhinterst anzutreffen, einzig die Kantone Uri und Wallis schneiden noch schlechter ab (zentralplus berichtete).
Die Autoren bemängeln beispielsweise die Gesundheit der Luzerner Kantonsfinanzen, welche sich im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert habe. 2023 wurde dieser Punkt mit der Bestnote 6 bewertet, heuer reicht es nicht einmal für ein «gut»: Eine 4,8 muss reichen. In einer anderen Zahl ausgedrückt: Luzern erreicht bei diesem Kriterium 77 von 100 Punkten. Bei der öffentlichen Sicherheit erhält der Kanton gerade einmal 54 Punkte. Beim übergeordneten Thema gesellschaftliche Freiheit sogar nur 25 von 100 Punkten.
Noch selten nicht frei gefühlt
Die erstplatzierten Aargauer müssen sich denken: «Die armen, unfreien Luzerner. Zum Glück leben wir in einem komplett anderen, freien Kanton.»
Der Autor dieser Zeilen findet: Er hat sich im Kanton Luzern noch selten nicht frei gefühlt. Avenir Suisse bemängelt beispielsweise die vergleichsweise restriktiven Ladenöffnungszeiten. Gemütlich ausser Acht lässt die Denkfabrik dabei, dass die Bevölkerung diese Ladenöffnungszeiten schon unzählige Male an der Urne bestätigt respektive längere Öffnungszeiten verworfen hat. Ist denn nicht gerade das Freiheit? An der Urne bestimmen können, wie man das gesellschaftliche Leben – in diesem Fall das Einkaufen – organisieren möchte? Es wäre ja im Gegenteil eher ein Anzeichen autoritärer und damit unfreiheitlicher Züge, wenn sich die Staatsmacht über den Willen des Volkes stellen würde und die Öffnungszeiten plötzlich ausdehnt.
Ungesunde Kantonsfinanzen? Luzern erwartet Rekordüberschuss
Avenir Suisse kritisiert wie erwähnt auch die Kantonsfinanzen. Haben sich die Experten die Mühe gemacht, die vergangenen Rechnungsabschlüsse des Kantons mal anzuschauen? Es scheint nicht der Fall zu sein. Hier eine kurze Auflistung:
- 2023: ein Ertragsüberschuss von 146 Millionen Franken
- 2022: ein Ertragsüberschuss von 205 Millionen Franken
- 2021: ein Ertragsüberschuss von 201 Millionen Franken
- 2020: ein Ertragsüberschuss von von 213 Millionen Franken
Früher musste der Kanton froh sein, wenn es eine schwarze Null gab. Das reicht noch nicht? Für das aktuelle Jahr rechnet der Kanton mit einem Plus von über 274 Millionen Franken. Es wird voraussichtlich der höchste Überschuss des Kantons aller Zeiten.
Immer noch nicht deutlich genug? Das Nettovermögen betrug 2023 rund 293 Millionen Franken. Ja, im Jahr zuvor war es mit 471 Millionen noch deutlich höher. Aber in den Jahrzehnten (!) zuvor hatte Luzern Nettoschulden, im Jahr 2000 beispielsweise über 2,5 Milliarden Franken.
Ist Emmenbrücke unsicherer als Spreitenbach?
Aber kommen wir weg von den Finanzen und wenden wir uns den Gefühlen zu. Luzern soll unsicher sein: 54 von 100 Punkten holt sich der Kanton bei der öffentlichen Sicherheit. Zugegeben: Dass es im Kanton zu mehr Gewaltdelikten kommt, bestätigt auch die Polizei (zentralplus berichtete). Messerstechereien haben zugenommen. Aber dass Luzern deutlich schlechter abschneidet als der Kanton Aargau (70 von 100 Punkten), ist aus subjektiver Sicht nicht nachvollziehbar. Soll es im Entlebuch unsicherer sein als im Fricktal? In Emmenbrücke unsicherer als in Spreitenbach? Naja.
Man sieht: Die Rangliste vermag nicht zu überzeugen – und das hat wenig mit einer lokalpatriotisch gefärbten Brille zu tun, schliesslich stammt der Schreibende aus dem Kanton Schwyz.
In manchen Punkten hat Avenir Suisse Recht
Aber bei allem Kopfschütteln muss man mancher Kritik von Avenir Suisse auch zustimmen. Die Videoüberwachung sei in Luzern besonders schlimm, urteilt die Organisation. In der Tat steht diese immer wieder in der Kritik. Gerade kürzlich pfiff das Bundesgericht die Regierung zurück. Bei der Überwachung von Autobahnen wollte der Kanton die Gesichter von Fahrern scannen können, um Straftäter besser verfolgen zu können. Die Lausanner Richter beurteilten das als einen «unverhältnismässigen Grundrechtseingriff» und «Massenüberwachung» (zentralplus berichtete).
Auch beim Thema Öffentlichkeitsgesetz muss man Avenir Suisse Recht geben: Luzern erhält hier – wie die Schweiz früher beim Eurovision Song Contest – null Punkte. Einzig der Nachbarkanton Nidwalden schneidet gleich schlecht ab. Zwar führt Luzern das Öffentlichkeitsprinzip nächstes Jahr ein, doch es wird ein vergleichsweises schwaches sein (zentralplus berichtete). Andere Kantone gestalten ihre Arbeit deutlich transparenter. In Luzern findet die bürgerliche Mehrheit des Kantonsrats augenscheinlich, man solle gerade mal so viel tun, bis die quengelnden Kinder Ruhe geben, aber ja nicht mehr.
Rangliste sagt mehr aus über Autoren als über Kantone
Was lernen wir aus dem Ganzen? Diese Ranglisten sind eine Krux. Die Daten dahinter sagen oft mehr aus über die Organisation und die Autoren als über die bewerteten Kantone. Hätte eine linke Denkfabrik die Rangliste gemacht, wäre wohl die Romandie an der Spitze.
Aber eine Überraschung gibt es doch: Avenir Suisse platziert den Kanton Zug nur auf dem siebten Platz. Als schwerreicher Wirtschaftsstandort hätte man den Kanton mindestens auf dem Podest erwartet.
- Rangliste von Avenir Suisse
- Medienarchiv zentralplus