«Macbeth» im Luzerner Theater

Der Königsmörder im Hexenwahn

Am Samstagabend feierte Giuseppe Verdis Oper «Macbeth» im Luzerner Theater Premiere. (Bild: Ingo Höhn/Luzerner Theater)

Am Samstagabend feierte Giuseppe Verdis Oper Macbeth im Luzerner Theater Premiere. Ähnlich positiv wie bei deren Uraufführung im Jahr 1847 in Florenz nimmt das Publikum in Luzern die Inszenierung unter der Regie von Wolfgang Nägele auf. Hrólfur Sæmundsson (Macbeth) und Eyrún Unnarsdóttir (Lady Macbeth) sind die vom Publikum am frenetisch beklatschten und gefeierten Rollen der Darbietung.

Nun ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass in einer italienischen Oper des 19. Jahrhunderts das Liebespaar auch heute noch den meisten Applaus einheimst. Jedoch ist dies in der Anlage des Dramas von Shakespeare nicht unbedingt selbstverständlich. Macbeth ist schliesslich ein Mörder, der mit seiner Frau die Gunst der Stunde nutzt und sich durch den Mord zum König von Schottland manövriert. 

Mörder erfreuen sich durch Serien wie Dexter oder Mindhunter seit geraumer Zeit ungeheurer Beliebtheit. Die Faszination für Hannibal-Lecter-Charaktere ist ungebrochen, was sich an zahlreichen Podcasts über Serienkiller illustrieren lässt.

Aber wie kann in einer italienischen Oper ein Mörder in der Hauptrolle sein, der nicht einmal von einem Tenor gesungen wird? Man kann sich das Ausmass der Irritationen des Publikums im Teatro della Pergola in Florenz aus Sicht eines 21st-Century-True-Crime Binge-Watchers nur äusserst eingeschränkt vorstellen. 

In Sekundenbruchteilen vom lyrisch-introvertierten Flehen zu gewaltsamen Gebärden

Shakespeares Drama begegnet dem Publikum durch Verdis Brille betrachtet selbstverständlich in italienischer Sprache – und Verdi komponiert jedes der gesungenen Wörter in seiner Muttersprache präzise und ausdrucksschwanger aus. Zuweilen schwankt er innerhalb einer Phrase in Sekundenbruchteilen zwischen lyrisch-introvertiertem Flehen zu martialisch-gewaltsamen Gebärden. Gebärden, die von Hrólfur Sæmundsson verkörpert fast mit Jack Nicholsons berühmter «Here‘s Jonny!»-Szene in «Shining» mithalten können. 

So wie Verdi von dem rossinisch-donizettisch-bellinischen Dreieck-Erfolgsmodell «Tenor + Sopran vs. Bass» durch die Besetzung des Protagonisten durch einen Bariton bewusst abweicht, so zieht Verdi seinen Hörer nicht nur mit dieser Absenkung des Stimmregisters hinab in die Abgründe und Dunkelheit einer Post-Cenerentola-Belcanto-Oper mit Shakespeare-Vorlage. Die nur im dritten Akt kurz angedeutete glänzend-ausgelassene Opernwelt ist in «Macbeth» von schwarzer Romantik umzingelt. 

Ein Hexenchor und orientierungslose, alte, weisse Männer

Über das meist in Schwarz, Weiss, Gelb und Grau gehaltene überzeugende Bühnenbild des Luzerner Theaters huschen schon nach der Ouvertüre ein Hexenchor und orientierungslose, alte, weisse Männer (acht Könige), die in den folgenden drei Akten von Erscheinungen, Nachtgöttinnen und Phantomen gefolgt werden. Diese okkulten Wesen umhüllen Lady Macbeth und ihren Ehemann wie Schatten des Grauens der Mordtat, sodass die beiden die meiste Zeit auf sich selbst zurückgeworfen alleine dastehen.

Zwar verbindet sie ihre Liebe, jedoch treten sie nur selten in direkter Kommunikation miteinander auf. Die Einsamkeit und Isolation der Protagonisten mag ein Lockdown-gebeutetes Publikum noch gut nachempfinden können. Auch wenn die meisten (hoffentlich) noch vom Wahnsinn der Lady Macbeth in ihrer schlafwandelnden Schlussszene verschont geblieben sein mögen.  

Durch die Fokussierung auf die beiden Hauptcharaktere gehen die Hexen in der Inszenierung etwas unter, was auch daran liegen mag, dass sie als Chor aufgrund der Pandemie mit Masken singen mussten. Jedoch weist Verdi – auch im Programmheft nachzulesen – auf die immense Wichtigkeit der Hexen in seiner Oper hin. Gerade diese Hexen, die als Charaktertypus vollkommen mit der italienischen Tradition brechen, geben «Macbeth» jenen besonderen okkult-mystischen Anstrich: düstere Prophezeiungen, Alraunenwurzeln (siehe Harry Potter) und Weissagungen im Mondschein.  

Luzerner Sinfonieorchester sing malt düster, mal heiter

Die dynamische Bandbreite des Luzerner Sinfonieorchesters unter der Leitung von Hossein Pishkar ist für diese zuweilen bedrohliche Atmosphäre von entscheidender Bedeutung. Farbenreich donnert, dröhnt und singt es mal düster, mal heiter im Kontrast zum Geschehnis auf der Bühne aus dem Orchestergraben bei dieser durchwegs souveränen Premiere.

«Macbeth» ist in dieser Hinsicht sicherlich neuartig, vor allem aus seiner Zeit heraus betrachtet, jedoch bekommt man hier als regelmässiger Operngänger etwas, was einen sicherlich heute nicht mehr vor die gleichen Herausforderungen stellt wie das Publikum bei der Uraufführung. Man kann sich also als Opernfan getrost auf die freien Plätze stürzen.    

Hinweis: «Macbeth» wird noch bis Mitte Juni im Luzerner Theater vorgeführt. Weitere Infos sowie die genauen Spieldaten findest du hier.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Peter Seifert
    Peter Seifert, 26.01.2022, 14:32 Uhr

    Guten Tag,
    Eyrún Unnarsdóttir war die Dame der Lady Macbeth. Lady Macbeth hat Susanne Elmark gesungen und somit die weibliche Hauptrolle in Macbeth.
    Mit besten Grüßen
    Peter Seifert

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