Romerohaus

Der Friede beginnt im eigenen Haus

Das Romerohaus im Würzenbachquartier (Bild: dog)

Viele Luzernerinnen und Luzerner haben schon mal vom Romerohaus gehört. Aber nur die wenigsten wissen, wofür es steht. Grund genug für zentral+ einen Blick hinter die roten Mauern zu werfen und sich durch ein Haus führen zu lassen, das es in sich hat.

Imposant, nackt, steril – die roten Backsteine, blauen Fensterrahmen und das Vordach aus Beton wirken auf den ersten Blick, als stehe man vor einer Klinik. «Romerohaus» steht in weissen Lettern auf dem Vordach. Auch der Name des grossen Hauses an der Kreuzbuchstrasse 44 im Luzerner Würzenbachquartier lässt nicht wirklich darauf schliessen, was sich hinter den kahlen Mauern abspielen könnte. Eine Geburtsklinik vielleicht, oder ein Hospiz? Niemand geht rein, niemand kommt raus. zentral+ geht rein. 

Weit mehr als ein Hotel

Durch die automatische Glastüre hindurch, von der beschäftigten Dame an der Rezeption begrüsst, wird klar: das ist keine Klinik. Die kleine Cafeteria, der Speisesaal, der einladende Innenhof, die unzähligen Prospekte und Broschüren an den Wänden verraten: das ist ein Hotel. «Nicht nur, der Hotelbetrieb ist nur eines von vielen Standbeinen», erklärt Josef Estermann, Theologe und Leiter des Romerohauses. Er steht im Foyer an einem der Stehtische, die Hände gefaltet auf dem Tisch. «Wir sind das Bildungszentrum der Bethlehem Mission Immensee (BMI).»

Die BMI ist ein katholischer Verein für Personelle Entwicklungszusammenarbeit mit Sitz in Immensee (Kanton Schwyz). Getragen wird sie von der Schweizerischen Missionsgesellschaft Bethlehem (SMB), einer Gemeinschaft von Priestern und Brüdern, die sich im Dienst der Kirche im Sinne der «missionarischen Präsenz» für die Entwicklung der benachteiligten Regionen der Welt einsetzen. 

Grosse Vielfalt unter einem Dach

«Im Mittelpunkt steht bei uns die Bildung und Sensibilisierung. Wir bieten Weiterbildungen jeglicher Art an – vom Masterstudiengang bis zur kleinen Infoveranstaltung –, oder wir vermieten unsere Seminarräume, in denen bis zu 150 Personen Platz finden», sagt Estermann, während er die Stufen zum grössten Seminarsaal unter dem Dach hochsteigt. «Das ist aber längst nicht alles», sagt er sichtlich stolz und zeigt mit dem Finger hinunter auf ein Regal mit Kinderschuhen: «Im Untergeschoss befindet sich auch ein Tageshort für Kinder aus dem benachbarten Schulhaus. Zudem vermieten wir vier Wohnungen an die Caritas, die Asylsuchenden zur Verfügung gestellt werden.»

Eine (jetzt bei der Zentralbibliothek untergebrachte) Bibliothek und die hauseigene Kapelle komplettieren die Vielfalt unter dem Dach des 1986 gegründeten Bildungs- und Tagungszentrums, das 2004 mit dem Lebensraumpreis der Stiftung «Luzern – Lebensraum für die Zukunft» ausgezeichnet wurde. Ab April werde das Haus umgebaut, so Estermann. «Das BMI zieht von Immensee ins Romerohaus nach Luzern. Mit dem Umzug erhofft man sich, als kirchliche Organisation näher an die Bevölkerung zu kommen.»

Was von aussen leblos und steril wirkte, hat sich als eindrücklicher Ort der Begegnung, der Bildung und der Menschlichkeit entpuppt. Josef Estermann zeigt auf ein Foto eines alten Mannes an der Wand: «Das ist der Namensgeber des Hauses, Oscar Romero.» Romero war katholischer Erzbischof in El Salvador und setzte sich vor allem für die Befreiung der Armen ein und wehrte sich gegen die vorherrschende Militärdiktatur. Sein Engagement bezahlte er mit seinem Leben, als er 1980 während einer Predigt erschossen wurde.

Vom Engagement Oscar Romeros inspiriert, fokussiert sich das Romerohaus – unter dem Credo «Welten verbinden» – auf die Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für die Themen, die die Welt wieder etwas näher zusammenrücken sollen: Ökologie, Menschenrechte, Frieden, Bewahrung von Einkommen und Ernährung, sowie integrale Seelsorge. 

Schnupperlehre als EntwicklungshelferIn

Also in etwa das, was jede andere Menschenrechtsorganisation macht? Josef Estermann konkretisiert: «Es ist wichtig zu wissen, dass wir vor allem personelle Entwicklungszusammenarbeit (PEZA) leisten, keine finanzielle. Das heisst, wir schicken ausgebildete Leute vor Ort.» Durch das enge Zusammenleben mit den betroffenen Menschen und der Zusammenarbeit mit den lokalen Partnerorganisationen könne direkte Hilfe geleistet werden. «Ziel eines personellen Einsatzes vor Ort ist es, die Menschen so zu unterstützen, dass sie die Hilfe künftig nicht mehr benötigen. Hilfe zur Selbsthilfe», so Estermann.

So werden im Romerohaus auch künftige Helfer auf ihre Einsätze geschult und vorbereitet. Mit dem Programm «HOPLAA» kann sogar für drei Monate in die Arbeit eines Entwicklungshelfers hineingeschnuppert und den Fachpersonen der BMI vor Ort über die Schulter geschaut werden. Mehr als beobachten und lernen liegt jedoch nicht drin, denn die Anforderungen an einen «ausgewachsenen» Entwicklungshelfer sind enorm: Nebst einer abgeschlossenen Lehre oder einem Studium, mindestens einem Jahr Berufserfahrung, einer Vorbereitungszeit von über einem Jahr (berufsbegleitend), muss man sich für mindestens drei Jahre Einsatz verpflichten. 

Wer helfen will, muss sich für mindestens drei Jahre verpflichten

Weshalb so hohe Auflagen? Estermann erklärt: «Sich für drei Jahre zu verpflichten, hört sich im ersten Moment nach einer sehr langen Zeit an. Man muss aber bedenken, dass es relativ lange dauert, bis man sich mit den Gegebenheiten vor Ort zurechtfindet – mit der Kultur, den Menschen oder dem Helferteam.» Ein wichtiger Aspekt sei auch die Sprache. Zum Teil müsse man zuerst noch eine neue Sprache lernen. Das koste zwar Zeit, sei aber essentiell für eine effiziente Zusammenarbeit mit den einheimischen Menschen. «Für die fachliche und inhaltliche Stabilisierung der Helferprogramme und unserer Partnerorganisationen können wir nur erfahrenes und kompetentes Personal gebrauchen», so der dreifache Familienvater.

Und Josef Estermann weiss, wovon er spricht. Siebzehn Jahre verbrachte der gebürtige Surseer in Lateinamerika, acht Jahre als Fachperson der BMI in Peru, neun Jahre als nationaler BMI-Koordinator und Fachperson in Bolivien. «Das war eine prägende und spannende Zeit für die gesamte Familie. Und die Arbeit vor Ort war sehr wichtig und hilfreich. Das Bildungszentrum zu leiten, die Basis, wenn man so sagen will, ist jedoch wichtig.»

Estermann macht die Türe zum Dachsaal auf und etwa dreissig verdutzte Gesichter starren fragend in seine Richtung. «Besetzt», sagt er und ein schelmisches Lächeln huscht über sein Gesicht, als er die Türe geräuschlos zuzieht. «Das ist der beliebteste Raum im Haus. Der ist meistens belegt.» In zügigen Schritten, durch einen langen dunklen Gang, an drei Romero-Fotos vorbei, steht er wieder im Foyer des Hauses, das wirklich vorzuleben scheint, was es auch propagiert: eine Welt, alle unter einem Dach.

«Der Friede beginnt im eigenen Haus», sagte bereits der deutsche Philosoph Karl Jaspers. Und das bringt die Identität des Romerohauses auf den Punkt: die Welt als Eines verstehen, Brückenbauen zwischen Nord und Süd, Ost und West, Arm und Reich, Mann und Frau. Frieden einfach.

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