Ingo Höhn – Luzerns Theaterfotograf Nummer eins

Der Fotograf und das eifersüchtige Theater

Ingo Höhn hatte eigentlich zur See fahren wollen. Doch das Theater hatte andere Pläne mit ihm.

(Bild: jav)

Es gibt kaum ein Theaterfoto aus Luzern, bei dem er nicht am Drücker war. Es gibt auch kaum einen Theatermenschen in Luzern, den er nicht kennt. Wir stellen Ingo Höhn, der in seinem Alltag den Fokus auf die Bühne richtet, mal selbst ins Scheinwerferlicht.

Gemütlich sitzt er vor dem Mardis Gras in der Luzerner Kleinstadt, nimmt einen Schluck von seinem Kaffee. Mit überschlagenen Beinen sieht der 1,90 grosse Fotograf hinter dem kleinen Tischchen noch grösser aus. Er fährt sich kurz durch die grauen Haare und erhebt sich zur Begrüssung.

Offiziell ist Ingo Höhn pensioniert, offiziell könnte er den ganzen Tag hier sitzen und Kaffee trinken. Inoffiziell steuert er in seiner Karriere gerade einen zweiten Höhepunkt an, arbeitet er bestimmt 120 Prozent und ist als freischaffender Theaterfotograf gefragt wie nie.

Die Geliebte Theater

Bis vor zwei Jahren war Höhn Werkstättenleiter am Luzerner Theater und dazu Hausfotograf, doch seit seiner Pensionierung setzt er voll auf die Theaterfotografie, und die Kontakte summieren sich.

Dass er vorher beides machte, hatte sich zufällig ergeben: Unter Barbara Mundel vergeigte ein Fotograf eine Probe und Höhn sprang ein – von da an fotografierte er auch für das Theater. «Ich habe immer beides parallel gemacht: Werkstättenleiter und Fotograf, eigentlich verrückt, aber auch eine tolle Kombination. So war ich immer extrem tief drin in der Materie.» Zum Glück liebe auch seine Frau das Theater, sagt der 66-Jährige. Er lacht und entblösst dabei seine Zahnlücke.

«Ich sehe mich eher als Dokumentarist denn als Künstler.»

«Denn das Theater ist sehr eifersüchtig. Es lässt daneben nicht mehr viel zu.» Hätte er sich neben dem Job am Theater für Fotografie in einem anderen Bereich entschieden, hätte das Theater bestimmt interveniert. Wie als er an seinem freien Mittwochabend einen Englischkurs hatte belegen wollen. Kaum gebucht, fand fast jede Woche eine Hauptprobe am Mittwoch statt, was vorher nie vorgekommen war, erzählt Höhn. Der Mann aus einem kleinen Dorf an der Ostsee spricht Hochdeutsch mit eingestreuten Dialektwörtern, stets recht schnell und seine Stimme wird selten lauter.

Tanztee an der Ostsee

Eigentlich hätte Höhn Musiker werden müssen, stammt er doch aus einer Musikerfamilie erster Stunde. Der Ururgrossvater Stadtmusikant, der Urgrossvater Trompeter, der Grossvater Musikdirektor, der Vater Saxophonist, dessen Brüder alle Musiker, die Mutter und ihre Schwestern Sängerinnen. Doch Ingo Höhns Karriere als Saxophonist endete in der Konzertmuschel eines Ostseebads. «Die Krönung meiner musikalischen Laufbahn waren die Tanztees am Nachmittag.»

Ingo Höhn ist ein ehrgeiziger Mann, doch als Musiker fehle ihm diese Eigenschaft komplett. Gespielt habe er seit Jahrzehnten nicht mehr. Nur die Liebe zur Musik ist geblieben. Auch Konzerte fotografiert er deswegen freischaffend.

Aus der Produktion «Ein Luzerner Jedermann». (Bild: Ingo Höhn)

Aus der Produktion «Ein Luzerner Jedermann». (Bild: Ingo Höhn)

DDR – Luzern

Aufgewachsen ist Höhn in der DDR, unweit der Ostsee – vom spannenden Dorfleben schwärmt er noch heute. So wie vom Segeln. Deshalb war die einzig wirkliche Karriere-Idee des jungen Höhn, zur See zu fahren. Wie fast alle Jungs in seiner Klasse. Doch daraus ist nichts geworden. Glücklicherweise, sagt er heute. Denn so sei er am Theater gelandet.

Als Jugendlicher habe er sich für vieles interessiert, doch festlegen wollte er sich nicht. Ein Studium kam deshalb nicht in Frage. So begann er als Bühnenarbeiter in einem kleinen Provinztheater zu arbeiten, dann als Bühnenmeister, und nach seinem Technikstudium ging es steil bergauf. Mit 40 Jahren, als Technischer Direktor am Opernhaus Schwerin, stand Höhn auf dem Höhepunkt der Karriere. Seine Frau arbeitete als HR-Chefin in einem Spital mit über 2000 Mitarbeitern.

«Der Mist ist, mich interessiert wirklich alles.»

12-Stunden-Tage waren die Regel. «Damals sprach man noch nicht von Burn-out, doch ich glaube, wir waren nahe dran.» In einer Sinnkrise entschied sich die Familie, neue Wege zu gehen. So weiterzumachen, ging nicht mehr. Argentinien und die Schweiz standen zur Auswahl für den Neuanfang. 

So bewarb sich Höhn 1993 auf die ausgeschriebene Stelle als Werkstättenleiter im Luzerner Theater. Damals noch als «seltene deutsche Exemplare» zog Familie Höhn nach Luzern. Von einer Theaterwelt in die andere, nennt es Höhn. Sie seien schnell angekommen. Luzern sei ja auch ein Dorf. «Man kennt die Leute auf der Strasse, und dann fühl ich mich wohl.» Trotzdem nennt er sich selbst zurückhaltend und sagt, es brauche eine Weile, bis man ihn «erobert» habe.

Auch in der freien Szene ist Höhn immer mehr unterwegs. Hier bei «Der Weg der Lachse» von Zellstoff. (Bild: Ingo Höhn)

Auch in der freien Szene ist Höhn immer mehr unterwegs. Hier bei «Der Weg der Lachse» von Zellstoff. (Bild: Ingo Höhn)

Die nordische Gelassenheit

Mittlerweile hat er am Haus vier Intendanten erlebt: Statkus, Mundel, Mentha und nun von Peter. Er hat in Luzern gemeinsam mit seiner Frau die Kinder grossgezogen und mittlerweile den Schweizer Pass. «Gedanklich bin ich schon lange assimiliert.» Sprachlich zwar nicht, aber er fühle sich trotzdem schon lange nicht mehr als Deutscher. Als zweite Heimat nennt er jedoch nach Luzern trotzdem sofort Hamburg und Skandinavien. Diese nordische Gelassenheit habe es ihm angetan.

Selbst sei er eher der nervöse Typ. Deshalb möge er die Schweiz auch so sehr – wegen der kontrollierten, oft reservierten und doch warmherzigen Art. «Weil erst nachgedacht wird und dann losgelabert, und wegen dem demokratischen Grundverhalten: Es wird gelesen und geredet, bevor man eine Entscheidung trifft.» Doch auch er sei gelassener geworden, sagt der dreifache Grossvater. Früher habe er nicht schlafen können, wenn jemand seine Arbeit schlecht fand. «Kritik hat mich extrem beschäftigt.»

«Worauf habe ich mich bloss eingelassen.»

Heute hat er als Theaterfotograf ein anderes Selbstvertrauen. Und hält sich trotzdem gerne im Hintergrund. Ausstellungen seiner Arbeiten gab es selten und nur im kleinen Rahmen. «Ich sehe mich eher als Dokumentarist denn als Künstler», betont Höhn. Er sei der Beobachter, inszeniere ja nicht, es werde «für ihn» inszeniert.

Liebe und Hass

Tatsächlich sei er ständig im Theater und würde am liebsten keine Produktion verpassen. Auch an den Premieren treffe man ihn immer an, und an den Feiern danach natürlich. Doch um alle Theater zu besuchen und zu fotografieren, dazu sei leider nicht genug Zeit. Luzern sei so vollgepflastert mit Kultur. Und ein Problem von Ingo Höhn ist: Er kann nicht «Nein» sagen. «Nicht, weil ich die Leute nicht enttäuschen will, oder Aufträge verpassen. Der Mist ist, mich interessiert wirklich alles.» Und so rauscht er von einem Theater zum nächsten, von freiem Theater zum Stadttheater, schiesst 300 bis 400 Bilder pro Probe, in der Nacht wird aussortiert.

Doch bevor Höhn die Kamera in die Hand nimmt, besucht er jeweils Proben des Stücks, führt Gespräche mit Regie und Dramaturgie. Das ist viel investierte Zeit, bevor er den ersten Auslöser drückt. «Worauf habe ich mich bloss eingelassen», sagt er lachend. Das sei so nicht geplant gewesen.

«Ich glaube nicht, dass man das Fotografieren wirklich lernen kann.»

Die Inszenierungen, die Darsteller, Proben und Premieren, das Theater als Organismus. Seine Faszination ist beim Gespräch mehr als spürbar. «Eigentlich muss man von einer Hassliebe reden.» Denn neben der Begeisterung erlebe man Chaos und Enttäuschungen. Vom Theater losgekommen ist Höhn trotzdem nicht mehr. Nur ganz kurz arbeitete er in einer Agentur, doch schnell zog es ihn zurück ans Theater. «Je länger man sich mit Theater beschäftigt und am Theater beschäftigt ist, desto mehr erweitert sich das Weltbild. Man kommt nicht mehr davon los, wenn man sich darauf einlässt.»

«Ich muss nicht inszenieren», sagt Höhn. Er muss jedoch den Moment erwischen. (Bild: Ingo Höhn)

«Ich muss nicht inszenieren», sagt Höhn. Er muss jedoch den Moment erwischen. (Bild: Ingo Höhn)

Kein Ende in Sicht

Für die Fotografie begeistert hatte ihn damals sein Cousin, ein Berufsfotograf, bei dem er in jungen Jahren eine Art Lehre machte. Hier lernte er das – noch analoge – Handwerk und legte die Basis für heute. Der Bruch ins Digitale habe jedoch alles, was Technik betrifft, verändert. «Und die Technik kann man lernen, aber ich glaube nicht, dass man das Fotografieren wirklich lernen kann. Den Blick, das Gefühl fürs Foto.»

Er habe zum Beispiel innerhalb des Theaters Verschiedenes ausprobiert: Regieassistenz zum Beispiel, «da habe ich schnell meine Grenzen gesehen». In der Fotografie habe er hingegen nie die Grenzen oder ein Ende gesehen. Auch heute nicht. Auch deshalb werden seine Tage wohl so bald nicht kürzer werden. Doch seine Familie und das eifersüchtige Theater haben scheinbar schon lange das Teilen gelernt.

Einen klitzekleinen Einblick in das Archiv des Theaterfotografen finden Sie in der Slide-Show:

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