Erneut einen Vier-Tore-Vorsprung verspielt

Der EV Zug verliert seine Souveränität

Der Spitzenreiter der National League (vorne Dominik Schlumpf, rechts Erik Thorell, hinten Jérôme Bachofner) ist aus dem Tritt geraten. (Bild: Marc Schumacher/freshfocus)

Gegen den EHC Biel zeigt der EVZ zwei komplett verschiedene Gesichter und Hälften. Die Zuger geben einen scheinbar sicheren Vier-Tore-Vorsprung aus der Hand und kassieren schliesslich mit einem 4:5 nach Penaltyschiessen die dritte Niederlage in den letzten vier Spielen.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Sieg und Niederlage, zwischen Selbstvertrauen und Überheblichkeit, zwischen Souveränität und schierer Ohnmacht.

Das musste der EVZ am Dienstagabend gegen den EHC Biel-Bienne schmerzlich erfahren.

Erneut, denn wie bereits vor zwei Wochen an gleicher Stätte gegen die ZSC Lions sahen die Zentralschweizer nach einer 4:0-Führung vor Spielhälfte wie der sichere Sieger aus.

Damals lagen die Zuger nach knapp 25 Minuten mit 4:0 in Front, später noch mit 5:1 und 6:2, brachten diese Führungen aber nicht über die Zeit und verloren das Spiel 6:7 nach Verlängerung (zentralplus berichtete).

Diesmal benötigten die Hausherren gut 27 Minuten für den 4:0-Vorsprung, verloren dann jedoch den Fokus und die Partie 4:5 nach Penaltyschiessen.

Genoni hält dicht, Paradeformation trifft

In der ersten Spielhälfte trat der EVZ auf, wie man es vom souveränen Leader diese Saison gewohnt ist: abgeklärt, ausgeglichen und effizient. Der routinierte Goalie Leonardo Genoni bildete das Fundament, strahlte viel Ruhe aus und liess bei den gegnerischen Offensivbemühungen nichts zu.

Die Gäste aus dem Seeland zeigten sich nämlich schon im ersten Spielabschnitt mindestens ebenbürtig, erarbeiteten sich mehr Spielanteile, vermochten allerdings zu wenig zwingende Chancen zu kreieren, selbst in Überzahl.

Ganz anders das Heimteam. Kaum hatten die Zuger das erste Unterzahlspiel unbeschadet überstanden, eröffnete Gregory Hofmann in der sechsten Minute das Skore. Mit einem herrlichen Schuss ins rechte obere Eck bezwang der Topskorer den ehemaligen EVZ-Nachwuchsgoalie Joren van Pottelberghe im Bieler Tor.

«Wir spielen die letzten Wochen einfach nicht mehr unser Hockey.»

EVZ-Stürmer Dario Simion

Seinen 15. Saisontreffer liess Hofmann in der 22. Minute zum 3:0 folgen. Das Tor zur 2:0-Führung nach dem Startdrittel ging ebenfalls auf das Konto der Zuger Paradeformation. Nach einem sehenswerten Doppelpass mit Jan Kovar scheiterte Dario Simion zwar am Goalie der Seeländer, Zugs Verteidiger Nico Gross erfasste dann aber den freiliegenden Puck am schnellsten und vollendete mit seinem zweiten Saisontor.

Die Gastgeber benötigten lediglich acht Schüsse für ihre zwei Treffer im ersten Drittel, was von ihrer überragenden Effizienz zeugt.

Die Gedanken begannen abzuschweifen

Als Yannick Zehnder nach 27 Minuten sein 14. Saisontreffer zum 4:0 gelang, hätten wohl die wenigsten noch auf einen Bieler Sieg gewettet. Der EVZ schien auf sicherem Weg, auch das dritte Duell der Saison gegen die Seeländer für sich zu entscheiden, diesmal sogar deutlich. Die beiden bisherigen Partien in der Uhrenstadt waren jeweils knapp an Zug gegangen (5:4 n.V. und 2:0).

Die Gäste bemühten sich zwar weiterhin redlich. Doch da war ja noch das Bollwerk Genoni und der schien unbezwingbar, zeigte kaum eine Unsicherheit. Männiglich begann bereits darüber zu sinnieren, ob dem Zuger Schlussmann erneut gegen Biel der zweite Shutout (Spiel ohne Gegentor) der Saison glücken würde.

Zukünftiger Zuger wird zum «Wendekreis»

Doch gerade das Beispiel des Torhüters beweist, wie schnell sich das Blatt wenden kann.

Fast schon wie aus heiterem Himmel fiel nach 35 Minuten das erste Tor der Gäste. Ausgerechnet der zukünftige Zuger Verteidiger Samuel Kreis schickte sich an, seine Visitenkarte zu hinterlegen und überwand seinen nächstjährigen Teamkollegen Genoni zum 4:1.

Ein grosser Anteil an diesem Tor gebührt allerdings auch dem Stürmerfuchs Mike Künzle, einer der Auffälligsten bei den Biennois in dieser Begegnung. Sein «Screen» nahm dem EVZ-Goalie jegliche Sicht.

Futsch war er, der schöne imaginäre Shutout Genonis. Ansonsten war jedoch alles noch in der Reihe und das Heimteam schaukelte den vermeintlich beruhigenden Drei-Tore-Vorsprung in die zweite Drittelspause.

In 99 Sekunden «von hundert auf null»

Im Unterschied zu zahlreichen anderen Spielen der laufenden Saison gelang es den Schützlingen von Dan Tangnes an diesem Abend nicht, im dritten Spielabschnitt den Schalter nochmals umzulegen und den Fokus wiederzufinden.

Spätestens nachdem das statistisch ertragreichste Powerplay der Liga (32 Überzahltore in 34 Spielen) den Gästen im vierten Anlauf das erste Tor bei numerischem Vorteil einbrachte, mussten bei den Zugern unangenehme Erinnerungen an das Fiasko gegen die ZSC Lions aufgekommen sein. Toni Rajala hatte sich am rechten Bullykreis in aller Ruhe die Ecke aussuchen und zum 4:2 einnetzen können.

«Vielleicht ist es auch gut für den Kopf, für den Lernprozess, wenn wir diese Fehler jetzt machen.»

Biel setzte danach quasi das Powerplay bei fünf gegen fünf Feldspielern fort. Die Gastgeber hingegen verloren komplett die Orientierung. Einzig Goalie Genoni schien die Übersicht zu behalten, stemmte sich mit aller Kraft gegen das drohende Schicksal und parierte mehr als eine hochkarätige Gelegenheit der Bieler.

Dennoch kam es letztlich, wie es kommen musste. Mit einem Doppelschlag binnen 99 Sekunden schafften die Seeländer zwischen der 55. und der 57. Minute durch den ehemaligen Zuger Topskorer Damien Brunner und den Kanadier Marc-Antoine Pouliot den 4:4 Ausgleich und erzwangen die Verlängerung.

Dort hätte dank einer weiteren Überzahl die Entscheidung zugunsten der Gäste bereits fallen können, die später der Finne Toni Rajala mit dem einzigen verwerteten Penalty im Shootout besorgte.

Bedauernswerter EVZ-Goalie

Am Ende bleibt auf Zuger Seite der grosse Frust. Gerade auch für den bedauernswerten Goalie. «Leonardo Genoni hat super 30 Minuten gehabt», hält EVZ-Stürmer Dario Simion nach der Partie fest.

Die Statistik spricht auch nach 40 Minuten für die Leistung des erfolgsverwöhnten Keepers. Von 28 Schüssen auf sein Tor musste Genoni nur einen passieren lassen (Fangquote 96,4 Prozent).

In den letzten 25 Minuten war er dann bei drei von 21 Torschüssen machtlos (Fangquote 85,7 Prozent). Ein Vorwurf darf dem Zuger Goalie bei keinem Gegentreffer gemacht werden. «Die Sicht war ihm bei allen vier Toren verdeckt», versichert Dario Simion.

Wie kann sich das wiederholen?

Doch wie konnte es denn passieren, dass die zuvor so überzeugenden Zuger zweimal innert zwei Wochen einen deutlichen 4:0-Vorsprung leichtfertig aus der Hand geben und am Schluss als Verlierer vom Eis müssen? «Schwierig zu sagen» gibt der Tessiner Simion zu, ehe er zur Erkenntnis gelangt: «Wir spielen die letzten Wochen einfach nicht mehr unser Hockey.»

Es liesse sich gar behaupten, der EVZ stellte das Hockeyspielen in der zweiten Hälfte gänzlich ein. Die Spieler bewegten ihre Beine nicht mehr, arbeiteten in der Defensive nicht mehr konsequent und unterstützten damit ihren Torhüter nicht mehr ausreichend.

«Wir müssen wieder lernen, dass ein Spiel 60 oder eben auch mal 65 Minuten dauert», reflektiert der Zuger Toptorschütze (16 Saisontreffer) und ergänzt: «Vielleicht ist es auch gut für den Kopf, für den Lernprozess, wenn wir diese Fehler jetzt machen. Damit wir hinsichlich der Playoffs wieder konstant unsere Leistung bringen.»

Dass beim EVZ das grosse Selbstvertrauen in eine gewisse Überheblichkeit gekippt ist, denkt und hofft Simion nicht. «Wir werden weiterhin jeden Tag hart arbeiten und uns verbessern.»

Besser ist das auf jeden Fall, denn wie liess sich doch jüngst der ehemalige Servette-General (Servette-Coach Chris McSorley zitieren: «Es gibt eine schmale Linie zwischen Selbstvertrauen und Arroganz. Das Team mit dem Selbstvertrauen wird gewinnen, das arrogante Team wird verlieren.»

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