Sempacher- und Baldeggersee

Der Bund will das Güllenregime verschärfen

Victor Kessler vom Bund am Baldeggersee: Die Bauern müssen mehr zur Seegesundung beitragen (Bild: muer)

Gegen 100 Millionen Franken haben die Steuerzahler bisher für die Sanierung des Sempacher- und des Baldeggersees berappen müssen – mit mässigem Erfolg. Jetzt zieht das Bundesamt für Landwirtschaft die Schraube an: Sämtliche Bauern im Einzugsgebiet dieser Luzerner Seen sollen weniger Gülle austragen und mehr Kosten übernehmen. 

Jungbauer Konrad Jund in Römerswil steht im Schweinestall. Er schüttet Sägemehl-Einstreu in die Kojen, wo 60 Muttersauen und Ferkel in der Sommerhitze dösen. Konrad Jund steht der Ärger ins Gesicht geschrieben. «Wir sollen weniger güllen. Wir werden eingeschränkt bei den Nährstoffen für die Pflanzen.» Der Bauer, der auch noch Kühe hält und Ackerbau betreibt, wirtschaftet im sogenannten Zuströmbereich des Baldeggersees.

Victor Kessler, Leiter Ökoprogramme im Bundesamt für Landwirtschaft, ist für diesen Ärger mitverantwortlich. Er steht in Retschwil am Ufer des Baldeggersees und schaut auf den See hinaus. Das Panorama ist traumhaft. Doch dicht hinter seinem Rücken steht die Anlage für die Seebelüftung. Sie ist das untrügliche Zeichen dafür, dass der See immer noch eine künstliche Beatmung braucht.  «Der langfristige Gewässerschutz ist das primäre Ziel unserer Politik. Wir wollen die nachhaltige Sicherung einer stabilen Wasserqualität», sagt Victor Kessler.

Was am Sempacher- und am Baldeggersee passiert, ist bekannt. Die Region hat eine hohe Schweinedichte. Die vielen Schweine produzieren in ihrer Jauche viel natürlichen Phosphor. Nach dem Güllen wird dieser Phosphor vom Regen aus den übersättigten Böden ausgewaschen. «Wenn der Phosphor in die Seen gelangt, fördert er das Algenwachstum», erklärt Victor Kessler, «das zehrt den Sauerstoff auf, und die Lebewesen sterben ab.»

20 Prozent weniger Gülle

Damit es mit der Gesundung der Seen zügiger vorwärts geht, verschärft jetzt der Bund das Güllenregime. Und da wirds kompliziert.

Denn 550 von 750 Bauern in den Seegebieten reduzieren schon heute das Güllen. Sie haben mit dem Kanton Luzern einen sogenannten freiwilligen Seevertrag abgeschlossen. Fürs reduzierte Austragen erhalten sie jährlich rund sechs Millionen Franken vom Bund und Kanton. Das ist eine Entschädigung für höhere Kosten, denn die Bauern müssen ihre überschüssige Gülle zu Berufskollegen in andere Kantone transportieren.

Doch mit der Freiwilligkeit ist jetzt Schluss. Neu werden im Einzugsgebiet der Seen sämtliche Bauern gleich behandelt. Erlaubt sind noch 90 Prozent des Phosphors, den Pflanzen zum Wachsen brauchen. Im Extremfall muss ein Bauer das Güllen um 20 Prozent reduzieren.

Bauern sollen Kosten übernehmen

Ein weiterer Aspekt der Verschärfung sind die Kosten. Denn die Extra-Subventionen für das Wegführen der überschüssigen Gülle werden grösstenteils gestrichen.

Für Bauer Konrad Jund, der ebenfalls einen freiwilligen Seevertrag abgeschlossen hat, bedeutet das, dass er nicht mehr sämtliche Transportkosten fürs Wegbringen der Gülle vergütet bekommt. «Wir sind freiwillig mit dem Phosphor heruntergefahren und haben unseren Betrieb extensiviert», kritisiert er, «doch jetzt streicht man uns die Entschädigung.» Im Schnitt verlieren die Bauern 2500 Franken pro Jahr an Extra-Subventionen.

Kanton setzt auf Freiwilligkeit

Franz Stadelmann, Fachleiter natürliche Ressourcen in der Luzerner Dienststelle für Landwirtschaft und Wald (Lawa), erklärt das so: «Die Phosphordüngung von maximal 90 Prozent des Pflanzenbedarfs soll zu einer Grundanforderung für Direktzahlungen werden. Bei einer Grundanforderung sind zusätzliche Zahlungen oder Entschädigungen durch den Bund nicht mehr möglich.»

Die Dienststelle Lawa stemmt sich gegen die generelle Verschärfung beim Güllenregime. Es unterstützt die Bauern und argumentiert: «Wir meinen, dass wir für den See mit den freiwilligen Massnahmen bessere Ergebnisse erzielen als mit den generellen Massnahmen des Bundes», erklärt Stadelmann.

Stefan Heller, Geschäftsführer des Luzerner Bauernverbandes, doppelt nach: «Die Verschärfung ist diskriminierend, denn sie trifft schweizweit nur die Bauern beim Sempacher- und beim Baldeggersee. Das ist ein Wettbewerbsnachteil für diese Bauern.» 

«Das mag im Moment stimmen», räumt Victor Kessler vom Bundesamt für Landwirtschaft ein. Aber es gebe weitere Regionen, die für solche Massnahmen in Frage kämen. «Auch für den belasteten Zuger- oder Murtensee müssten gemäss Gewässerschutzverordnung die Kantone Zuströmgebiete bestimmen, und dann würden die Verschärfungen auch dort wirksam. Dann ist die Frage der Diskriminierung vom Tisch.»

Phosphoreintrag immer noch zu hoch

Die geballte Opposition der Bauern und der Luzerner Landwirtschaftsbehörden kontrastiert scharf mit den Verhältnissen bei den Seen.

Unbestritten ist, dass der Phosphoreintrag in den letzten 30 Jahren kräftig zurückgegangen ist. Unbestritten ist aber auch, dass immer noch zu viel Phosphor – insbesondere in den Baldeggersee – gelangt. «Wir haben sehr viel erreicht, aber gesund sind die Seen noch nicht», sagt der Gewässerbiologe Robert Lovas von der Dienststelle Umwelt und Energie beim Kanton Luzern.     

Robert Lovas kennt den Zustand der Seen wie kein zweiter. Er sagt, vor allem beim Baldeggersee dürfte es noch länger dauern, bis er gesund ist: «Wenn wir heute beim Baldeggersee die Belüftung abstellen wollten, müssten wir den Phosphoreintrag um die Hälfte reduzieren. Unter diesen Vorzeichen ist die geplante Reduktion des Phosphors auf 90 Prozent des Pflanzenbedarfs ungenügend.»

Viel Geld für ungenügendes Resultat

«Die Bauern haben schon sehr viel zur Gesundung der Seen beigetragen», folgert Victor Kessler diplomatisch, «aber es ist auch klar, dass sie einen Schritt mehr tun müssen. Der Bund hat bisher die Betriebe sehr eng unterstützt, um strukturelle Anpassungen vorzunehmen. Dieses Angebot wurde leider auch zu wenig genutzt. Wir bewegen uns da in einem Konfliktfeld zwischen Ökologie, Wirtschaftlichkeit bei den Bauern und Ansprüchen der Gesellschaft.»

Da kommen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ins Spiel. Sie haben in den letzten 30 Jahren schon gegen 100 Millionen Franken für die Sanierung der Seen bezahlt. «Das ist viel Geld für ein offensichtlich ungenügendes Resultat», entfährt es da Marcel Liner, Projektleiter Landwirtschaftspolitik bei Pro Natura.

Pro Natura will schärfere Einschränkungen

Die Naturschutzorganisation kennt die Verhältnisse gut, denn sie ist Eigentümerin des Baldeggersees. Für Pro Natura sind die Verschärfungen beim Güllenregime viel zu zaghaft. «Wir verlangen in der Vernehmlassung zur neuen Direktzahlungsverordnung eine Reduktion der Phosphordüngung auf 75 Prozent», betont Marcel Liner. «Das ist immer noch sehr moderat angesichts der Schritte, die dringend nötig wären.»

Für Bauer Konrad Jund ist das nicht akzeptabel. «Es ist klar, dass wir da Interessengegensätze haben, das müssen wir akzeptieren. Doch wenn man uns noch mehr unter Druck setzt, können wir nicht mehr rentabel wirtschaften.»

«Die Bauern haben mit der Wertschöpfung aus ihrer Fleischproduktion Geld verdient», hält Marcel Liner von Pro Natura dagegen, «sie haben Direktzahlungen bekommen und sie haben über den Seevertrag Extra-Subventionen erhalten. Sie wurden also vom Staat dafür belohnt, dass sie die Tierbestände nicht senken mussten.» 

Einkommensalternativen als Ausweg

Trotz der Verschärfungen beim Güllen – die Bauern können ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. «Es gibt sicher viele Möglichkeiten», sagt Victor Kessler vom Bundesamt für Landwirtschaft dazu. «Die Bauern könnten Alternativen suchen, etwa mit Obst- und Beerenanbau. Sie könnten Tourismusangebote und Verpflegungen anbieten, auf die biologische Landwirtschaft umsteigen, in die Direktvermarktung investieren oder mit der Energiegewinnung dazuverdienen. Dafür gibt es entsprechende Förderprogramme von Bundesseite.»

Kessler, während Jahren selber Bauer im Jura, hat sehr konkrete Ideen, was er tun würde. «Die Lage hier um die Seen ist besonders privilegiert. Ich würde auf Bio umsteigen und eine Direktvermarktung anbieten, ich würde auf Mutterkuhhaltung setzen und Touristen auf dem Hof beherbergen. Das machen schon etliche Bauern hier, und sie machen das mit Erfolg.» Die Bauern, schliesst Kessler, müssten Ideen entwickeln. «Dann gibt es für jeden hier ein Auskommen, und die Seen werden davon profitieren.»

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