Werden Schüler von Lehrern instrumentalisiert?

Demo-Verbot für Schulrektoren

Die Schülerdemo vom vergangenen Donnerstag an der Kantonsschule Reussbühl: Wie viel Initiative kam tatsächlich von den Schülern? (Bild: zvg)

Lehrer und Schüler gehen in Massen für Demos gemeinsam auf die Strasse, um gegen den geplanten Abbau im Bildungswesen zu demonstrieren. Initianten sind oft die von den Sparplänen stark betroffenen Lehrer selbst, die gegen ihren Brötchengeber aktiv werden. Wie lustig findet das der Kanton?

Die Luzerner Kantonsregierung will neben dem laufenden Entlastungsprogramm bis 2019 zusätzlich 330 Millionen Franken einsparen. In der Session vom 30. November und 1. Dezember wird das Kantonsparlament über das Budget und die verschiedenen Sparmassnahmen beschliessen. Doch so viel steht bereits fest: Ob Bildung, Gesundheit, Kultur, Sicherheit oder Soziales – es gibt kaum einen Bereich, der nicht vom geplanten Sparpaket betroffen ist (zentral+ berichtete).

Obwohl alle den Gürtel enger schnallen müssen, hallt der Widerstand aus einer Ecke besonders laut: Die Lehrerschaft setzt sich vehement gegen die Abbaumassnahmen im Bildungsbereich ein und macht gegen die Sparpläne mobil. Schliesslich sollen alleine bei der Bildung 68,3 Millionen weggespart werden (siehe Box) – auch wenn der neuste Vorschlag der CVP in letzter Sekunde alles auf den Kopf stellen könnte.

Die Folge der Sparmassnahmen: eine Flut von Demos, bei welchen die Betroffenen ihrem Ärger Luft verschaffen. So etwa auch am vergangenen Donnerstag an der Kantonsschule Reussbühl (zentral+ berichtete).

Lehrer ziehen die Fäden

Die Protestaktion wurde gemäss Medieneinladung von den Lehrern und dem Schülerrat gemeinsam organisiert. Vor Ort wurde jedoch deutlich, dass die Federführung der Aktion bei der Lehrerschaft lag, obwohl letztendlich fast nur Schüler auf dem Pausenplatz standen. Diese posierten während der unterrichtsfreien Zeit am Mittag zehn Minuten auf dem Pausenplatz, damit Fotos von «ihrem» Protest gemacht werden konnten, die im Anschluss an die Medien verschickt wurden. 

Genügend Lernende für den Protest zu gewinnen, scheint nicht allzu schwierig zu sein, schliesslich sind ja auch sie direkt vom Bildungsabbau betroffen. Doch: Ohne Initiative seitens des Lehrervereins wäre das Titelfoto des Artikels nicht zustande gekommen, es hätten sich keine Schüler vor der Kanti versammelt und es hätte wahrscheinlich auch gar keinen Protest seitens der Schüler gegeben. Es stellt sich somit die Frage, ob es nicht etwa die Lehrer sind, die ihr politisches Engagement zum Kampf ihrer Schüler werden lassen. Werden Lernende für die Demos der Lehrer instrumentalisiert?

Dieser Verdacht kam diese Woche auch bei Volksschullehrern der Stadt auf. Sie protestierten mit am Schulhaus befestigten Transparenten gegen die Sparmassnahmen, etwa beim Maihofschulhaus. Doch die Stadt schritt umgehend ein und liess die Transparente wieder entfernen, wie die «Neue Luzerner Zeitung» schrieb. Begründung der Stadt: Der Aushang privater Transparente (der VPOD war federführend bei der Aktion) an Schulhausfassaden tangiere das städtische Eigentum in unzulässiger Weise.

Lehrer müssen sich an Weisungen halten

Hans-Peter Heini ist Departementssekretär der kantonalen Bildungs- und Kulturdirektion. Sein Chef, Regierungsrat Reto Wyss, muss die Sparmassnahmen mittragen und gegen aussen wie innen verteidigen. Heini gibt sich moderat gegenüber den vielen Lehrer- und Schülerdemos. Auf die Frage, ob Lehrer nicht öfters mal Schüler für ihre Zwecke instrumentalisieren würden, sagt Heini: «Diesen Vorwurf habe ich bisher noch nicht gehört. Schüler müssen selber entscheiden können, ob sie an einer Demo teilnehmen, brauchen aber dazu eine Bewilligung, konkret müssen sie also die Absenzenregelungen beachten. Aber natürlich herrscht ein allfälliger Gruppenzwang, wenn die ganze Klasse oder grosse Teile davon teilnehmen. Wenn allerdings die Lehrpersonen Druck auf die Schüler ausüben, verletzen sie unter Umständen arbeitsrechtliche Pflichten.»
 
Doch wie handhabt der Kanton die Teilnahme von Lehrern und Schülern an Demos, die sich gegen Pläne des Kantons richten, überhaupt? Dafür gibt es klare Weisungen, sagt Hans-Peter Heini. Die da wären:

  •  Ausserhalb der Arbeitszeit, also auch über Mittag, ist es den Lehrern grundsätzlich gestattet, an Demos teilzunehmen. Ob sich die Lehrer in der Vergangenheit immer daran gehalten haben, kann Heini nicht sagen, bekannt sei ihm nichts. «Wir kontrollieren das nicht, das ist Sache der Schulleitung.» Grosses Konflitkpotenzial gibt es hier aber wohl nicht: Die allermeisten Demos finden entweder am späteren Nachmittag (wie jene auf dem Kornmarkt) oder über Mittag (wie jene in der Kanti Reussbühl) statt. Ausnahme war eine Demo letztes Jahr vor dem Regierungsratsgebäude gegen Sparpläne in der Bildung. Diese fand am Morgen vor der Budgetdebatte statt.
  • Während der Arbeitszeit gibt es für Lehrpersonen verschiedene Einschränkungen. «Sie unterstehen in dieser Zeit ihrer Dienstpflicht und einer Treupflicht dem Arbeitgeber gegenüber. So schuldet ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber stets ein gewisses Ausmass an Loyalität», sagt Heini. Und hier wird’s interessant. Denn: «Angestellten in höheren Positionen ist die Teilnahme an Demonstrationen untersagt.» Ein Rektor etwa oder Prorektor darf laut Heini folglich nicht an einer Demo teilnehmen. «Dies gilt als Treupflichtsverletzung gegenüber dem Arbeitgeber», erklärt Heini. «Einfache» Angestellte, etwa normale Lehrpersonen, dürfen an Kundgebungen teilnehmen. Allerdings mit Einschränkungen: Sie dürfen sich an der Demo zwar als Lehrer zu erkennen geben – aber nicht als offizielle Vertreter der Schule. «Das wird grösstenteils eingehalten. In wenigen Einzelfällen haben wir die Person darauf aufmerksam machen müssen», sagt Heini. Zu Sanktionen habe dies jedoch nicht geführt.
  • Für Schüler und Studenten gilt: Sie müssen sich an die Absenzenreglemente der jeweiligen Ausbildungsstätte halten. Für Demos brauchts eine Bewilligung, dann gilt die Absenz als entschuldigt. «Das wird in der Regel auch eingehalten», sagt Heini. Falls nicht, gibt es einen Eintrag.

«Wenig Rückhalt in Bevölkerung»

Das Thema wird auch in der Politik diskutiert. SVP-Kantonsrat Armin Hartmann etwa meint: «Ich stelle fest, dass es vor allem Direktbetroffene sind, die zum Instrument Demonstrationen greifen. In der übrigen Bevölkerung spüre ich hingegen eher wenig Rückhalt für deren Anliegen. Die Mehrheit unterstützt den Sparkurs.»

Und für Gaudenz Zemp, FDP-Kantonsrat und Direktor des Gewerbeverbandes, beruhen viele Anti-Spar-Demos auf einem Missverständnis. Aus bürgerlicher Sicht sei das Problem der knappen Finanzen auf der Ausgabenseite festzumachen: «Die Kosten wachsen stärker als geplant. Deshalb muss nun dieses Wachstum reduziert werden. Es kann nicht mehr ausgegeben werden, als es die vom Volk definierte Schuldenbremse erlaubt.» Gleichzeitig zeigt Zemp Verständnis für die Demonstrationen von Lehrern und Schülern: «Einige der geplanten Massnahmen sind nicht sinnvoll und sie müssen korrigiert werden.» Damit meint Zemp unter anderem die geplante Schliessung der Fachklasse Grafik. «In der Summe ist der Weg aber notwendig und richtig. Der Kanton ist nicht am Sparen, sondern am Eindämmen des übermässigen Wachstums.»

Lehrer sind gut organisiert

Auf der anderen Seite sagt Peter Zosso, Rektor der Kanti Reussbühl und CVP-Kantonsrat, dass die Lehrpersonen gut organisiert seien. «Die Lehrpersonen haben Übung im Protestieren. Seit Jahren kommen zum Teil die gleichen Sparmassnahmen auf den Tisch. Am Anfang waren es mehr einzelne Lektionen oder Fächer, jetzt trifft es mehr und mehr alle.» 

Deshalb sei es logisch, so Zosso weiter, dass sich auch Schülerorganisationen zusammentun. «Elternbeiträge werden erhöht und eine Woche Zwangsferien eingeführt. Letztes Jahr waren es die Sparmassnahmen bei der Mensa. Das betrifft die Schüler genauso.» Verschiedene Schülerorganisationen hätten Petitionen an den Kantonsrat eingereicht. 

Lehrkräfte stehen in der Pflicht

«Lehrpersonen stehen in der Pflicht, die Schüler über die Konsequenzen des Sparpakets aufzuklären», meint Joël Mayo, Präsident der Juso Kanton Luzern. Mit «Instrumentalisieren» habe das nichts zu tun, denn ob die Schüler dann tatsächlich an den Kundgebungen teilnehmen, sei freiwillig. Als Student an der PH Luzern und angehender Sekundarlehrer ist Mayo von den Sparplänen gleich doppelt betroffen – weshalb er sich auch gegen die Bildungspolitik des Kantons zur Wehr setzt.

«Eigentlich ist es nicht mehr zu verantworten, dass sich ein PH-Absolvent um eine Stelle beim Kanton Luzern bewirbt.»
Joël Mayo, Aktionsgruppe kritischer unabhängiger Studierender (AKUS)

Juso-Präsi macht an PH Luzern mobil

68,3 Millionen sollen bei der Bildung gespart werden

Alleine in der Bildung will der Kanton Luzern 68,3 Millionen Franken einsparen (zentral+ berichtete). Dies soll mit verschiedenen Massnahmen erreicht werden: Zwangsferien, Streichung von Unterrichtslektionen, Erhöhung der Semestergebühren und der Kosten für den Instrumentalunterricht, weniger Lohn und mehr Verpflichtungen für Lehrer. In der Session vom 30. November und 1. Dezember wird das Luzerner Kantonsparlament über das Budget und die verschiedenen Sparmassnahmen beschliessen. 

Zur Erinnerung: Derzeit erhält die PH Luzern 6,85 Millionen Franken vom Kanton Luzern. Der Beitrag soll im Jahr 2016 auf 5,6 Millionen reduziert werden. Dies soll unter anderem durch eine Vergrösserung der Lerngruppen und einen Pensenabbau bei den Dozenten erreicht werden.

«Sparen auf Kosten der Bildung macht keinen Sinn», ist Mayo überzeugt. Mit der «Aktionsgruppe kritischer unabhängiger Studierender» (AKUS), einer losen Gruppierung von Studierenden der PH Luzern, hat er deshalb eine Petition gestartet. «Wir wollen uns gegen die negativen Auswirkungen des Sparprogramms auf die Qualität von Unterricht und die Arbeitsbedingungen von Lehrern einsetzen», erklärt er.

«Wir sehen die uns an der PH Luzern vermittelten Werte und Anforderungen an guten Unterricht durch die anstehenden Abbaumassnahmen im Bildungswesen bedroht», meint er weiter. Deshalb sei es eigentlich auch «nicht mehr zu verantworten, dass sich ein PH-Absolvent nach seiner Ausbildung um eine Stelle beim Kanton Luzern bewirbt».

Schüler gegen Sparwut

Neben den Lehrern in Ausbildung gibt es auch noch andere Schüler, die Initiative zeigen und sich gegen die Bildungspolitik der Kantonsregierung einsetzen. Am Montag, 30. November – dem ersten Sessionstag des Kantonsrats –, gehen Schüler der Mittelschulen auf die Strasse. Der Verein «Lernende gegen die Sparwut» ruft zum Auftakt der Budgetdebatte für diesen Montag um 7.45 bis 9 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Regierungsgebäude auf. Der Verein existiert offiziell seit 2014 und hat sich zum Ziel gesetzt, jegliche Sparmassnahmen im Bereich der Bildung im Kanton Luzern zu bekämpfen.

Wer steht hinter dem Verein? «Wir sind Schüler verschiedener Bildungseinrichtungen im Kanton Luzern», erklärt Anna Gallati. Sie ist eines von fünf Vorstandsmitgliedern der Organisation, die sich bereits 2012 formierte. «Bei uns waren und sind keine Lehrer vertreten», so Gallati, die bis im Sommer die Kantonsschule Musegg besuchte und nun ein Praktikum als Theaterpädagogin macht.

«Bildung ist eines der wichtigsten Güter unserer Gesellschaft und betrifft uns alle», sagt die 20-Jährige. Bildung dürfe auch nicht von finanziellen Mitteln abhängig gemacht werden, ist sie überzeugt. «Der Kanton Luzern wird sich mit diesen kurzfristig gedachten Massnahmen längerfristig schaden.» Da die geplanten Sparmassnahmen nicht nur im Bereich der Bildung negative Auswirkungen hätten, unterstütze man seitens des Vereins auch die Luzerner Allianz für Lebensqualität.

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