Personalnotstand in der «Randregion»

Dem Entlebuch gehen die Ärzte aus

Sie arbeiten momentan für vier: Die zwei Ärztinnen und der Arzt des «Xundheitszentrums» von Escholzmatt-Marbach. (Bild: Sreenshot www.xundsheitszentrum.ch)

Der Kanton Luzern fördert Modelle der medizinischen Grundversorgung, um dem Hausärztemangel entgegen zu wirken. Ein Beispiel sind die «Xundheitszentren», wo mehrere Hausärzte zusammen arbeiten. Doch die Personalsuche ist beinahe aussichtslos, wie die Situation im Escholzmatter «Xundheitszentrum» zeigt. Und wenn dann endlich ein Arzt verpflichtet werden kann, verstirbt dieser plötzlich, wie in einem tragischen Fall vor wenigen Wochen.

Die Eröffnung des «Xundheitszentrums Escholzmatt-Marbach» im April 2013 war ein Staatsakt. Der damalige Regierungspräsident Guido Graf reiste ins Entlebuch und sagte in seiner Funktion als Gesundheitsdirektor, das Zentrum sei die richtige Antwort auf die Hausarztproblematik.

In den ersten Tagen war der Ansturm und die Neugier gross im neuen Zentrum, dessen Bau der Kanton Luzern mit einem Darlehen von einer halben Million Franken unterstützt hat (siehe Infobox). Inzwischen ist die Euphorie einer gewissen Ernüchterung gewichen. Der Grund: Es finden sich keine neuen Ärzte, die im Entlebuch arbeiten wollen.

Josef Schöpfer ist einer der beiden Hausärzte, die das Gesundheitszentrum vor einem Jahr mit begründet haben. «Ich habe 26 Jahre lang eine Einzelpraxis in Escholzmatt geführt», erklärt Schöpfer gegenüber zentral+. Seine Kollege Peter Bannwart, der inzwischen in Pension gegangen ist, war sogar über 35 Jahre Hausarzt in Escholzmatt. «Er war offen für die Zusammenlegung der Praxen im neuen Zentrum und hatte die Patienten seiner Praxis noch in die Gemeinschaftspraxis eingeführt», sagt Schöpfer.

Die Schaffung des Zentrums wurde ausserdem beschleunigt durch die gesundheitlich bedingte kurzfristige Pensionierung des Hausarztes Beat Ineichen aus dem Ortsteil Marbach.

Kein unternehmerisches Risiko

Mit der Gruppenpraxis wollten die älteren Ärzte ihr Wissen teilen, aber auch jüngere Kollegen motivieren, die medizinische Grundversorgung der Entlebucher Bevölkerung weiter zu führen. Ohne dass die beteiligten Ärzte das unternehmerische Risiko der Praxisfinanzierung auf sich nehmen müssen. Denn die Ärzte sind vom Zentrum angestellt.

«Eine Praxis für zwei Junge und zwei Alte war, salopp gesagt, unsere Idee», sagt Josef Schöpfer. Für rund 5’000 Patienten in der ländlichen Gemeinde brauchte es 300 Stellenprozente. «Das ist ideal für vier Ärzte mit einem Teilzeitpensum», sagt Schöpfer. Neben Schöpfer arbeiten heute zwei Ärztinnen im Entlebucher «Xundheitszentrum», Schöpfer arbeitet hundert Prozent, seine beiden Kolleginnen Christine Angehrn-Buck und Karin Stadelmann je 60 Prozent.

Alle paar Monate ein neuer Arzt

Nur drei Stellen sind also besetzt. Für die vierte Stelle gaben sich die letzten Monate ein Arzt nach dem anderen die Klinke in die Hand. Der erste Stelleninhaber aus Deutschland blieb nur fünf Wochen, ihm war es zu eng im Entlebuch. Den zweiten Arzt, einen tüchtigen Griechen, fanden die Entlebucher sympathisch. «Ein Mann des Lächelns», erinnert sich Schöpfer. Doch der Arztkollege sei richtig «krank geworden vor Heimweh und vermisste seine Familie». Er ging ebenfalls.

Der letzte Vorfall war tragisch: Ein 63-jähriger Berliner, gut im Saft und sportlich, wollte sich noch bis zu seinem 70. Lebensjahr im Entlebuch engagieren. Doch er verstarb vor rund drei Wochen urplötzlich, an Herzversagen.

«Der Tierarzt ist immer da, ihr nicht, hören wir manchmal»,

sagt Dr. med. Josef Schöpfer

Patienten haben genug von ständigen Wechseln

Das «Xundheitszentrum» von Escholzmatt-Marbach

Das im März 2013 eröffnete «Xundheitszentrum Escholzmatt-Marbach» ist neben dem Arztzentrum auch Sitz der lokalen Spitex. Das Zentrum wird betrieben von der Ärztekasse, einer standeseigenen Genossenschaft. Das Zentrum ist aber laut dem interimistischen Geschäftsführer Ueli Riesen eine selbständige Aktiengesellschaft.

Der Kanton Luzern hat den Neubau als NRP-Projekt (Neue Regionalpolitik) mit einem Darlehen von 500'000 Franken unterstützt. Mittlerweile gibt es vier solche «Xundheitszentren» in der Zentralschweiz, neben Escholzmatt-Marbach in Beromünster, Buttisholz (LU) sowie Oberägeri (ZG). Ärztewechsel gab es, ausser in Buttisholz, auch in den anderen Zentren. Das bestätigt Riesen, der auch Direktionsmitglied der Ärztekasse ist.

Seither müssen die verbliebenen Ärzte den Verlust ihres Kollegen kompensieren und leisten Mehrarbeit. «Für die Patienten ist die Situation besonders schlimm», sagt Schöpfer.  Die wiederholten Wechsel kommen nicht gut an. Manche Personen mit chronischen Krankheiten, beispielweise Diabetes, insbesondere aber ältere Menschen, seien dringend darauf angewiesen, dass sie immer den gleichen Hausarzt hätten, der ihre Krankheit beobachtet, sie begleitet und betreut. «Manche haben unser Zentrum mittlerweile leider verlassen», sagt der Allgemeinpraktiker.

Komfort verloren

Doch nicht nur die dauernden Wechsel sind mittlerweile ein Gesprächsthema im Entlebuch. Auch die Tatsache, dass die Hausärzte und –ärztinnen nicht mehr ständig verfügbar sind, macht manch einem Escholzmatter Mühe. «Wir waren früher praktisch 24 Stunden für die Patienten erreichbar, Tag und Nacht», erzählt Schöpfer. Für das Familienleben und die Gesundheit des Arztes sei das belastend gewesen. Für die Bevölkerung natürlich ein Komfort, der verloren gegangen ist.

Heute hat jeweils ein Haus- oder Spitalarzt Notfallpikett am Spital Wolhusen. «Für die Bevölkerung ist das schwierig zu akzeptieren. Ich habe mir auch schon anhören müssen, der Tierarzt sei immer da, wenn man ihn brauche, wir nicht mehr», sagt Schöpfer.

«Du musst Leute und Gegend mögen»

Was braucht es, um als Hausarzt im Entlebuch glücklich zu werden? Josef Schöpfer denkat lange nach: «Du musst die Leute gerne haben und die Gegend mögen. Ausserdem muss man neben Chirurgie und Innerer Medizin auch von Kindern etwas verstehen.» Im Spital sei es einfacher, da gebe es den Oberarzt, den Chefarzt oder den Spezialisten. «In unserem Beruf ist man mehr auf sich gestellt, braucht Mut und die Fähigkeit, auch einmal zugeben zu können, wenn man etwas nicht weiss.»

Geld, so Schöpfer, sei keine Motivation, mehr Hausärzte fürs Entlebuch zu gewinnen. Denn erstens verdient man als Hausarzt im Vergleich zum Spezialisten bekanntlich weniger. «Motivation und Begeisterung kann man man ausserdem nicht befehlen», ist Schöpfer überzeugt.

Geschäftsführer: «Es ist ein Land-Stadt-Problem»

«Die Problematik der Ärztesuche für Praxen in Randgebieten ist schweizweit dieselbe», sagt Ueli Riesen, interimistischer Geschäftsführer des Xundheitszentrums Escholzmatt-Marbach und Direktionsmitglied der Ärztekasse. Stellen in Stadt und Agglomeration seien attraktiver. «Es ist daher kein ‚Entlebuch-spezifisches‘ Problem, dass es schwierig ist, geeignete Ärztinnen und Ärzte zu finden», sagt Riesen.

«Die grosse Schwierigkeit ist, dass sich heute viele Ärzte melden, für deren Familien es nicht immer einfach ist, sich im neuen Umfeld zu integrieren. Dies bedeutet natürlich viel Aufwand im Selektionsverfahren».

Ueli Riesen: «Für das Xundheitszentrum Escholzmatt-Marbach sind wir intensiv auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger des kürzlich verstorbenen Arztes. Schön wäre es, jemanden aus der Region zu finden. Die Suche erstreckt sich aber auch über die Landesgrenze hinweg, geht es doch darum, die Versorgung in Escholzmatt-Marbach langfristig zu sichern.»

Zur Äusserung des Luzerner Gesundheitsdirektors Guido Graf, die Gesundheitszentren seien die Lösung der Hausarztproblematik, sagt Riesen: «So absolut würde ich das nicht formulieren. Sie sind sicher ein Ansatz für eine gute Lösung. Wenn der Arzt kein finanzielles Risiko tragen und eine Praxis finanzieren muss, findet man eher jemanden.»

Kanton will Beruf attraktivieren

Der kantonale Gesundheitsdirektor ist ebenfalls über die Situation im Entlebuch informiert. Was sagt Guido Graf zur Situation? Immerhin verspricht sich die Politik von solchen ambulanten Zentren kostendämpfende Effekte. «Der Kanton sucht nicht aktiv Personal. Mögliche Interessenten weisen wir aber selbstverständlich auf offene Stellen und interessante Projekte hin.» Gibt es einen «Plan B», wenn man langfristig niemand findet im Entlebuch? Graf: «Damit kein Plan B notwendig wird, bemühen wir uns auf verschiedenen Ebenen, die Hausarztmedizin mit verschiedenen Partnern attraktiv zu machen.»

Zu den Massnahmen zählt der Gesundheitsdirektor zum Beispiel das neue «Praxisassistenzprogramm», das Regierungs- und Kantonsrat im Frühling beschlossen haben. Angesprochen sind Assistenzärzte und -ärztinnen, die sich in Weiterbildung zu einem Facharzttitel der Grundversorgung befinden und an einer späteren Praxistätigkeit im Kanton Luzern interessiert sind. Der Kanton übernimmt zwei Drittel des Lohns für ein Praktikum in einer Hausarztpraxis, die Praxis ein Drittel.

Graf erwähnt weiter das Projekt, ein Institut für Hausarztmedizin in Luzern zu gründen. Da die Luzerner Universität keine medizinische Fakultät hat, wäre das Institut am Kantonsspital angesiedelt. Eine weitere Novität ist der gemeinsam von Hausärzten und regionalen Landspitälern betriebene Notfall am Spital.

Was sagen Sie zum Ärztemangel? Sollte man Stadtärzten mehr Lohn zahlen, damit sie aufs Land ziehen? Gibt es andere Lösungen? Benutzen Sie die Kommentarfunktion.

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