Luzerner Traditionshaus Gränicher trotzt der Krise

«Viele Leute wollen sich nicht mit Verkäufern herumschlagen»

Hat Gränicher vor 14 Jahren übernommen: Michael Arabiano.

(Bild: zvg/Rolf Weiss)

Es kriselt im Detailhandel und traditionelle Geschäfte verschwinden. Gränicher tut das Gegenteil: Das alte Luzerner Kleidergeschäft hat gerade zwei neue Filialen eröffnet. In einem seiner wenigen Interviews sagt der Geschäftsführer, was ihn antreibt. Und er verrät das Geheimnis der guten Beratung.

Die Geschichte geht so: Detailhändler klagen, Läden schliessen, internationale Ketten verdrängen die lokalen Läden. Der Online-Handel entrümpelt gerade eine ganze Branche. Vielen steht das Wasser bis zum Hals.

Es gibt aber auch diese Geschichte: In Luzern existiert seit über 125 Jahren ein Kleidergeschäft namens Gränicher. Das einst etwas angestaubte Geschäft für Herrenmode an der Pilatusstrasse 9 beweist Lust am Experiment. Es baut seine Verkaufsfläche stetig aus.

  • Zum Stammhaus an der Pilatusstrasse kam 2010 eine Filiale für Damen an der Weggisgasse hinzu.
  • Vor vier Jahren eröffnete ein neues Geschäft in Sursee – ebenfalls für Damen.
  • Im Dezember 2017 übernahm Gränicher das Haus am Weinmarkt 8 und vergrösserte das Angebote für Damen auf weitere drei Stockwerke und insgesamt 900 Quadratmeter.
  • Seit kurzem ist das Geschäft auch an der Pilatusstrasse 25 mit dem Concept Store «P25» präsent. Dort verkauft es progressivere Modemarken aus Paris, London oder Tokyo.

 Altmodisch und verstaubt

Der Mann hinter dieser Entwicklung sitzt auf einem Ledersofa im ersten Stock seines Herrengeschäfts. Es ist ruhig an diesem Montagnachmittag, die Angestellten bewegen sich diskret zwischen den ausgestellten Kleidern.

«Wir müssen uns anpassen und immer wieder überlegen, warum es uns heute noch braucht», sagt Michael Arabiano. Er hat das Geschäft vor 14 Jahren von der Besitzerfamilie übernommen. Damals 26 Jahre alt, kaum Erfahrung als Unternehmer, ein Neuling in der Branche, aber mit Gespür für den Verkauf. Trotz der langen Tradition spricht er immer von einem jungen Unternehmen.

Das Gränicher-Flagschiff: Der Hauptsitz an der Pilatusstrasse 9 verkauft Herrenmode.

Das Gränicher-Flagschiff: Der Hauptsitz an der Pilatusstrasse 9 verkauft Herrenmode.

(Bild: jwy)

Arabiano hat Gränicher entstaubt, führt das Geschäft behutsam in die Moderne. Er baut aus und verjüngt das Angebot. «Der Brand war alles andere als sexy: altmodisch, verstaubt, hochpreisig», erinnert er sich. Ein Paket von Gränicher unter dem Christbaum habe damals keine Freude geweckt.

«Man darf nicht vergessen, woher man kommt.»

Trotzdem sah man damals von einem kompletten Rebranding ab, auch weil schlicht das Geld dafür fehlte. Der Unternehmensleiter spricht von einer Evolution: «Am besten macht man kleine Schritte, dann kann man besser reagieren, wenn etwas nicht funktioniert.» Gränicher muss neue Kunden gewinnen, darf die alten aber nicht verlieren. So gehört auch die Familie Gränicher immer noch zur Kundschaft. «Man darf nicht vergessen, woher man kommt», sagt Arabiano, dessen Tanten schon Schneiderinnen in diesem Haus waren.

Deal mit einem Handschlag

Der gebürtige Nidwaldner hat die Chancen gepackt, wenn sie sich boten. Dazu braucht es auch Glück. Dass das prominent sichtbare Haus am Weinmarkt 8 frei wurde, erfuhr Arabiano zufällig bei einem Spaziergang. Nach einem Kaffee und einem Handschlag war der Deal besiegelt. «Geschäfte, die sich so ergeben, sind immer die besten.»

Die Strategie hatte er schon lange in der Schublade, «aber so einen Standort zu finden, ist heute sehr schwierig», sagt der Geschäftsführer. Die kleine Filiale an der Weggisgasse deswegen aufzugeben, kommt trotzdem nicht in Frage. «Ein Baby gibt man nicht gerne weg.»

Dass das Kleidergeschäft mit dem Weinmarkt 8 an den Gründungsort zurückgekehrt ist, schliesst den Kreis: Dort fing die Familie Gränicher 1891 an zu geschäften.

Mehr Raum für die Frauenmode: Am Weinmarkt hat sich Gränicher auf drei Etagen ausgebreitet.

Mehr Raum für die Frauenmode: Am Weinmarkt hat sich Gränicher auf drei Etagen ausgebreitet.

(Bild: jwy)

Dass schliesslich an der Pilatusstrasse 25, zwei Gehminuten vom Stammhaus, im Dezember noch ein Concept Store dazukam, ist dem Zufall geschuldet und war «überhaupt nicht so geplant», so Arabiano. Also doch ein bisschen Revolution im alten Gebälk. «Das ist unser Experiment, quasi die progressive Spitze im Sortiment», sagt er.

Wachstum auch beim Umsatz

Keine Spur von Krise bei Gränicher? «Klar, merken wir die Veränderungen, wir entwickeln uns nach wie vor vorwärts, aber der Schub hat sich verlangsamt», sagt Arabiano. Aber trotz schwierigem Umfeld wächst das Haus nicht nur bei der Ladenfläche, sondern auch beim Umsatz. «Letztes Jahr sind wir mit der gesamten Firma zweistellig gewachsen», verrät Arabiano.

«Es braucht Convenience und es braucht uns, beides hat seine Berechtigung.»

Gränicher geht mit der Zeit und verkauft heute neben klassischer und festlicher Konfektion auch sportlichere und moderne Marken. Das Unternehmen ist auf Facebook und Instagram aktiv, mit Werbung und Medienauftritten ansonsten aber zurückhaltend.

Der Online-Handel geht auch an Gränicher nicht spurlos vorüber. Deswegen ist das Geschäft gerade am Aufbau eines Webshops, damit man ein digitales Schaufenster habe, wenn die Kunden am Wochenende auf dem Sofa durchs Angebot scrollen.

Aber Versandhäuser habe es schon früher gegeben, das sei nichts Neues. «Es braucht Convenience und es braucht uns, beides hat seine Berechtigung.» Ebenso das Abo für schwarze Socken wie die aufwendige Beratung für einen neuen Anzug.

Personal als wichtigste Ressource

Seine Daseinsberechtigung sieht Arabiano einerseits im Angebot. «Aber noch wichtiger als das Sortiment und die Ladenfläche ist das Zwischenmenschliche», sagt er. «Bei uns ist das keine Floskel, das kann man nicht ersetzen.» Und es sei das Einzige, was sie besser machen könnten als die Konkurrenz, wozu auf dem Platz Luzern etwa PKZ oder der nahe Globus gehören. «Das Personal ist unsere wichtigste Ressource und unsere Kernkompetenz», sagt er.

Die Kunden müssten der Kompetenz der Verkäufer vertrauen – wie man im Restaurant auf die Empfehlungen des Tages hört, auch wenn das heute nicht mehr so viel Wert habe, sagt er mit Bedauern. Aber schliesslich würden 62 Prozent der Kunden den Laden wechseln, weil sie unfreundlich bedient wurden.

Die neuste Filiale war nicht geplant: An der Pilatusstrasse 25 betreibt Gränicher den Concept Store P25.

Die neuste Filiale war nicht geplant: An der Pilatusstrasse 25 betreibt Gränicher den Concept Store P25.

(Bild: jwy)

«Wieso kaufen heute so viele Leute online ein?», fragt Arabiano – und gibt die Antwort gleich selber: «Weil sie sich nicht mit Verkäufern herumschlagen müssen, sie finden es unangenehm.» Ebenso wie in der Gastronomie gebe es in seiner Gilde leider viele unprofessionelle Leute. «Das Personal zu halten, ist für mich das A und O.»

Allen neuen Mitarbeitern drückt Michael Arabiano deshalb ein Buch von 1953 mit 99 Regeln des Verkaufs in die Hand, das schon Herr Gränicher verteilte. «Die stimmen heute noch, es geht schliesslich um Menschen», sagt er. «Jeder Lehrling liest das und schreibt seine zehn wichtigsten heraus.»

Gute Beratung ist heute selten

Aber was heisst für ihn gute Beratung? «Unser Job ist es, dem Kunden etwas zu verkaufen, das ihm Freude macht und das seine Persönlichkeit unterstreicht.» Und den Kunden, der immer das gleiche will, auf etwas Neues aufmerksam machen. «Wir beraten, wir servieren nicht nur», sagt Arabiano.

Und genauso wichtig ist ihm: den Kunden nie überfallen und damit gleich wieder aus dem Laden treiben. «Beratung ist das schwierigste und schönste zugleich», sagt er.

«Es braucht für alles Spezialisten. Wir sind der Lumpenhändler.»

Bei Gränicher werde mit einem neuen Kunden der Augenkontakt gesucht, wenn er den Laden betritt. «Ich muss den Kunden lesen: Will er mich oder nicht?» Falls nein, werde er in Ruhe gelassen. «Der Kunde soll sich frei bewegen und unverbindlich anprobieren können, aber das sind sich viele gar nicht mehr gewohnt.» Ein vorschnelles «Darf ich Ihnen helfen?» hört man deshalb im Gränicher nicht.

Kein Interesse an der Mall

Am Standort Stadt Luzern hält Gränicher fest, auch wenn er längst nicht mit allen Entwicklungen in der Stadt glücklich ist – Stichwort Verkehr und Erreichbarkeit. Auch die Mall of Switzerland war und ist für ihn deshalb kein Thema (zentralplus berichtete). «Das ist nicht unsere Welt, es kommt alleine aus den Werten, die wir vertreten, nicht infrage.»

Luzern ist zwar klein und nicht gerade als Modehotspot bekannt, aber das Einzugsgebiet ist über die Zentralschweiz hinaus gross. Auch weil es das Konzept von verschiedenen Brands unter einem Dach immer weniger gebe. Arabiano glaubt an seine Nische und sieht die Zukunft positiv, weil es wie den Metzger und den Käser auch für die Bekleidung Spezialisten braucht. «Es macht das Leben lebenswerter, wenn man mit Spezialisten reden kann», sagt er. «Es braucht für alles Spezialisten. Wir sind der Lumpenhändler, und der sind wir gerne.»

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