Startup treibt weltweiten Kunsteis-Trend voran

Die Revolution des Eishockeys soll in Luzern starten

Die Gründer vom «Glice»: Viktor Meier (links) und Toni Vera an der Eröffnung einer künstlichen Eisbahn in Chile.

(Bild: zvg)

Sie sollen die Zukunft des Schlittschuhsports verändern: synthetische Eisbahnen. «Null Energie»-Felder brauchen deutlich weniger Energie und liegen damit ebenso wie Kunstrasen im Trend. Der grösste Anbieter ist in der Stadt Luzern angesiedelt. Doch vor allem die alte Eishockey-Garde gehört zu den Zweiflern.

Viktor Meiers Stimme verstummt immer wieder während des Telefongesprächs. Der Luzerner entschuldigt sich, er weile gerade in Singapur, ein Zwischenhalt auf seiner Reise nach Australien. Meier besucht diese Länder für einen ganz speziellen Zweck: Um Eisbahnen zu verkaufen. Und es laufe gut, gerade habe er an einem Touristen-Hotspot eine Schlittschuhbahn eröffnen können. Was?, denkt man sich, Schlittschuhfahren in Singapur?

Tatsächlich: Glice, so der Name des Luzerner Start-ups, vertreibt Kunsteisbahnen, die selbst den wärmsten Temperaturen trotzen. Die Innerschweizer sind in der Branche weltweit führend. Neu vertraut auch der HC Luzern den Kunsteis-Herstellern. Der städtische Hockeyclub weiht diesen Samstag sein neues Trainingcenter ein, in dem eine synthetische Eisbahn künftig Trainings bei jeder Temperatur erlaubt.

Je länger man fährt, desto besser

Das Kunsteis, von Mitgründer Toni Vera entwickelt, besteht aus hochwertigen Polymeren und verschiedenen Zusatzstoffen, die unter extrem hohem Druck gepresst werden. Fährt man mit Schlittschuhen über das Kunsteis, wird dadurch ein Gleitstoff freigesetzt – die Qualität des Fahrgefühls verbessert sich also durch die Benützung weiter. Das Gefühl auf dem Synthetikeis sei «praktisch identisch mit jenem auf Natureis», verspricht Viktor Meier.

«Ein Quadratmeter Natureis verbraucht im Jahr gleich viel Energie wie ein durchschnittlicher Haushalt.»

Viktor Meier, Mitgründer Glice

Er sei durch den Umwelttrend zum Kunsteis gekommen, sagt der 39-Jährige. «Ein Quadratmeter Natureis verbraucht im Jahr gleich viel Energie wie ein durchschnittlicher Haushalt. Das ist selbst in unseren Breitengraden längst nicht mehr ökologisch.» Mit ihrer synthetischen Variante versprechen die Hersteller ein Eisfeld zum energetischen Nulltarif.

Die Gründer Toni Vera (links) und Viktor Meier.

Die Gründer Toni Vera (links) und Viktor Meier.

(Bild: zvg)

Wobei der Term «Null Energie» erst ab dem Zeitpunkt des Aufbaus stimmt, das räumt auch Meier ein. Doch die Produktion sei zu vernachlässigen, da die Herstellung der Platten gleich viel Energie verbrauche wie eine Echteisbahn in rund zweieinhalb Monaten. Der Unterschied: «Einmal aufgebaut verbraucht unser Eisfeld weder Strom noch Wasser», sagt Meier. Und das während 20 bis 30 Jahren – so hoch ist die Lebenserwartung der Glice-Felder.

Werbung an den Olympischen Spielen in Südkorea

Glice vertreibt seit sechs Jahren künstlich hergestellte Eisfelder. Zu den Abnehmern gehören Privatkunden, Gemeinden, Hockeyschulen oder Veranstalter, die temporär eine Eisbahn mieten.

Das Bedürfnis nach Kunsteis wächst analog zum Klimawandel: Über 100 grössere Eisbahnen verkauften die Luzerner im letzten Jahr. Der neuste Coup: Der Anlass eines Energy-Drinks wird künftig auf Glice-Eis stattfinden. Beim weltweit bekannten Schlittschuhrennen kurven die Teilnehmer in Eishockey-Ausrüstung durch einen Eiskanal in der Innenstadt bekannter Orte, erlaubt ist praktisch alles.

So geht es dabei zu und her:

 

Dass Kunsteis im Trend liegt, zeigt sich derzeit in Pyongyang: Glice ist an den Olympischen Spielen in Südkorea mit einer Kunsteisbahn vor Ort. Das Feld ist sichtbar im Hintergrund des SRF-Olympiastudios aufgebaut – beste Werbung vor einem Millionenpublikum.

Dank Kunsteis zum NHL-Star

Die Werbung spricht auch Privatpersonen an, die einen grossen Teil der Kundschaft von Glice ausmachen. Ab 1500 bis 2000 Franken kann man sich sein eigenes Eisfeld in den Garten stellen. 2017 verkaufte Glice 300 Kleinbahnen. «Anstelle eines Swimmingpools leisten sich viele ein künstliches Eisfeld», sagt Viktor Meier.

Rund 90 Prozent des Absatzes der Kleinbahnen entfällt auf die USA und Kanada. «Eishockeyverrückte» beispielsweise, die für ihre Kinder beste Trainingsvoraussetzungen schaffen möchten. «Um in den Topligen Nordamerikas zu reüssieren, wollen viele Amerikaner ihren Kindern einen Vorteil verschaffen.» Das Kunsteis erlaube im Sommer zusätzliches Techniktraining. So sollen die Sprösslinge den entscheidenden Schritt weiter sein auf dem Weg zum NHL-Star.

Das Eis wird mit Staubsauger gepflegt

Einen Eismeister muss man dafür nicht engagieren, denn das Kunsteis ist pflegeleicht. Ein Vorteil gerade für kleine Vereine oder Eisfeld-Anbieter, denen Personalkosten schwerer auf dem Portemonnaie liegen. «Wir empfehlen, das Eisfeld ein- bis zweimal am Tag staubzusaugen», sagt Meier. Einmal pro Woche muss es mit einer speziellen Lösung gepflegt werden. Dafür gibt’s eine geeignete Maschine zu kaufen.

Der neue Trainingsplatz des HC Luzern besteht aus Kunsteis.

Der neue Trainingsplatz des HC Luzern besteht aus Kunsteis.

(Bild: zvg)

Die Reinigung des Kunsteises kostet also nur einen Bruchteil der berühmten «Zambonis». Die grossen Eisaufbereitungswagen sind im Vergleich riesig. Oder anders ausgedrückt: Ein Eishockeyfeld in olympischer Grösse kostet rund 500000 Franken – so viel wie ein Natureisfeld pro Jahr an Betriebskosten aufwirft.

Skeptiker: «Wie eine Religion»

So gut das alles klingt, es gibt auch Zweifler. «Bei alteingesessenen Eishockeyanern sind auch welche dabei, die prinzipiell gegen synthetisches Eis sind.» Für manche ist es «wie eine Religion»: Hockey auf Kunsteis – das geht nicht. Vor allem in Europa herrscht diese Meinung vor, sagt Meier, Amerika sei grundsätzlich offener für Innovation.

«Professionelles Eishockey wird in absehbarer Zeit nicht auf Kunsteis gespielt.»

Viktor Meier, Mitgründer Glice

Es sei wie beim Kunstrasen im Fussball: letztlich eine politische Entscheidung. Im Fussball ist das synthetische Spielfeld inzwischen seitens der Dachorganisation FIFA für die höchsten Wettbewerbsspiele zugelassen. Manche Länder wie etwa Andorra setzen den Kunstrasen in der Qualifikation für grosse Turniere gar als Heimvorteil ein. So weit ist man im Eissport noch nicht.

«Professionelles Eishockey wird in absehbarer Zeit nicht auf Kunsteis gespielt», sagt Meier, «weil bei den grossen Clubs der finanzielle Aspekt nicht wichtig ist.» Noch ist es nicht einmal in den tieferen Ligen erlaubt, Wettbewerbsspiele auf Kunsteis durchzuführen. Aber ein Umdenken finde statt, so Meier: «Auf der ganzen Welt gibt es immer mehr Verbände, die eine Regeländerung wollen.»

Ausserdem würden auch die wichtigen Akteure zunehmend auf Trainingszentren mit Kunsteis setzen – um ganzjährig unkompliziert trainieren zu können. «Für jedes Spielfeld, auf dem Wettbewerbe stattfinden, braucht es 20 Trainingsfelder. Dort liegt unser Markt», weiss Meier. In der Schweiz ist die Anfrage vergleichsweise noch klein.

Auch in der Schweiz geht etwas

Der «waschechte Stadtluzerner», wie er selber sagt, möchte den Eissport auch Regionen zugänglich machen, die eisige Winterkälte nur aus Erzählungen oder den Ferien kennen. Länder wie Singapur oder Australien, in denen Meier momentan weilt, sollen ebenfalls Schlittschuh fahren können – ohne dafür Unmengen an Energie verbrauchen zu müssen.

Noch ist es ein langer Weg, doch Meier ist optimistisch. Aufträge hat er genug – dafür fliegt er in der ganzen Welt umher.

Curling: Nicht möglich auf Kunsteis

Die Schweiz ist eine Curling-Nation – das hat sich diese Woche wieder gezeigt, als Jenny Perret und Martin Rios als Mixed-Team Silber an den Olympischen Spielen holten. Doch die schweren Steine werden auch künftig nur über Natureis geschoben.

Denn synthetische Eisbahnen kommen dafür nicht in Frage. Simon Eugster, Spielleiter des Curlingclubs Luzern, sagt: «Es wird wohl nie eine Option sein.» Dies aus einem bestimmten Grund: «Die Eigenschaft von natürlichem Eis muss verändert werden können. Mit dem Wischeinsatz wird durch Reibung vor dem Stein Wärme erzeugt, so dass sich für einen kurzen Moment ein dünner Wasserfilm auf dem Eis bildet.» Damit können die Länge und das «Curlen», also der Drehmoment, beeinflusst werden. Diese Dinge sind essentiell für das Spiel.

Curler müssen «Eis lesen» können

Ausserdem: Curlingeis ist ganz besonders präpariert. Mittels sogenanntem «pebbeln» werden Wassertröpfchen auf das Eis gespritzt. Diese frieren an und werden vom Eismeister wieder «abgezogen». Curlingeis hat eine raue Oberfläche. «Die Dicke des Eises, die Dichte und Beschaffenheit des Pebbels sowie das Abziehen bestimmen über die Laufeigenschaften des Steins auf dem Eis», sagt Simon Eugster. Deshalb sei ein guter Eismeister das A und O für jedes Curlingteam. «Die Eigenschaften können von Halle zu Halle variieren», so Eugster, «deshalb muss man als Curler das ‹Eis lesen› können.»

Auch Glice-Chef Viktor Meier sagt, Curling sei nicht möglich auf seinem Eis. Dafür sei Eisstockschiessen ein Markt, in dem das Luzerner Unternehmen immer mehr Abnehmer findet.

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