Dagmersellen macht der Welt Dampf

Beim Luzerner Tabakproduzenten wird die Luft dünner

Seit über 30 Jahren ist Hubert Erni verantwortlich für die Tabakproduktion in Dagmersellen.

(Bild: giw)

Der Zahl der Raucher geht weltweit zurück, die Steuern auf die Glimmstängel werden stetig höher und dann produziert man noch in einem der teuersten Länder: Die Zeiten sind schwierig für die Dagmerseller Zigarettenfabrik von Japan Tabacco International. Ein Augenschein in der Produktionsstätte mit ihren 300 Mitarbeitern, solange es sie noch gibt.

Nur wenige Schritte vom Provinzbahnhof Dagmersellen entfernt liegt die Zigarettenfabrik von Japan Tabacco International (JTI) und beliefert Menschen rund um den Globus mit Glimmstängeln. Der Tabakduft steigt einem sofort in die Nase, wenn man das an der Fabrik anliegende Verwaltungsgebäude betritt.

Hier arbeiten die 100 Angestellten, die sich um Marketing und Vertrieb von Camel, Winston, Benson & Hedges und Co. kümmern. Nebenan wird kräftig produziert. Die Fabrik ist ein wichtiger Arbeitgeber im Luzerner Hinterland. Auf Förderbändern rauschen hier erst grosse Mengen Tabak und dann unzählige fertige Zigaretten durch grosse Fabrikationshallen. Teilweise fahren unbemannte Gabelstapler durch die Gänge.

Die rund 200 Fabrikmitarbeiter, die mehrheitlich aus der Umgebung stammen, stellen 43 Millionen Zigaretten pro Tag respektive 10,3 Milliarden im Jahr her (zentralplus berichtete). Das ist etwas weniger, als in der Gesamtschweiz jährlich geraucht wird – doch nur 15 Prozent davon landen auf dem heimischen Markt. «Wir sind ein wichtiger Arbeitgeber in der Region», erklärt Hubert Erni, der Fabrikdirektor.

Goldene Zeiten sind passé

Die Tabakproduktion hat in der Region Tradition und ist historisch gewachsen. In Triengen hat das Familienunternehmen Villiger seinen Hauptsitz, gleich nebenan, im aargauischen Reinach, lenkt das Tabakunternehmen Burger Söhne AG seine Geschäfte. 1971 siedelte R. J. Reynolds Tobacco Company die Zigarettenproduktion ins luzernische Dagmersellen, 1999 wurde das Auslandgeschäft der Amerikaner an JTI verkauft. Anders als die beiden alteingesessenen Unternehmen leistet sich Japan Tabacco International weiterhin eine örtliche Produktion – doch die goldenen Zeiten sind vorbei und der Standort muss kämpfen.

«Die Automatisierung macht bei uns nicht halt.»

Hubert Erni, Fabrikdirektor JTI Schweiz

Immer wieder wird das Unternehmen als vorbildlicher Arbeitgeber in der Zentralschweiz gerühmt und ausgezeichnet. Um die Stellen im Kanton Luzern halten zu können, müssen sich Fabrikdirektor Hubert Erni und sein Team ständig weiterentwickeln und in die Fabrikinfrastruktur investieren. Dass es schnell gehen kann mit Standortschliessungen von Produktionsstandorten, zeigt das Beispiel des Herzklappenherstellers Edwards Lifescience in Horw vor zwei Wochen (zentralplus berichtete).

Stellen bleiben vorerst erhalten

Der Zigarettenkonsum in den Industriestaaten geht zurück, die Steuerabgaben auf den Tabak steigen: «Das führt zu einer Konzentration und stärkerem Wettbewerb», erklärt Erni. Es kommt deshalb zu Überkapazitäten, der Druck nimmt zu: «In den letzten Jahren wurden einige Produktionsstandorte für JTI in Westeuropa geschlossen und in den Osten verlegt», sagt Erni. Um hier das Überleben zu sichern, bleibt dem Schweizer Standort nichts anderes übrig, als mit der Zeit zu gehen.

«Die Automatisierung macht bei uns nicht halt», erklärt der langjährige Fabrikdirektor. Als er Ende der 80er-Jahre die Position übernahm, habe man zuweilen noch per Hand einzelne Zigaretten hergestellt. Wenn man heute den Gang durch die hochautomatisierten Fertigungsanlagen wagt, ist dies kaum mehr zu fassen.  

«Die Schweiz ist glücklicherweise kein EU-Mitglied.»

Hubert Erni, Fabrikdirektor JTI Schweiz

Zwar würden durch neue Prozesse Jobs wegfallen, doch zu einem massiven Stellenabbau führe die Automatisierung in Dagmersellen nicht, erklärt Kevin Suter. Er verantwortet die Kommunikation in der Schweiz für den internationalen Konzern. «Maschinen übernehmen Prozesse, doch diese müssen auch wieder bedient werden.»

Fabrikdirektor Hubert Erni vor einem «Camel»-Bild in seinem Büro.

Marktanteil in der Schweiz wächst

Um die verarbeitende Industrie im Hochlohnland Schweiz halten zu können, müssen mehrere Faktoren mitspielen, dazu gehören etwa rechtliche Bestimmungen und die europäische Marktentwicklung. «Die Schweiz ist glücklicherweise kein EU-Mitglied. Wir haben deshalb gute Freihandelsabkommen mit Ländern wie Südafrika oder den ehemaligen Efta-Staaten», so Direktor Erni. Ein Vorteil im exportorientierten Betrieb.

Ausserdem darf der japanische Konzern in der Schweiz für Exportländer stärkere Zigaretten herstellen, die in der EU verboten wurden. Doch auch die liberalen Arbeitsgesetze, der geografisch zentrale und verkehrstechnisch gut erschlossene Standort und die tiefen Luzerner Unternehmenssteuern sprechen aus Sicht des Unternehmens für das Wiggertal.

Obwohl nur ein kleiner Anteil der Zigaretten auf dem schrumpfenden Heimmarkt landen, spielt auch der Schweizer Markt eine wichtige Rolle: «JTI konnte sich behaupten und in der Schweiz Marktanteile auf Kosten von anderen Marken zulegen», so der Kommunikationsverantwortliche Suter. Gegenüber 2014 erhöhte JTI in der Schweiz seinen Marktanteil von 16 auf 20 Prozent. In der Schweiz raucht ein Viertel der Bevölkerung ab 15 Jahren gelegentlich oder täglich – das liegt leicht über dem europäischen Durchschnitt.

Breite Produktepalette

Zwar sind die 300 JTI-Angestellten nicht für den Verkauf und Vertrieb der Zigaretten im Ausland zuständig, die sie in Dagmersellen produzieren. Dennoch ist man international vernetzt: «Wir sind bekannt für unser grosses Know-how, die Innovation und Flexibilität in der Produktion. Deshalb werden unsere Mitarbeiter immer wieder für Schulungen im Ausland eingesetzt», so Direktor Erni.

Anders als in den Fabriken in Entwicklungsländern werden in der Schweiz sogenannte Premium-Marken produziert, die sich die meisten Raucher in ärmeren Ländern nicht leisten können. In Afrika werden deshalb ausschliesslich wirtschaftlich besser aufgestellte Länder wie Tunesien, Marokko und Südafrika beliefert.

Hinzu kommen Staaten im Nahen Osten und Asien. Diese Bandbreite zwingt in der Produktion zu komplexen Prozessen, weil sehr unterschiedliche Marken und Verpackungen produziert werden: «Der Trend geht weg von der Massenproduktion hin zu massgeschneiderten Zigaretten», weiss Erni.

In der Fabrik von «Japan Tobacco International»: Tabak auf dem Fliessband in Dagmersellen.

In der Fabrik von «Japan Tobacco International»: Tabak auf dem Fliessband in Dagmersellen.

(Bild: bra)

Schwierige Märkte

Für die trockenen Wüstenregionen produziert man beispielsweise Zigaretten mit spezieller Schutzverpackung, welche den Tabak vor dem Austrocknen schützen. Ausserdem schätzt das kaufkräftige Segment in den Ländern rund um den Globus Zigaretten aus der Schweiz.

Doch die Abhängigkeit von ausländischen Abnehmern ist eine Herausforderung. «Diese Märkte sind teilweise sehr volatil», erklärt Erni. Da könne es sein, dass plötzlich die Nachfrage stark zurückgeht. Und viele verschiedene Lieferländer heisst auch ständig wechselnde Rahmenbedingungen: Kürzlich hatte man einen Auftrag verloren, weil ein Land Bestimmungen erliess, die Warnhinweise auf den Packungen zu vergrössern.

Die verfügbaren Maschinen in der Schweiz konnten die entsprechenden Vorgaben nicht erfüllen. Immer wieder wechselnde Bestimmungen führen dazu, dass Produktionsabläufe angepasst werden müssen. Die relativ liberalen Arbeitsgesetze in der Schweiz helfen da. Sie erlauben es, schnell die Anzahl Mitarbeiter zu erhöhen oder zu reduzieren im Betrieb – obwohl man als guter Arbeitgeber gilt, seien Entlassungen manchmal unabdingbar. Im Klartext: Das Unternehmen gleicht Konjunkturschwankungen mit dem RAV aus.

Bund mit neuer Gesetzgebung

Mit dieser Beweglichkeit und vorteilhaften politischen Rahmenbedingungen legitimiert man in Dagmersellen den Fabrikationsstandort. Doch wie lange die Fliessbänder noch rattern im Wiggertal, das ist nicht sicher, mittelfristig sehe es gut aus, mein Erni: «Langfristig ist es natürlich schwer zu sagen, wie es weitergeht.»

Ein wegweisender politischer Entscheid für die Tabakindustrie in der Schweiz steht diesen Spätherbst an: Der Bundesrat legt einen neuen Entwurf für die Tabakgesetzgebung vor. Obwohl das Parlament mit der Forderung der Regierung einverstanden war, das Mindestalter von 16 auf 18 zu erhöhen, wurde die erste Fassung abgelehnt. Weiterführende Einschränkungen im Bereich Werbung schmetterte das Parlament ab. Nun kommt die überarbeitete Fassung – und je nachdem, was aus Bern kommt, könnte die Luft in Dagmersellen noch dünner werden.

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