Luzern: Rund jeder dritte Flüchtling arbeitet

Viele Hürden und eine halbe Tellerwäscherkarriere

Küchenchef Benno Burger erklärt Hintsa Atsgeba, welche Kräuter in den Eistee gehören.

(Bild: jal)

Hintsa Atsgeba hat es geschafft: Der Flüchtling aus Eritrea arbeitet als Hilfskoch im Restaurant Gartenhaus 1313 in Luzern. Er gehört damit zur Minderheit: Im Kanton Luzern sind bloss rund 30 Prozent der anerkannten Flüchtlinge erwerbstätig. Was braucht es, damit der Schritt ins Arbeitsleben klappt?

Hintsa Atsgeba steht in der schmalen Küche des «Gartenhaus 1313» und schält weissen Spargel. Der 38-jährige Flüchtling ist seit knapp drei Jahren für das Restaurant des Sinnvoll-Gastro-Unternehmens in Reussbühl tätig. Angefangen im Stundenlohn hat er die Verantwortlichen überzeugt und ist seit August 2014 fest als Hilfskoch angestellt.

«Ich bin sehr zufrieden», sagt Hintsa Atsgeba über seine Stelle. Dass er einen Job hat und sein eigenes Geld verdient, ist ihm sehr wichtig. «Ich bin ein Mensch – das heisst, ich muss arbeiten.» In seinem Heimatland hat er gemäss eigenen Aussagen im Holz- und Metallbau gearbeitet. Nun steht er fünf Tage die Woche in der Küche, rüstet Salat und Gemüse, richtet Desserts an und produziert den hauseigenen Eistee. Obwohl er keine Gastro-Ausbildung vorweisen kann, erhält er mehr als den Mindestlohn ausbezahlt – und ist dadurch nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen.

«Bis er den Betrieb kannte und eingearbeitet war, brauchte es etwas mehr Aufwand», sagt Küchenchef Benno Burger. Doch es habe sich ausbezahlt. Die beiden schmeissen die Küche zu zweit – entsprechend sei er darauf angewiesen, dass Hintsa Atsgeba gut mitarbeite.

Luzern besser als der Durchschnitt

Atsgeba gehört indessen zu einer Minderheit unter den Flüchtlingen: Nur 30,4 Prozent der erwerbsfähigen anerkannten Flüchtlinge im Kanton Luzern gehen einer Arbeit nach, bei den vorläufig Aufgenommenen sind es 33,5 Prozent. Das zeigen die aktuellsten Zahlen des Bundesamts für Statistik von Ende April.

«Natürlich wäre eine höhere Quote der erwerbstätigen Flüchtlinge erstrebenswert, aber insgesamt ist Luzern bezüglich Arbeitsintegration auf einem sehr guten Weg», sagt denn auch Christine Spychiger. Sie leitet beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH Zentralschweiz den Bereich Migration Co-Opera. Dieser unterstützt Flüchtlinge im Auftrag des Kantons bei der Stellensuche (siehe Box am Textende). Tatsächlich liegt Luzern klar über dem nationalen Schnitt von 23,9 (anerkannte Flüchtlinge) beziehungsweise 29,4 Prozent (vorläufig Aufgenommene).

Die Gastronomie ist laut Spychiger nebst der Pflege, dem Bau und der Logistik eine der Branchen, in der Flüchtlinge den Einstieg in den Arbeitsmarkt am einfachsten schaffen. Auch Hintsa Atsgeba ist über die Stellenvermittlung des SAH Zentralschweiz zum «Gartenhaus 1313» gestossen.

Hintsa Atsgeba beim Spargelrüsten in der Küche des «Gartenhaus 1313» in der Lindenstrasse.

Hintsa Atsgeba beim Spargelrüsten in der Küche des «Gartenhaus 1313» in der Lindenstrasse.

(Bild: jal)

Dass nicht mehr Flüchtlinge den Gang in die finanzielle Selbstständigkeit schaffen, hat mehrere Gründe. «Inzwischen verlangen fast alle Branchen ziemlich gute Deutschkenntnisse», beobachtet Christine Spychiger. Fabriken, in denen ganze Förderbänder von Angestellten bedient werden, gebe es aufgrund der Digitalisierung kaum noch. Das sei aber nicht die einzige Hürde.

«Auch der Föderalismus trägt hier Früchte», sagt Spychiger. Flüchtlinge aus dem Entlebuch beispielsweise hätten oft ein Jobangebot im Kanton Bern – doch dieser stelle kaum Bewilligungen für ausserkantonale Flüchtlinge aus. Was die Bürokratie im Allgemeinen betrifft, malt Spychiger weniger schwarz – ausser bei den Kosten. «Es sollte nicht sein, dass ein Arbeitgeber Geld in die Hand nehmen muss, bevor er einen Flüchtling anstellen kann.» Genau das sei aber aufgrund der Bewilligungspflicht, die erstmalig rund 300 Franken kostet, der Fall.

Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen pro Alterskategorie im Kanton Luzern:

 

 

Gerade die bürokratischen Hürden geben immer wieder Anlass zu Kritik. SVP-Fraktionschef Guido Müller verlangte kürzlich in der «Luzerner Zeitung» eine zentrale Anlaufstelle für die Firmen. Davon hält Christine Spychiger hingegen wenig. «Jeder Akteur hat seine Aufgabe – und dazu das nötige Know-how. Die Zusammenarbeit der involvierten Stellen klappt gut.» Der Kanton hat Anfang Jahr, gemeinsam mit dem Gewerbeverband und der Industrie- und Handelskammer, eine sechsseitige Infobroschüre mit den wichtigsten Eckpunkten für interessierte Unternehmen herausgegeben.

Doch alle Fakten nützen nichts, wenn letztlich die nötige Offenheit fehlt – von beiden Seiten. Spychiger beobachtet, dass ein Arbeitsverhältnis relativ oft daran scheitert. «Manche Arbeitgeber haben Vorlieben betreffend Herkunft, Religion oder auch Hautfarbe.» Offenbar kommt es immer wieder vor, dass beispielsweise Syrer bevorzugt werden, weil das «ja richtige Flüchtlinge sind».

Leitet die Stellenvermittlung beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk: Christine Spychiger.

Leitet die Stellenvermittlung beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk: Christine Spychiger.

(Bild: jal)

Spychiger fordert aber auch von den Flüchtlingen Offenheit, beispielsweise was die Berufswahl betrifft. «Wer im Heimatland zum Beispiel Informatiker oder Lehrer war, muss in der Schweiz auch mit einer anderen Tätigkeit vorlieb nehmen.»

«Auf die 720 Personen, die wir beraten, kommen vielleicht zehn Fälle, die nicht kooperieren.»

Christine Spychiger, Bereichsleiterin SAH Zentralschweiz

Alles in allem sei die Integrationsbereitschaft der Flüchtlinge hoch. «Auf die 720 Personen, die wir beraten, kommen vielleicht zehn Fälle, die nicht kooperieren.» Sei es, weil ihnen die Bedingungen nicht passen, sei es, weil der Lohn zu tief ist oder weil sie schlichtweg nicht wollen. «Diese Personen werden sanktioniert, was oft eine positive Veränderung bewirken kann», erklärt Spychiger. «Wer aber über längere Zeit nicht kooperiert, dessen Dossiers geben wir an den Sozialdienst zurück.»

Pro Jahr kommen 90 Flüchtlinge in die Stellenvermittlung des SAH Zentralschweiz – so viele Plätze sind vom Kanton finanziert. Von diesen finden laut Spychiger zwischen 65 und 70 Prozent eine Arbeit. «Natürlich ist das nicht immer eine Festanstellung, da muss man sich nichts vormachen.» Oft geschehe der Einstieg via ein Praktikum oder eine temporäre Stelle. Das SAH befürworte das grundsätzlich – aber kontrolliere auch, dass die Flüchtlinge nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. «Wenn jemand für sechs Monate als Praktikant oder Praktikantin arbeitet, wünschen wir, dass diese Person ein gutes Arbeitszeugnis erhält, das sie weiterbringt. Idealerweise folgt auf das Praktikum eine Festanstellung oder ein Ausbildungsplatz.»

Eintönige Arbeit vermeiden

Im «Gartenhaus 1313» ist der Mittag beinahe um, Benno Burger und Hintsa Atsgeba bereiten das Risotto für die letzten hungrigen Gäste zu. Längst nicht immer klappt die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen so gut wie im Falle des 38-jährigen Eritreers, räumt Sinnvoll-Mitarbeiterverantwortliche Franziska Kreiliger ein. Auch sie kann ein Lied vom «Kantönligeist» singen, wenn etwa in einem der Sinnvoll-Gastro-Betriebe in Lungern (OW) oder Hasliberg (BE) eine geeignete Stelle frei werde, aber die nötige Bewilligung ausbleibt.

In anderen Fällen hätten die Flüchtlinge Mühe mit den Arbeitszeiten oder mit der Mobilität: Ist ein Betrieb, beispielsweise in Lungern, mit dem öffentlichen Verkehr schlecht oder nur tagsüber erreichbar, wird es zum Problem, da Flüchtlinge selten ein eigenes Auto haben. Und vereinzelt sei auch die Arbeitsmoral eine andere als in der Schweiz üblich.

«Damit es klappt, braucht es viel Zeit, besonders zu Beginn.»

Benno Burger, Küchenchef Restaurant Gartenhaus 1313

Dem SAH windet Kreiliger indessen ein Kränzchen. «Wer über die SAH-Stellenvermittlung zu uns kommt, ist in der Regel gut vorbereitet und weiss zum Beispiel von Anfang an, dass ein Küchenchef bestimmt, wo es langgeht.»

Küchenchef Benno Burger findet es wichtig, dass man einem Tellerwäscher oder Küchengehilfen immer wieder neue Aufgaben gebe und allzu eintönige Arbeit verhindere. «Am wichtigsten ist wohl aber: Jemand muss wollen. Dann geht es relativ einfach», sagt Burger und klopft Hintsa Atsgeba auf die Schulter, bevor die beiden zurück in die Küche entschwinden.

Wie Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden

Sprechen Flüchtlinge im Kanton Luzern genügend gut Deutsch, werden sie in der Regel fit gemacht für den Arbeitsmarkt. Der Kanton unterhält dazu einen Leistungsvertrag mit dem SAH Zentralschweiz. Die Organisation berät aktuell rund 720 Flüchtlinge zwischen 21 und 48 Jahren. Jüngere werden via Brückenangebote an eine Berufsausbildung herangeführt. Bei den über 50-Jährigen geht der Regierungsrat davon aus, dass sie sich «beruflich kaum integrieren» liessen, wie er kürzlich in einer Antwort auf eine Anfrage festhielt. Bei ihnen steht die sprachliche Integration im Fokus.

Beim SAH Zentralschweiz bleiben Geflüchtete in der Regel maximal 2 Jahre in Beratung: In dieser Zeit besuchen sie beispielsweise bewerbungs- oder berufsvorbereitende Kurse und absolvieren Deutschkurse. Anschliessend hilft ihnen die Stellenvermittlung des SAH während sechs Monaten, einen Job zu finden – für dieses Programm stehen jährlich 90 Plätze zur Verfügung. Klappt es in dieser Zeit nicht, werden sie an die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) weitergeleitet. Insgesamt bezahlt der Kanton dem SAH Zentralschweiz dafür zwischen 1,2 und 1,7 Millionen Franken pro Jahr.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von zombie1969
    zombie1969, 09.06.2017, 14:31 Uhr

    Eine wichtige Antwort zum ganzen Asylschwachsinn steht noch immer aus: Wie viele angebliche «Flüchtlinge» die Schweiz wohl versorgen könnte, wenn diejenigen, die die Aufnahme der angeblichen «Flüchtlinge» fordern, selber die Versorgung und Finanzierung ihrer «Flüchtlinge» bewerkstelligen müssten?

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