Zuger Dozent zur Moral in der Finanzbranche

«Mit Geld kann man Gutes bewirken oder Übles verschlimmern»

Manfred Stüttgen ist Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) in der Grafenau beim Bahnhof Zug.

(Bild: mbe.)

Welchen Wert hat die Moral in der Finanzbranche? Einer, der es wissen muss, ist Manfred Stüttgen. Der frühere Grossbanker und Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug ist Herausgeber und Mitautor eines neues Buchs mit dem Titel «Ethik von Banken und Finanzen». Wir sprachen mit ihm über Verantwortung, nachhaltiges Investieren und Steueroptimierung an seinem Wohnort Zug.

zentralplus: Herr Stüttgen, Sie haben Wirtschaft und ebenfalls Theologie studiert. Ist das Geschäft mit dem Geld nicht an sich unmoralisch? Religionsstifter Jesus vertrieb die Geldwechsler bekanntlich aus dem Tempel in Jerusalem.

Manfred Stüttgen: Das Geschäft mit dem Geld ist an sich weder gut noch schlecht, es ist zunächst einmal moralisch neutral. Mit Geld kann ich Gutes bewirken oder Übel verschlimmern, beides ist möglich. Geld kann zu Geiz und Gier verführen, das ist die dunkle Seite des Mammons. Viele Menschen erkennen aber heute, dass Geld auch positive Wirkungen erzielen kann, zum Beispiel die Armut bekämpfen oder umweltschonende Technologien fördern. Das sind nachhaltige Investments, die Anerkennung und Lob verdienen – oftmals rentieren diese Anlagen dann noch gut, weil sie fortschrittliche Methoden anwenden oder besseres Personal anziehen.

«Geld kann zu Geiz und Gier verführen, das ist die dunkle Seite des Mammons.»
Manfred Stüttgen, Herausgeber «Ethik von Banken und Finanzen»

zentralplus: Trotzdem: Der Titel Ihres Buchs provoziert, wie passt der Begriff Ethik eigentlich zu Banken und Finanzen?

Stüttgen: Unser Umgang mit Geld und Banken entfaltet Wirkungen in der realen Welt und diese Wirkungen können positiv oder negativ sein. Die rund 30 Autoren des Sammelbandes denken über diese Wirkungen nach und zeigen Handlungsoptionen auf, die nachhaltig und zukunftsfähig sind: Neben finanziellen Zielen geht es um soziale oder ökologische Ziele.

zentralplus: Schweizer Banken haben sich doch jahrelang um Ethik foutiert und Vermögenden geholfen, Geld zu hinterziehen und damit vor dem Fiskus zu verstecken. Oder sehen Sie das anders?

«Im Buch geht es nicht um ein Moralisieren und eine Aufarbeitung der Geschichte.»

Stüttgen: Einige Schweizer Banken – nicht alle – haben sich in der Vergangenheit in rechtlichen und moralischen Grauzonen bewegt, das ist richtig. Dafür haben sie zum Teil harte Strafen erhalten. Im Buch geht es aber nicht um ein Moralisieren und eine Aufarbeitung der Geschichte.

Zur Person

Manfred Stüttgen (48) stammt aus Köln und lebt seit 25 Jahren in der Schweiz, 2006 kam er nach Zug, wo er das Stadtbürgerrecht besitzt. Stüttgen hat Wirtschaft und Theologie studiert und in Wirtschaft doktoriert. Er berät einerseits Banken, Vermögensverwalter und Stiftungen. Dabei profitiert er von 20 Jahren Praxis in der Finanzindustrie, 2006 bis 2013 war er Managing Director bei der Credit Suisse. Ausserdem lehrt an der Universität Luzern und am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der «Hochschule Luzern – Wirtschaft».

zentralplus: Worum geht’s dann?

Stüttgen: Es geht vielmehr um die Entwicklung von tragfähigen Handlungsoptionen für die Zukunft der Finanzindustrie. Die Autoren plädieren für Wege, wie man nachhaltig investieren kann und wie dies in der Banken- und Finanzwirtschaft auch professionell umgesetzt wird.

zentralplus: Wo stehen Sie persönlich? Sie beraten auch Banken, sind Sie ein Mann der Wirtschaft oder eher der Theologie – oder beides?

Stüttgen: Als Hochschuldozent und als Berater von Banken möchte ich neue und zukunftsfähige Lösungsansätze fördern. Bei Studenten ebenso wie bei Klienten. Dazu nutze ich gerne verschiedene Mittel und Methoden: meine 20-jährige Bankerfahrung und – falls sinnvoll – auch einen transdisziplinären Denkstil. Spannend wird es meistens ja dann, wenn man sich an die Grenzen einer Disziplin wagt. Dort tauchen dann die innovativen Ansätze auf und die Kreativität bekommt einen Schub.

zentralplus: Nach der Krise der Finanzindustrie – gemeint ist wohl die Bankenkrise Jahr 2008 – seien neue Regeln gefragt, heisst es im Buch. Was meinen Sie damit?

Stüttgen: Neben einer einseitigen Orientierung an finanzieller Rendite gewinnen nicht ökonomische Motive von Investoren zunehmend an Bedeutung: Anleger fordern nachhaltige Investments. Die Nachfrage wächst seit Jahren mit zweistelligen prozentualen Zuwachsraten. Banken positionieren sich als sozial- und umweltbewusst und sind auf diese Weise sehr erfolgreich. Akteure am Kapitalmarkt müssen die Verteilung von gesellschaftlichen Risiken und privaten Gewinnen zunehmend als fair legitimieren. Die steigende Transparenz unseres Handelns auf allen drei Ebenen – auch aufgrund der Digitalisierung – verstärkt diesen Trend weiter. Die «Triple bottom line» als Ziel – das heisst, die Ausrichtung an Ökonomie, Ökologie und Sozialem – wird immer wichtiger.

zentralplus: «Soziale und ökologische Aspekte»: Ist das nicht geschicktes Marketing und eine neue Verkaufsstrategie, mit der sich Finanzinstitute nun ein ethisches Mäntelchen umhängen?

«Interessant sind die Anbieter von Mikrofinanz-Fonds: Sie zielen auf die finanzielle Inklusion und die Armutsbekämpfung in Entwicklungs- und Schwellenländern.»

Stüttgen: Die Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften wird im Finanzbereich auf mehreren Ebenen wahrgenommen: bei Investoren, bei Banken und auf den Finanzmärkten. Wenn ich Investor bin, muss ich mir zuerst die Frage stellen, welche Bank ich als mündiger Bürger auswähle und wie ich mein Geld verantwortlich anlege. Erst im nächsten Schritt kommen dann die Banken ins Spiel. Einige Banken sind hier als Pioniere unterwegs: Sie teilen die Werte ihrer Kunden und verpflichten sich selbst auf nachhaltige Geschäftsprinzipien. Andere Banken sehen im nachhaltigen Banking eher ein ökonomisches Potenzial für zusätzliches Geschäft. Es gibt beide Player. Authentizität und Glaubwürdigkeit gegenüber Kunden und der Gesellschaft sind allerdings längerfristig erfolgsentscheidend, reines Marketing wird von Kunden oft leicht durchschaut.

zentralplus: Sind die geschilderten Akteure wie die Alternative Bank Schweiz nicht einfach Nischenplayer – oder werden Sie allmählich zum Vorbild für andere?

Stüttgen: Neben der ABS werden im Buch auch Hauck & Aufhäuser (Schweiz) und einige andere Spezialisten erwähnt, zum Beispiel die Genossenschaftsbanken, zu denen ja auch Raiffeisen gehört. Einige Anbieter bewegen sich in der Nische, andere sind schon in breiteren Marktsegmenten angekommen. Interessant sind hier die Anbieter von Mikrofinanz-Fonds: Sie zielen auf die finanzielle Inklusion und die Armutsbekämpfung in Entwicklungs- und Schwellenländern. Schweizer Anbieter wie resonsAbility Investments, Blue Orchard oder Symbiotics gehören in diesem rasch wachsenden Markt übrigens zu den Weltmarktführern.

«Unsere intuitiven moralischen Urteile zu den Vor- und Nachteilen von Spekulation sind nicht immer verlässlich. Ob das aber schon für eine Heiligsprechung reicht?»

zentralplus: Ein Kapitel im Buch lautet «Zur Ethik der Terminspekulation auf Rohstoffmärkten». Will der Autor Marc Rich & Co. nachträglich einen Heiligenschein verpassen?

Stüttgen: Zwei Buchbeiträge setzen sich mit Risiken der Spekulation auf Rohstoffmärkten auseinander: Der eine Beitrag untersucht, unter welchen Bedingungen es legitim ist, andere Menschen erheblichen Finanzmarktrisiken auszusetzen. Der zweite Artikel, den Sie in Ihrer Frage erwähnen, zeigt anhand empirischer Daten auf, dass unsere intuitiven moralischen Urteile zu den Vor- und Nachteilen von Spekulation nicht immer verlässlich sind. Ob das aber schon für eine Heiligsprechung reicht?

zentralplus: Sie wollen am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ einen neuen Lehrgang zu nachhaltigen Investments einführen. Worum geht es da genau?

Stüttgen: Im November 2017 startet der Weiterbildungsbildungslehrgang «CAS Sustainable Investments». Er richtet sich an Bankberater und Investmentspezialisten, die ihr Wissen zu nachhaltigen Kapitalanlagen vertiefen wollen.

«Ich sehe mich als Pionier in der Oase nachhaltiger Investments.»

zentralplus: Fühlen Sie sich bei diesem Thema nicht manchmal als Rufer in der Wüste?

Stüttgen: Eher als Pionier in der Oase nachhaltiger Investments.

zentralplus: Sie leben seit zehn Jahren in Zug. Wie beurteilen Sie die Steueroptimierung für Unternehmen, von welcher Zug die letzten 50 Jahre sehr gut gelebt hat, aus Sicht des Ethikers?

Stüttgen: Sie sprechen die Autonomie von Gemeinden und Kantonen in der Festlegung von Steuersätzen an und auch den Steuerwettbewerb der Kantone. Aus ethischer Sicht sind beide Prinzipien solide legitimiert: Die kantonale Autonomie verwirklicht das Prinzip der Subsidiarität, das in der Bundesverfassung betont wird, und sie fördert die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Das ist wünschenswert. Als Zuger Bürger bin ich mir zugleich bewusst, dass der Kanton im nationalen Finanzausgleich einen hohen Beitrag zum Ressourcenausgleich leistet, dies ist Ausdruck der Solidarität mit anderen Kantonen der Eidgenossenschaft und sozialpolitisch sinnvoll.

Buchvernissage und Diskussion in Zug

Am Dienstag, 25. April, findet bei Doku-Zug.ch eine Vernissage für das neue Buch «Ethik von Banken und Finanzen» statt. Am Anlass werden Manfred Stüttgen und verschiedene Autoren anwesend sein. Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr. Anmeldung per E-Mail oder telefonisch 041 726 81 81.

Am Anlass werden Autoren zum Thema sprechen: Yvonne Seiler, Professorin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) hält ein Referat mit dem Titel «Spekulation und Ethik». Von der Kirchenseite kommt Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident des Kantons Aargau, der zum Thema «Geld und Geltung» sprechen wird. Rudolf Wehrli, Ex-Präsident Economiesuisse und VR-Präsident der Clariant AG, äussert sich zum Thema «Aktionärsdemokratie und entmündigte Eigentümer».

Die rund 30 Beiträge des Buchs beschäftigen sich mit drei grossen Themen: erstens Chancen und Grenzen verantwortungsvollen Investierens, zweitens Problemanzeigen und Lösungsansätze von nachhaltig orientierten Banken, drittens die faire Gestaltung von Finanzmärkten.

Der transdisziplinäre Sammelband vereinigt Forschungsresultate, kritische Reflexionen und Denkanstösse führender Expertinnen und Experten aus den Bereichen Investment, Bankmanagement, Finanzethik und Moraltheologie aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Kanada und den USA.

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