Grosser Betrugsprozess am Zuger Strafgericht

«Fehlende Dokumente»: Deutscher Firmengründer bringt Prozess durcheinander

Am Strafgericht Zug hat der Prozess gegen die Verantwortlichen der Invest Energy Group AG wegen gewerbsmässigen Betrugs und weiterer Delikte begonnen.

(Bild: Archiv)

Am ersten Prozesstag gegen drei Verantwortliche der Invest Energy Holding AG erfuhr man einiges über die Funktionsweise der erfolglosen Start-up-Firma. Die Untersuchung der Finanzmarktaufsicht (Finma) habe das Geschäft kaputt gemacht, sagte der deutsche Firmengründer. Er behauptete, Dokumente zu besitzen, welche die Unschuld der Angeklagten bewiesen und könne die fünf Millionen zurückzahlen.

Der «kreative Kopf» der Invest Energy Holding AG, andere nennen ihn auch den «grossen Zampano», lebt in Berlin. Gerd N. (66) ist ein kleiner redegewandter Mann, der vor Gericht immer den kompetenten und sachlich argumentierenden Unternehmer gibt. Was man nicht vermuten würde: Er ist einschlägig vorbestraft und sass in Deutschland schon mehrmals hinter Gittern.

Einzig gegen Schluss des ersten Prozesstages verlor er kurz die Fassung. «Seit Mitte 2012 werden wir behandelt wie Dreck», schimpfte der Berliner vor Gericht. Die schweizerische Finanzmarktaufsicht (Finma) mit ihrer Untersuchung sei schuld am ganzen Debakel und habe das Start-up kaputt gemacht, bevor es Erfolg haben konnte, sagte er.

«Seit Mitte 2012 werden wir behandelt wie Dreck.»
Gerd N., Invest Energy Holding AG

Gerd N. muss sich mit zwei Schweizern wegen gewerbsmässigen Betrugs, Urkundenfälschung und weiterer Delikte vor Gericht verantworten. Die Beschuldigten sollen 179 Anlegern mit «Energie-Anleihen» 4,9 Millionen Franken aus der Tasche gezogen haben (zentralplus berichtete).

In der Werbung wurde eine schöne Rendite und Sicherheit für die Anleihensobligationen versprochen. In Wirklichkeit habe die Firma weder Land noch Energie-Anlagen besessen, nirgends investiert, nie einen Ertrag generiert. Die Angeklagten hätten das ihnen anvertraute Geld zweckentfremdet, ein Grossteil ist verschwunden.

Finma sei an allem schuld

Gerd N. erklärte, das Fernsehen habe nach dem Finma-Überfall darüber berichtet (unter anderem auch der «Kassensturz»). Niemand habe danach mehr Geschäfte mit ihm und seinen Partnern machen wollen. Sprich: In Projekte für erneuerbare Energien investieren und dafür Geld ausleihen.

Wegen der Finma habe er, Gerd N., bestimmte Unterlagen bewusst zurückbehalten, die für den Prozess wichtig seien und ein anderes Bild auf ihn und seine Mitangeklagten werfen würden. Diese Unterlagen würden beweisen, dass er das Geld der Gesellschaft nicht zweckentfremdet, sondern investiert habe. Er habe Verträge mit Nachfolgegesellschaften in anderen Ländern abgeschlossen, einige Projekte realisiert – und dabei wieder Geld verdient. Er könne die fünf Millionen Franken den Gläubigern der konkursiten Invest Energy Holding AG zurückzahlen, sagte der Berliner.

«Strafrecht bezieht sich immer auf die Vergangenheit und nie auf die Zukunft.»
Marc Siegwart, Strafrichter

Der Gerichtsvorsitzende Marc Siegwart machte ihn darauf aufmerksam, dass es um Geld gehe, das vor fünf Jahren eingegangen und ausgegeben worden sei. «Strafrecht bezieht sich immer auf die Vergangenheit und nie auf die Zukunft», sagte Siegwart.

IEH war Zuger Briefkastenfirma

Am ersten Prozesstag erfuhr man auch genauer, wie die Firma Investment Energy Group funktionierte. In  Zug befand sich nur der Steuersitz, niemand arbeitete vor Ort, eine typische Briefkastenfirma. Ein Büro hatte die Firma am Wohnort des 72-jährigen VR-Präsidenten Albert T. in Forch ZH. Doch auch hier arbeitete nur dieser und allenfalls einmal eine Sekretärin. Unweit davon hatte Gerd N. damals eine Wohnung gemietet und war auch in Forch angemeldet.

Der Dritte im Bunde, der 53-jährige Daniel W., ist gelernter Metzger und hat sich später zum Treuhänder weitergebildet, er war der emsige Verkäufer der «Energie-Anleihen».

Zu Beginn des Prozesses verlangten die drei Strafverteidiger aus Zürich die Rückweisung der Anklage an die Zuger Staatsanwältin Jacqueline Landolt. Die Anklageschrift sei «ungenügend», das Anklageprinzip verletzt worden. Man wisse nicht, was der genaue Tatbeitrag jedes Angeklagten gewesen sei. Das Gericht unter dem Vorsitz von Marc Siegwart lehnte das Ansinnen jedoch ab. «Für das Gericht geht sehr klar heraus, was den Beschuldigten vorgeworfen wird», sagte er.

Das Thema er erneuerbaren Energien war die letzten Jahre brandaktuell und wurde vor allem in der EU stark gefördert: Eine neue Windenergie-Anlage wird montiert.

Das Thema er erneuerbaren Energien war die letzten Jahre brandaktuell und wurde vor allem in der EU stark gefördert: Eine neue Windenergie-Anlage wird montiert.

(Bild: PD)

Wovon leben die Angeklagten?

In der persönlichen Befragung meinte der Firmengründer Gerd N., er sei offiziell in Rente und erhalte 750 Euro monatlich. Mit Beraterverträgen nehme er jedoch 8000 bis 10’000 Euro monatlich ein. Zu seinem Vermögen könne er keine genaue Auskunft geben. «Die Lage ist unübersichtlich», sagte er. Er habe «eher einen Vermögensüberhang», nannte aber auch Schulden von 1,5 Millionen Franken.

Der ehemalige Verwaltungsrats-Präsident Albert T. meinte, er sei ebenfalls Rentner, lebe jedoch am Existenzminimum mit seiner Frau von der AHV. «Mit einzelnen Beratungen von Russen nehme ich zusätzlich 500 bis 1000 Franken im Monat ein», sagte er.

Auch der zweite Schweizer, Daniel W., lebt nach seinen Worten in prekären Verhältnissen. Seine Freundin unterhalte ihn und zahle die Wohnungsmiete. 2016 habe er bloss 7200 Franken eingenommen, fülle manchmal Steuererklärungen für Leute aus. «Ich lebe von nichts», sagte er. Er habe Schulden von fünf Millionen Franken.

Der Richter Marc Siegwart konfrontierte ihn mit einer Auskunft, die das Gericht im Kanton Aargau eingeholt habe. Diese besage, dass er nie eine Steuererklärung einreiche und sich immer einschätzen lasse. «Das stimmt nicht», meinte der Angeklagte.

Zuger Anwalt von Finma beauftragt

Als Auskunftsperson einvernommen wurde auch der Zuger Anwalt Urs Lichtsteiner. Er leitete die Untersuchung der Finanzmarktaufsicht (Finma) wegen des Verdachts auf Geldwäscherei. Zugleich ist Lichtsteiner Liquidator der Invest Energy Holding AG und vertritt die Interessen der Privatkläger.

«Wir haben kaum Akten gefunden.»
Urs Lichtsteiner, Finma-Beauftragter und Liquidator

Laut Lichtsteiner hat man schnell gemerkt, dass die Firma in Forch keine geeignete und professionelle Buchhaltung hatte. «Wir haben kaum Akten gefunden», sagte der Finma-Beauftragte. Einen Jahresabschluss mit handschriftlichen Vermerken erwähnte er. Belege und Verträge für die angeblichen Beteiligungen habe man vergeblich gesucht.

Wohnhaus ist schwer verkäuflich

Interessanter wurde es, als der Anwalt ein Wohnhaus in Berlin erwähnte. Das Haus an der Bernhard-Beyer-Strasse 1 im Bezirk Steglitz-Zehlendorf wurde aus dem Geld der Anleger gekauft und gehört der Firma. Gerd N. wohnt in der Liegenschaft und hat im Grundbuchamt ein lebenslanges Wohnrecht – in Deutschland ein Niessbrauchrecht – eintragen lassen.

Laut Lichtsteiner sei die Liegenschaft aus diesem Grund schwer verkäuflich. Er hat deshalb eine Anfechtungsklage gegen das Wohnrecht in Deutschland gemacht. Doch der Bewohner des Hauses wehrt sich. Laut Lichtsteiner hat er als Konkursliquidator nun in zweiter Instanz Recht bekommen. «Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig», so der Zuger Anwalt. Sicher ist bereits, dass der Unterlegene es weiterziehen wird.

Gerd N. erklärte vor Gericht, das Wohnrecht auf Lebenszeit für nicht bezahlte Honorare erhalten zu haben. Das  Haus in Berlin-Steglitz sei ein Niedrigenergie-Haus mit Solarpanels und sollte als Musterhaus gelten für Betriebe.

Das Haus ist offenbar der einzige bekannte Aktivposten der Firma. Laut Urs Lichtsteiner sind rund 1,8 Millionen Franken «verschwunden». «Namhafte Beträge sind an die drei Beschuldigten gegangen.»

Dazu meinte der Hauptangeklagte Gerd N., wie eingangs erwähnt, das Geld sei gar nicht weg. «Wir haben es ausserhalb der Schweiz investiert.» Er werde die Belege und Unterlagen liefern.

Gerd N. bringt das immer wieder vor

Das Problem ist: Der Berliner bringt das nicht zum ersten Mal vor. Seit vier Jahren kündigt er an, Beweise zu liefern, dass alles ganz anders war. Albert T. meinte, er glaube immer noch, dass sein Boss das Geld tatsächlich investiert habe. «Ich weiss es nicht», gab sich Daniel W. bescheidener. Und Urs Lichtsteiner sagte, ihm fehle der Glaube. «Es kommt wieder nichts.»

Der Umgang mit dem Firmengeld war ebenfalls ein Thema am ersten Prozesstag. Zum Beispiel der Maserati Quattroporte 4.2 im Wert von 70’000 Franken. «Wie sind Sie dazu gekommen, ein solch teures Auto zu kaufen, wenn sich die Firma im Aufbau befand?», wollte Richter Marc Siegwart von den Anklagten wissen. Es sei ein Geschäftsauto mit Schweizer Nummernschildern für Gerd N. gewesen und hauptsächlich von diesem benutzt worden, meinte der VR-Präsident.

Grosszügiger Umgang mit Maestro-Karte

Der Umgang mit Spesen war sehr grosszügig, stellte sich in der Befragung durchs Gericht heraus. Gerd N. buchte Flugreisen, Hotels und  Autofahrten mit einer Maestro-Karte. «Herr N. war eben 300 Tage auf Achse», so Albert T. Das Problem ist laut der Anklage, dass die Firma, die ja keine Einnahmen verzeichnete, diese Spesen also aus dem geliehenen Fremdkapital beglich.

Einen solchen Maserati Quattroporte 4.2 im Wert von rund 70'000 Franken fuhr der «grosse Zampano» Gerd N.

Einen solchen Maserati Quattroporte 4.2 im Wert von rund 70’000 Franken fuhr der «grosse Zampano» Gerd N.

(Bild: PD)

Der Berliner Firmengründer zahlte seinem Sohn auch ein Darlehen von 10’000 Franken aus dem Geld. «Er hat es inzwischen zurückbezahlt», sagte er. «Wem denn, der Firma?», wollte Richter Siegwart wissen. «Nein, mir», antwortete Gerd N. Also wieder nichts gewesen mit Geld für die Gläubiger.

Das Gericht legte den Beschuldigten verschiedene Dokumente, wie Verkaufsprospekte, und weitere Unterlagen vor. Sie enthielten teilweise schwer verständliche und nach Ansicht des Gerichts teilweise unlogische Formulierungen aus der Welt der Finanzprodukte. «Wissen Sie, es macht mir den Anschein, dass man da möglichst geschwollen reden will, aber nichts dahinter steckt», sagte Marc Siegwart. Gerd N. meinte, das sei nicht so, Bankfachleute hätten dies geprüft und für gut befunden.

Beweisverfahren ist abgeschlossen

Am Schluss des ersten Prozesstages stellten die Verteidiger sogenannte Beweisanträge und verlangten, neue Zeugen einzuvernehmen, die teilweise im Ausland leben. Das Gericht wies dies jedoch nach einer Beratung ab. «Wenn die Beweise nicht ausreichen, gibt es einen Freispruch», meinte Siegwart. Man wolle nun zuerst alle Parteien anhören und sich ein Bild machen. Später könne man immer noch weitere Zeugen befragen, falls es nötig sei.

Das Beweisverfahren ist nun abgeschlossen. Der Prozess geht am Dienstag weiter. Die Staatsanwältin wird ein Plädoyer halten und die Verteidiger ihre Sicht der Dinge schildern. Der Prozess ist öffentlich und beginnt um 8.30 Uhr. Details findet man in der online publizierten Liste der Verhandlungstermine des Strafgerichts.

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