Geheimnis um Zustände in Luzerner Restaurantküchen

Wie’s um die Hygiene steht, weiss nur der Inspektor

Man kann nur hoffen, dass hier alles sauber ist – Symbolbild aus einer Küche.

(Bild: Fotolia)

Die Politik will nicht und der Lebensmittelinspektor darf nicht: Wenn es um Hygiene in Luzerner Restaurants geht, herrscht eisernes Schweigen. So kann man über Sünder nur spekulieren. Immerhin der Kantonschemiker schaut bei Nachlässigkeit besonders genau hin.

Ein Luzerner Gourmetlokal hat es nicht so mit der Hygiene: Bei einer Lebensmittelkontrolle wurden kürzlich verschimmelte und verdorbene Produkte gefunden und das Lokal wurde mit 2500 Franken gebüsst. Es war nicht der erste Vorfall in diesem Lokal, schrieb die «Luzerner Zeitung» (LZ) letzte Woche.

So weit, so unappetitlich. Als Konsument kann man nur hoffen, dass der Wirt seine Lektion – wenn auch reichlich spät – doch noch gelernt hat. Denn ausweichen kann man dem angeprangerten Restaurant nur schlecht, weil man offiziell nicht wissen darf, um welches es sich handelt. Ob Betriebe gegen das Lebensmittelgesetz verstossen oder nicht, das ist in der Schweiz ein Geheimnis.

12 Bussen pro Jahr

Die meisten Gastrobetriebe arbeiten hygienisch. Gegen rund 12 Betriebe spricht die Luzerner Staatsanwaltschaft jährlich eine Busse aus: wegen verdorbenen Esswaren, schmutzigen Utensilien oder sonstigen Verstössen gegen das Lebensmittelrecht. Das ist nicht viel bei rund 4500 Lebensmittelbetrieben. Aber eine Busse bekommt man nicht einfach wegen einer verdorbenen Tomate, sondern wenn, wie in besagtem Fall, «systematische Hygienemängel» festgestellt werden.

Sind die Lebensmittel sogar gesundheitsgefährdend, kann die kantonale Dienststelle Lebensmittelkontrolle und Verbraucherschutz sogar eine Schliessung beantragen, das kommt aber nur ein- bis zweimal im Jahr vor.

Welches Restaurants war’s?

Naturgemäss will der Gast wissen, wo nicht sauber gekocht wird, insbesondere wenn sich das Restaurant als Gourmetlokal anpreist. Ein Blick in Leserbriefe und Online-Kommentare zeigt eindeutig: Man hat wenig Verständnis für Geheimnisse, wenn’s um die Hygiene in Restaurants geht.

«Wir sind tagtäglich in den Betrieben und wissen, wie es in einer guten Küche aussieht.»

Silvio Arpagaus, Kantonschemiker

Seit die Busse publik wurde, geistert der Name eines Lokals herum. Auch der Autor dieses Artikels erfuhr von verschiedenen Seiten, um welches Luzerner Restaurant es sich handelt. Wer die Ohren spitzt und Indizien richtig deutet, findet leicht heraus, welches Lokals gerügt wurde. Doch ob die Spekulationen stimmen, kann man nicht prüfen: Der gebüsste Wirt will sich nicht outen und der Kantonschemiker darf nicht mehr sagen – so will es das Gesetz (siehe Box unten).

Es tun sich Fragen auf: Was bringen Lebensmittelkontrollen, wenn keine Transparenz herrscht? Wieso erfährt der Konsument nicht, welche Küchen nicht sauber sind? Oder sind die Kontrollen womöglich zu spitzfindig? Werden Probleme gesucht, wo keine sind?

Mit Transparenzfragen befasst sich die Politik (siehe Box am Ende), mit allen anderen Silvio Arpagaus, der kantonale Dienststellenleiter und Kantonschemiker. Weil er der Schweigepflicht untersteht, kann er zwar keine Details zum aktuellen Fall nennen, dafür aber viel zur Praxis der Lebensmittelinspektionen.

Je höher das Risiko, desto häufiger die Besuche

Sein 30-köpfiges Team überprüft die Einhaltung der Hygienevorschriften. Zwei Inspektoren und fünf Kontrolleure inspizieren im Aussendienst pro Jahr rund 1650 Betriebe, darunter 1000 Verpflegungsbetriebe: Restaurants, Take-Aways, Caterer oder Kantinen. Aber auch alle anderen Lebensmittelproduzenten – vom Beck bis zum Industriebetrieb – kommen unter die Lupe.

Der Luzerner Kantonschemiker

Silvio Arpagaus ist Kantonschemiker und Dienststellenleiter der Lebensmittelkontrolle und des Verbraucherschutzes. Der Kantonschemiker sorgt mit den kantonalen Laboratorien für die Einhaltung der Lebensmittelgesetzgebung. Sie inspizieren Lebensmittelbetriebe, erheben Proben, untersuchen diese nach unerlaubten Bestandteilen und der Qualität und leiten bei Abweichungen vom Gesetz Massnahmen ein.

Die Betriebe werden nicht gleich häufig kontrolliert: «Dort, wo mit kritischen Produkten umgegangen wird oder es sensible Klientel gibt, etwa Altersheime oder Spitäler, kontrollieren wir häufiger. Ebenso bei Betrieben, welche in der letzten Inspektion unbefriedigend abgeschlossen haben», sagt Silvio Arpagaus. Im Durchschnitt komme jeder Betrieb alle zwei Jahre an die Reihe.

Das Suchen von Problemen gehört dazu

Die Besuche geschehen unangemeldet, eine Datenbank sagt den Kontrolleuren, wann ein Betrieb wieder fällig ist. «Wir gehen zu den Öffnungszeiten vorbei und klopfen an», sagt Arpagaus.

Wie in jeder Prüfungssituation gebe es gewisse Ressentiments, aber üblicherweise sei die Zusammenarbeit mit den Betrieben sehr positiv. «Das muss man gerade jetzt nach diesem Fall wieder erwähnen: Fast alle Verpflegungsbetriebe leisten gute Arbeit, sie sind stolz darauf und zeigen das auch gerne», sagt Arpagaus. Sie seien offen für Inputs und Verbesserungsvorschläge.

Mitarbeiter der Lebensmittelkontrolle des Kantons Luzern bereiten Lebensmittelproben für die mikrobiologische Untersuchung vor.

Mitarbeiter der Lebensmittelkontrolle des Kantons Luzern bereiten Lebensmittelproben für die mikrobiologische Untersuchung vor.

(Bild: zvg)

Zum Vorwurf, dass Kontrollen zu streng und spitzfindig seien, meint er: «Wir sind tagtäglich in den Betrieben und wissen, wie es in einer guten Küche aussieht.» Die Mehrheit der Betriebe schliesse gut ab und erfülle das Lebensmittelrecht. «Letztlich sind wir auch da, um Betriebe zu unterstützen und wo nötig Mängel zu beheben.»

«Und wenn jemand gut kocht, heisst das noch nicht, dass die Hygiene eingehalten wird.»

Arpagaus gibt zu, dass das Suchen von Problemen mit zur Arbeit und zum Auftrag gehöre: «Wir tun das mit viel Sachverstand und Augenmass.» Sein Team besteht aus ehemaligen Köchen, Bäckern, Lebensmittelingenieuren, Metzgern, Konditoren oder Chemikern – also alles Profis aus der Branche. «Wir sind nicht da, um Bürokratie zu fördern, sondern um vorwärtszukommen.» Früher waren die Inspekteure meist Berufsleute, die das nebenamtlich erledigten, seit 2008 geschieht das vollberuflich.

Essen gehört nicht zu den Aufgaben

Kantonschemiker Silvio Arpagaus.

Kantonschemiker Silvio Arpagaus.

(Bild: zvg)

Sein Team prüft lediglich, ob das Lebensmittelrecht eingehalten wird. Von der Anlieferung der Produkte über die Zubereitung bis zur Ausgabe an den Konsumenten wird vor Ort die ganze Nahrungsmittelkette überprüft. Dazu gehört, ob die Infrastruktur oder die Deklaration in Ordnung sind. Die Kontrolleure erheben auch Proben, die im Labor untersucht werden.

Im Lokal zu essen gehört hingegen nicht zu den Aufgaben der Kontrolleure. Dafür seien andere zuständig, sagt der Kantonschemiker. «Und wenn jemand gut kocht, heisst das noch nicht, dass die Hygiene eingehalten wird.»

Entspricht etwas nicht dem Lebensmittelrecht, wird es beanstandet. «Das geschieht recht häufig, es gibt viele kleinere Mängel und Optimierungspotenzial», sagt Arpagaus. In der Schule kriege schliesslich auch nicht jeder Schüler einen 6er. Die beanstandeten Punkte muss man anschliessend in Ordnung bringen.

Nur bei groben Fällen – beispielsweise bei grossen hygienischen Mängeln oder wenn eine Gesundheitsgefährdung besteht – reicht der Kantonschemiker eine Strafanzeige ein. Darüber entscheidet schliesslich die Staatsanwaltschaft.

Die Aufgaben nehmen zu

Welche Betriebe sind am häufigsten von Bussen oder Schliessungen betroffen? «Es gibt keine branchenspezifischen Tendenzen», so der Kantonschemiker. Es seien oft individuelle Schicksale und Probleme, die dazu führen. Darunter auch spezielle Geschichten, über die er im Nachhinein schmunzeln kann. «Es gab etwa den Fall einer illegal errichteten Küche in einem Baumateriallager.» (zentralplus berichtete)

«Schneidet ein Betrieb schlecht ab, wird das Netz engmaschiger.»

Das Essensangebot wird immer breiter, und damit die Aufgabe der Kontrolleure nicht einfacher. Mit dem neuen nationalen Lebensmittelrecht, das im Mai in Kraft tritt, kommen etwa noch Insekten dazu (zentralplus berichtete). Auch damit beschäftigen sich Arpagaus’ Leute. «In den letzten 10 bis 20 Jahren hat es in der Gastronomie eine sehr starke Diversifizierung gegeben, aber die lebensmittelrechtlichen Hygieneanforderungen bleiben letztlich die gleichen», sagt er.

Bericht, aber kein Zertifikat

Jeder im Kanton Luzern geprüfte Betrieb erhält danach einen umfassenden Bericht – doch diesen könne man nicht vergleichen mit dem Zertifikat wie in Zug, das Restaurants veröffentlichen können und das somit für etwas Transparenz sorgt. «Unser Bericht ist eine technische Angelegenheit», so Arpagaus. Er muss sich an die Schweigepflicht halten, aber der Betrieb kann den Bericht veröffentlichen, wenn er das will.

Zu den Transparenzforderungen möchte er sich nicht äussern, auch wenn Arpagaus das Bedürfnis der Konsumenten nachvollziehen kann. «Letztlich ist es eine politische Frage, es gibt Befürworter und Gegner», sagt er diplomatisch. Man könne sich fragen, ob die Strafen – im obigen Fall die 2500 Franken Busse – hart genug seien, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.

Arpagaus sagt es so: «Schneidet ein Betrieb schlecht ab, wird das Netz engmaschiger und unsere Besuche häufiger.» Auch das gebüsste Luzerner Gourmetlokal kriegt also bald wieder Besuch von Arpagaus’ Team.

Transparenz: Zuger Modell für Luzern?

Politische Vorstösse für mehr Transparenz über die Hygiene in Restaurants scheiterten auf Bundesebene bisher am Widerstand der Gastrolobby und der bürgerlichen Parteien. Unter anderem die Luzerner SP-Nationalrätin und Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo machte sich für mehr Transparenz stark – erfolglos. Das neue Lebensmittelrecht, das im Mai in Kraft tritt, ändert diesbezüglich nichts.

Zumindest auf Kantonsebene könnte etwas passieren. Die Forderung nach mehr Transparenz kommt von SP-Kantonsrätin Marlene Odermatt, sie hat dazu einen Vorstoss angekündigt, aber noch nicht eingereicht. «Ich finde es wahnsinnig, dass man noch immer die schwarzen Schafe beschützen will, statt jene Wirte zu loben, die ihre Arbeit Jahr für Jahr gut machen», sagte sie gegenüber der LZ.

Odermatt fordert, dass den Luzerner Restaurants künftig Qualitätsbescheinigungen ausgestellt werden, eine Art Hygienezeugnis. So wie das der Kanton Zug seit 2010 handhabt, er ist der bisher einzige Kanton, der mehr Transparenz schafft (zentralplus berichtete).

Andere Länder sind viel strenger

Auch in Zug gibt’s keine Pflicht, das Zertifikat aufzuhängen, es herrscht Selbstdeklaration: Wirte können Qualitätsbescheinigung mit Kategorien von «sehr gut» bis «ungenügend» freiwillig aushängen. So haben Beizer einen Anreiz, möglichst gut abzuschneiden. Fehlt das Abzeichen, wird der Gast vielleicht misstrauisch und kann es einfordern. Im Kanton Zug funktioniert das Instrument: Die Zahl der als sehr gut bewerteten Betriebe ist gestiegen, die der schlechten gesunken.

Der Branchenverband Gastro-Luzern ist gegen das Zertifikat, Präsident und SVP-Kantonsrat Ruedi Stöckli spricht von «Zwängerei» und fürchtet sich davor, dass Betriebe so ruiniert würden. Beim zuständigen Gesundheitsdepartement wollte am Montag noch niemand Stellung zu den Forderungen nehmen. Man äussere sich erst dazu, wenn der Regierungsrat seine Antwort zum parlamentarischen Vorstoss verabschiedet hat.

Andere Länder sind bezüglich Hygiene viel transparenter als die Schweiz – etwa Grossbritannien geht sehr weit: Dort gibt es Internet ein öffentliches Ranking über die Hygienezustände eines Betriebs.

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