Eine Reportage, die es in sich hatte

Wie Meienberg einst Zug erzürnte

Oh nein, die Zuger waren damals überhaupt nicht glücklich darüber, wie Niklaus Meienberg Zug beschrieben hat. Das ist nicht verwunderlich, denn Meienberg hat provoziert, wo er konnte. (Bild: Emmanuel Ammon/The Simpsons; Montage: wia)

Zug ist da, wo die reichen Kerle wohnen, die grossen Konzerne ihren Sitz haben, wo kaum Steuern bezahlt werden müssen. Klischees, die nicht von ungefähr kommen und auch nicht erst gestern aufgetaucht sind. Bereits vor 30 Jahren sorgten solche Aussagen massiv für Empörung.

Autsch. Der hatte gesessen. Nachdem der Journalist Niklaus Meienberg 1984 einen umfangreichen Artikel über Zug geschrieben hatte, hagelte es Kritik in Richtung Zürich, wo das Wirtschaftsblatt «Bilanz» sitzt. «Alles Klatsch», fand der damalige Zuger Stadtpräsident Othmar Kamer. «Die Stadt Zug ist nicht so, wie sie von Meienberg dargestellt wurde», äusserte sich ein weiterer Stadtrat, und als «despektierlich» betitelte der Journalist Cäsar Rossi die Art, wie Meienberg die Altstadt und einige Zuger Personen umschreibt. Zudem fiel vom «Israelitischen Wochenblatt» Zürich der Vorwurf, Meienberg hätte sich im Artikel antisemitisch geäussert.

In aller Kürze: Niklaus Meienberg verbrachte im Zuge seiner Reportage eine ganze Woche in Zug. Er redete mit Wirtschaftsgrössen sowie Politikern (oder versuchte es zumindest) und kommentierte Zug als Wohn- und Wirtschaftsstandort so schonungslos und subjektiv, dass es jedem bang wird, der auch nur einen Funken Stolz für Zug hegt. zentralplus holt den Artikel, den die Zuger damals so gerne schnell vergessen hätten, wieder aus der Versenkung heraus und will wissen: Ist heute noch was dran an Meienbergs Kritik? (Um es vorwegzunehmen: und wie.)

Rein in die «metastasenartige» Neustadt

Die Herablassung, mit der Niklaus Meienberg den ganzen Artikel «Zug – Fast wie Dallas» garniert, dürfte dem einen oder anderen Zuger bereits auf den ersten paar Zeilen ein Dorn im Auge gewesen sein. Er umschreibt die Zuger Neustadt als «metastasenartig, krebsgeschwürmässig» in Richtung Zürich wuchernd. Die Zug umgebenden Schlösser und Villen dienen als erste Eckpunkte und lassen erahnen, was da noch kommen mag.

Meienberg ist ein Aufmüpfiger, betritt gerne fremde Gärten, nicht nur im übertragenen Sinne. Dringt – mithilfe des «geschmeidigen Ethnologen Daniel Brunner» – ins Grundstück der «Wittwe Gyr», Brunners Grossmutter, ein, um dann mit den Worten «Über Zug habe ich rein gar nichts zu sagen» schnell verabschiedet zu werden.

Und auch wenn heute nicht mehr Maggie Thatcher hier ihre Sommer verbringt, so gibt es sie natürlich heute noch: die vielen Villen und Schlösser am See, deren Bewohner so gar kein Bedürfnis haben, in den Fokus der Öffentlichkeit zu geraten.

Gut erkennt der Redaktor zudem die Identitätskrise, welche die Stadt Zug bis heute plagt. Ist man eigentlich noch Dorf, schon ordentliche Stadt oder doch globaler Handelsplatz? «Dieses Zug mit seinem Kapuzinerkloster, wo noch die Armensuppe ausgegeben wird, mit seiner Marc Rich und Co., dem weltumspannenden Rohstoffhändler, blauschimmerndes Building an der Baarerstrasse, seiner Phibro AG», schreibt Meienberg treffend. Heute wird zwar keine Armensuppe mehr geschöpft – auch wenn es durchaus noch «Arme» gäbe.

Welches Marc-Rich-Haus?

Auch geschäftet Marc Rich nicht mehr im blauschimmernden «Building». Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass Zug als Wirtschaftsstandort weniger attraktiv wäre. Im Gegenteil. Die Marc Rich + Co. AG wurde 1994 umgetauft und heisst jetzt «Glencore International». Das heutige Gebäude der Firma – ganz in Weiss gehalten, mitten im Grün zwischen Baar und Zug – würde dem Meienberg wohl noch viel saurer aufstossen als der frühere, viel bescheidenere Bau, der heute kaum noch jemandem auffällt.

«Eine boomende, pilzende, formlose, wuchernde Stadt, die auch Dallas heissen könnte.»

Niklaus Meienberg im Artikel «Zug – fast wie Dallas»

«Dieses Zug mit seiner peinlich geschniegelten Altstadt, die wie ein Disney-Land inmitten der schnell aus dem Boden geschossenen Buildings liegt; eine boomende, pilzende, formlose, wuchernde Stadt, die auch Dallas heissen könnte», führt Meienberg in seinem Artikel fort. Und macht damit alle rasend. Und das würde er wohl auch heute noch erreichen. Insbesondere, wenn er den Uni-Professor Urs Herzog zitiert. Denn dieser findet: «[…] Eine Ausbeutung und schamloseste Schändung ohnegleichen ist das, was hier einer schönen kleinen Stadt angetan wird.»

Nun ist auch der hinterletzte Zuger der 80er-Jahre getüpft, spannt ein Blatt Papier in die Schreibmaschine und beginnt zu tippen. Etwa der Stadtrat Markus Frigo, der schreibt: «Die Stadt Zug ist nicht so, wie sie von Meienberg dargestellt wurde.» Aha.

Aber ist es denn wirklich so schlimm? Nun, 30 Jahre später? Tatsächlich trumpft Zug apart von seiner Altstadt nicht gerade mit Schönheit auf, doch hässlich? Nein, hässlich ist die Stadt nicht. Über die Bahnhofstrasse lässt sich streiten. Doch die Neustadtpassage scheinen die Menschen mittlerweile wie eine eigenwillige Narbe am Kinn irgendwie ins Herz geschlossen zu haben.

Alles Klischees, findet der Chefredaktor der «Zuger Nachrichten»

Cäsar Rossi, damals Chefredaktor der «Zuger Nachrichten», ärgerte sich über Meienbergs Artikel. So sehr, dass er als Antwort darauf einen Kommentar veröffentlichte. Meienbergs Text bringe überhaupt nichts Neues zur Wirtschaftslage zutage. Der Leser bekomme einzig Klischees vorgesetzt, die längst abgehandelt worden seien. Rossi kritisierte Meienbergs «süffisante» Art und Weise, «die manchmal an die Grenze des journalistischen Anstandes stösst». Dass an Zugs Wohlstand die guten Steuerzahler nicht unschuldig seien, sei eine erfreuliche Tatsache.

«Die Zuger sind richtige Schweige-Virtuosen, Verschweigungskünstler, Diskretionsfanatiker, und die zugezogenen Zuger sind es noch mehr.»

Niklaus Meienberg, Journalist

Als Meienberg Einblick sucht in die Hirne der Zuger Wirtschaftler und Politiker, beisst er auf Granit. «Die Zuger sind richtige Schweige-Virtuosen, Verschweigungskünstler, Diskretionsfanatiker, und die zugezogenen Zuger sind es noch mehr (Marc Rich und so weiter)», schreibt er hämisch.  Konkret will Meienberg mit Alt-Bundesrat Hans Hürlimann über Wirtschaftspolitik sprechen – der will nicht. Hürlimann, der bis 1982 Bundesrat war, war im Verwaltungsrat der Ölhandelsfirma Phibro AG, bevor er später Marc Rich und Co. beriet.

Dazu kommen verschiedene weitere hohe Konzerntiere, die nicht mit dem Reporter reden wollen, und auch der damalige Rechtsanwalt Paul Stadlin schweigt. Dieser hatte 1984 sage und schreibe 83 Verwaltungsratsmandate inne.

Wie verfilzt ist Zug heute noch?

Und heute? Wären alle diese Verfilzungen noch möglich? Die Tatsache, dass Regierungsrat Heinz Tännler, der bis vor Kurzem als Baudirektor fungierte, auch OK-Präsident des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes 2019 ist, spricht für sich. Mit dem Unterschied, dass heute Regierungsräte ihre nebenamtlichen Tätigkeiten und Einkünfte jedes Jahr offenlegen müssen. Überhaupt hat der Kanton Zug mit der Einführung des Öffentlichkeitsgesetzes 2014 einen grossen Schritt in Richtung Transparenz gemacht.

Meienbergs Reportage driftet immer wieder ab in Anekdoten – von Leuten, die im richtigen Moment auf den Trader-Zug aufgesprungen sind und zwar viel Geld, aber keine Freizeit haben, über den Firmenausflug der Marc Rich-Group in den Züri Zoo, da die Firma dort einen Kragenbären patroniert habe, und dass beim anschliessenden Nachtessen zwanzig Leute koscher gegessen hätten. Über die Freiwillige Feuerwehr, die in ihrer Broschüre vier Mal Courage falsch schreiben – nämlich mit Doppel-R – und die Joe Lang, damals Vertreter des Grossen Gemeinderates, «wohl am liebsten mit dem grossen Wenderohr in den See spülen» würden.

Hohn und Spott, wo man hinblickt

Allen Geschichten ist eines gemein: Die beträchtliche Portion Herablassung, mit denen sie erzählt werden. Da dürfte es eigentlich niemanden, auch ihn selber nicht, verwundert haben, dass keiner aus dem Nähkästchen plaudert.

Meienberg weist auf 6000 Briefkastenfirmen hin, die in Zug positioniert sind, und zitiert Josef Schön, den damaligen Steuerpräsidenten, der über den Umgang mit diesen Firmen sagt: «Wir müssen Vertrauen haben in die Gesellschaften. Vertrauen ist eben die Basis, bis zum Beweis des Gegenteils.» Schön führt dann weiter aus, dass man mit dem Geld der ausländischen juristischen Personen die Liebfrauenkirche habe renovieren können, das Casino, die Burg, das Kunsthaus. Was man noch mehr wolle?

Nirgends spart Meienberg an Kritik. Teils durchaus berechtigt. Teils bemüht. Dann genügt ihm ein schlichter Schreibfehler offenbar, um seinem scheinbar grenzenlosen Hohn Luft zu verschaffen. Spätestens in diesen Textpartien dürfte es dem Leser dämmern, das man nicht alles, was der Meienberg hier schreibt, allzu ernst nehmen sollte. Doch gedämmert hat’s den Zugern nicht. Die Flut an Reaktionen und Kritiken auf den Text ist beinahe interessanter als der Artikel selber. Und das dürfte auch seine Gründe haben.

Dolfi Müller blickt zurück

Dolfi Müller, damals einer der wenigen Linken im Grossen Gemeinderat der Stadt Zug und heutiger Stadtpräsident, sagt: «Ich habe das Gefühl, diese Reaktionen waren Ausdruck einer grosser Verunsicherung. Man fühlte sich irgendwie als Städtli am See, das zum Tanz mit der Weltwirtschaft eingeladen war. Man befand sich mitten in einer Wendezeit und war damit überfordert, dass so viele Firmen nach Zug schwärmten.»

Man dürfe laut Müller auch nicht vergessen, dass Zug einen ganz anderen Weg eingeschlagen hatte als andere Kleinstädte Europas. «Dieses Verträumte gab man damals auf, das Zug, welches von Gewerblern und Zünftlern beherrscht war. Plötzlich steht da Marc Rich vor der Türe und damit auch die Frage, wie sich Zug definieren will.»

«Wir haben uns darin bestärkt gefühlt, dass wir jungen Linken den Grossen den Spiegel vorgehalten haben.»

Dolfi Müller, Zuger Stadtpräsident

Er selber, damals junger SP-Politiker, habe sich mehr gefreut als aufgeregt über Meienbergs Reportage. «Wir haben uns darin bestärkt gefühlt, dass wir jungen Linken den Grossen den Spiegel vorgehalten haben», sagt Müller.

Verändert habe sich in Zug seither einiges, ist Dolfi Müller überzeugt. «Die Silent City, von der Meienberg schrieb, die ist im Zeitalter der Transparenz nicht mehr möglich. Antonio Planzer etwa, der als Anwalt mit sowjetischen Firmen arbeitete und gleichzeitig Zuger Regierungsrat war – diese Art von Filz wäre heute nicht mehr denkbar.»

Und dennoch. Zug hadert noch immer mit der eigenen Identität. «Dieses Spannungsfeld existiert heute noch. Doch sind wir heute nicht mehr einfach in der Rolle des Hoflieferanten internationaler Konzerne. Wir haben mittlerweile fast 40 Jahre Erfahrung und dadurch auch an Selbstbewusstsein gewonnen. Heute fordern wir bei Firmen wie der Glencore die Einhaltung von sozialen und ökologischen Minimalstandards ein.»

Rossi würde heute noch gleich reagieren

Und wie sieht das heute der damalige Chefredaktor der «Zuger Nachrichten», Cäsar Rossi? Würde er sich noch immer so vehement gegen Meienbergs Reportage auflehnen oder steht er dieser heute entspannter gegenüber?

«Nachdem ich sowohl den Artikel als auch meine Reaktion darauf nach rund 30 Jahren wieder gelesen habe, muss ich sagen: Ich würde es heute noch einmal genauso machen. Man muss sich die Situation von damals vor Augen führen: Wir hatten keine Wohnungsnot, hatten grosse Firmen, die Tausende von Arbeitsplätzen generierten, und zudem gab es damals keine Flüchtlingsproblematik.»

«Ich bin nach wie vor nicht sicher, ob Meienbergs Reportage wirklich journalistenwürdig war.»

Cäsar Rossi, ehemaliger Chefredaktor der «Zuger Nachrichten»

Da sei es laut Rossi nur legitim gewesen, dass man auch mal die positiven Seiten von Zug beleuchtet habe. Er ergänzt: «Ich habe ja damals schon nicht verleugnet, dass es auch in Zug Probleme gibt. Doch sehen Sie, diese Firmen haben uns nicht nur Schlechtes gebracht. So war Zug beispielsweise der erste Kanton, der die Kinderzulage einführte. Ich bin also nach wie vor nicht sicher, ob Meienbergs Reportage wirklich journalistenwürdig war.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Adrian Huerlimann
    Adrian Huerlimann, 06.09.2016, 13:39 Uhr

    Valeria Wiesers Lektüre zeugt von völligem Unverständnis für Meienbergs Haltung und Stil. Dass Zug nach wie vor eine «Stadt des Schweigens» ist (vgl. die gleichnamige Theaterproduktion des Theaters international), zeigt sich schon daran, dass es eines Rundschau-Reports bedurfte, um die privilegierte Einbürgerung von 8 schwerreichen Russen publik zu machen. Scheinaufenthalter wie Albert Behler, die Luxussiedlungen wie den Bohlgutsch mit noch grösserem Luxus überbauen, tragen kaum zu mehr Öffentlichkeit bei. Arbeitsplätze schaffen nicht Rohstoff-Multis wie Glencore und Co., sondern die Roche. Adrian Hürlimann

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