Hemmungen am Landsgemeindeplatz

Ein Schuss Spiritualität für die Zuger Altstadt

Noch ist das Schaufenster nicht leer geräumt. Mirjam Roosdorp siedelt nach 20 Jahren ihr Atelier um und macht einer Praxis für Körpertherapie Platz. (Bild: pbu)

Zeit für einen Tapetenwechsel: Nach 20 Jahren verlässt Mirjam Roosdorp mit ihrem Modeatelier den Zuger Landsgemeindeplatz. Während sie die Zeit dort nochmals Revue passieren lässt, steht ihre Nachfolgerin bereits in den Startlöchern – und scheint mit ihrem Geschäft genau auf das richtige Pferd zu setzen.

Bald weht ein frischer Wind über den Landsgemeindeplatz: Nach 20 Jahren kehrt Mirjam Roosdorp mit ihrem Modeatelier der Zuger Altstadt den Rücken und bezieht in Neuägeri ihr neues Quartier. Damit werden gut 35 Quadratmeter Ladenfläche an äusserst prominenter Lage frei. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der begehrte Raum bereits wieder vermietet ist.

Es handelt sich dabei allerdings weder um einen Kleiderladen oder um ein Künstleratelier, noch um ein Bistro oder um eine ähnliche Lokalität, die in hohem Masse auf Laufkundschaft angewiesen wäre. Stattdessen kann man sich ab dem 1. Mai 2016 auf dem Landsgemeindeplatz in einer «Praxis für Körpertherapie» nach japanischer Tradition behandeln lassen.

«Offenbar braucht es mich, sonst wäre ich nicht mehr da.»

Ursula Weber, dipl. Shiatsu-Therapeutin

Geplagte Büromenschen

Japanischer Fingerabdruck

Shiatsu bedeutet auf Japanisch «Fingerdruck» und bezeichnet eine Form der Massage, die auf den gleichen philosophischen Grundlagen basiert wie Akupunktur und Akupressur. Im 10. Jahrhundert vermischten sich mit dem Bekanntwerden der Traditionellen Chinesischen Medizin in Japan die Vibrationsmassage mit Handtellern, sowie mit Drücken und Massieren bestimmter Punkte («Anma») mit dem Tao-yin, einer speziellen Atemtechnik.

Der Begriff Shiatsu wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt, als japanische Therapeuten den medizinischen Nutzen der alten Massagetechnik Anma neu entdeckten. Im Jahr 1940 gründete Tokujiro Namikoshi die erste Shiatsu-Schule in Japan. Seit 1954 ist Shiatsu von der japanischen Regierung offiziell anerkannt und wird als Methode zur Diagnose und Behandlung von Erkrankungen angewendet.

«Kun Lun» nennt sich die Praxis. Und Ursula Weber heisst die Therapeutin. «In meiner Praxis biete ich mit Shiatsu und klassischer Massage mit Einbezug von Moxa, Gua Sha und Schröpfen Therapie-Methoden an, die sowohl schulmedizinische wie auch andere alternativmedizinische Behandlungen unterstützen», erklärt sie. Shiatsu, Gua Sha, Moxa? Sind denn die Zuger überhaupt offen gegenüber solch exotisch klingenden Therapieformen?

«Offenbar braucht es mich, sonst wäre ich nicht mehr da», sagt Weber schmunzelnd. Die Nachfrage nach solchen Behandlungsmethoden habe über die letzten Jahre kontinuierlich zugenommen. Heute gäbe es viele ähnliche Angebote nicht nur in Zug, so die Therapeutin, die seit nunmehr zwei Jahren an der Neugasse praktiziert. «Das hat sicher auch mit den zunehmenden Anforderungen der heutigen Arbeitswelt zu tun. Es sind vor allem Geschäftsleute, die zu mir kommen und sich vorderhand über Nacken-, Schulter- und Rückenprobleme beklagen.»

Zug sei kein schlechter Ort, um in dieser Branche Fuss zu fassen. «Als Wirtschaftsstandort hat es hier viele Geschäfts- und Büroleute. Also Menschen, die Berufe ausüben, in denen typischerweise viel vor dem Computer gesessen wird und welche stets wiederkehrende Handlungsabläufe verlangen», konstatiert Weber. Einige kämen prophylaktisch zur ihr. Andere hätten bereits die ganze Schulmedizin erfolglos durchlaufen und versuchten nun auf anderem Weg, ihre Schmerzen loszuwerden, oder zumindest Linderung zu finden.

Ursula Webers Praxis an der Neugasse.

Ursula Webers Praxis an der Neugasse.

(Bild: Ursula Weber)

Ihr Umzug auf den Landsgemeindeplatz biete zudem handfeste Vorteile. «Zum einen ist es ein schöner Ort. Diese tolle Lage in unmittelbarer Nähe zum See ist als Therapieort natürlich vorteilhaft. Zum anderen ist der Landsgemeindeplatz ein Ort der Begegnung, gut frequentiert und mit den vielen Cafés und Restaurants äusserst belebt», sagt die Therapeutin.

«Der Landsgemeindeplatz ist kein Lädeliplatz.»

Mirjam Roosdorp, Modedesignerin

Gehemmte Zuger

Dies ist allerdings noch lange kein Garant dafür, dass es auch mit einer Geschäftslokalität klappt. «Der Landsgemeindeplatz ist kein Lädeliplatz», betont Ex-Mieterin Mirjam Roosdorp. «Auch wenn der Platz regelmässig gut besucht ist, kommen die Leute nicht automatisch in den Laden. Setzt man nur auf Laufkundschaft, dann hat man keine Chance. Oftmals sitzt man alleine im Geschäft. Deshalb habe ich im Laden immer auch gearbeitet.»

Roosdorps Kurzfazit lautet denn auch: «Der Landsgemeindeplatz ist zwar ein guter Werbeplatz, aber kein Ort, an dem die Leute shoppen gehen. Daran hat sich über die vergangenen zwanzig Jahre nichts geändert.» Und das, so die Designerin, sei letztlich auch auf die Mentalität der Zuger Bevölkerung zurückzuführen.

Der Zuger Landsgemeindeplatz: Viele Gastrobetriebe laden zum Verweilen ein.

Der Zuger Landsgemeindeplatz: Viele Gastrobetriebe laden zum Verweilen ein.

(Bild: Wikipedia)

Denn gerade weil es sich bei der Lokalität um einen kleinflächigen Laden handelt, sei die Hemmschwelle hoch, diesen zu betreten. Roosdorp erzählt: «Klein bedeutet gleichzeitig intim. Da sind die Zuger zurückhaltend. Im Gegensatz zu den Touristen. Diese treten schneller mal ein. Spontane Besucher sind in aller Regel keine Zuger.» Die Platzverhältnisse sind denn auch der Hauptgrund für Roosdorps Umzug: «In der Zuger Altstadt etwas grösseres zu finden, ist unmöglich. Auch aus finanziellen Gründen. Ausserdem ist es nach zwanzig Jahren an der Zeit für einen Tapetenwechsel», erklärt die Modedesignerin.

Begehrter Platz

Sie zieht nun in die alte Spinnerei in Neuägeri. Zusammen mit Patricia Rogenmoser vom Atelier «Schwanenherz» wird Roosdorp auf über 180 Quadratmetern ihre Produkte unter dem Namen «Laden N°195» herstellen und verkaufen. «Damit habe ich genug Platz zum Arbeiten.» Entsprechend halte sich ihre Trauer über den Wegzug vom Landsgemeindeplatz in Grenzen. Die Freude auf die neue Lokalität überwiege.

«Wir wollten nichts, das mit backen oder kochen zu tun hat.»

Monika Weber, Vermieterin

Begehrt bleibt der Landsgemeindeplatz aber dennoch. Innerhalb kürzester Zeit hätten sich zwölf Interessenten gemeldet, sagen die Vermieter der Liegenschaft, Monika und Gustav Weber. Sie selbst sind im Gebäude wohnhaft. «Einige Anfragen betrafen Gastrobetriebe. Wir wollten allerdings nichts, das mit backen oder kochen zu tun hat. Und auch nichts, was grosse Umbauarbeiten verlangt», betont Monika Weber.

Während die Zuger Altstadt andernorts regelrecht nach Belebung schreit, ist man am Landsgemeindeplatz um Ruhe besorgt. Eine Belebung habe der Platz ohnehin nicht nötig, meint die Vermieterin. Mit der Brasserie Löwen, dem Restaurant Olive und Oregano, der Pizzeria Platzmühle, der Althus Bar sowie dem Gasthaus Widder sei das kulinarische Angebot bereits gut abgedeckt. Diesbezüglich hat Therapeutin Ursula Weber voll ins Schwarze getroffen. Denn ihre Praxis ist weder auf Laufkundschaft ausgerichtet, noch sind durch die Massagetechnik Shiatsu nennenswerte Lärmemissionen zu befürchten.

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